2024-05-02T16:12:49.858Z

FuPa Portrait
Vize-Pokalsieger 1965, Deutscher Vizemeister 1969: Jupp Martinelli hat auf dem alten Tivoli Geschichte geschrieben. Und ein Mal auf dem neuen Tivoli gespielt. Foto: Michael Jaspers
Vize-Pokalsieger 1965, Deutscher Vizemeister 1969: Jupp Martinelli hat auf dem alten Tivoli Geschichte geschrieben. Und ein Mal auf dem neuen Tivoli gespielt. Foto: Michael Jaspers

Jupp Martinelli: Kein Stolz, aber er erzählt gern von früher

Am Samstag vollendet Alemannias lebende Legende Jupp Martinelli das 80. Lebensjahr. "Ich war in der Relation der billigste Spieler."

"Ist ja schon ein tolles Stadion", sagt Jupp Martinelli. "Aber für uns Alte ist der Tivoli da drüben." Vor vier Jahren hat die lebende Legende von Alemannia Aachen (484 Spiele mit dem Vereins-Torrekord von 141) zum letzten Mal gegen den Ball getreten, es war sein Abschiedsspiel bei den Alten Herren auf dem neuen Tivoli.
Dort hat er auf der Haupttribüne neben Michel Pfeiffer und Jo Montanes seinen Stammplatz in Reihe 16, Platz 12, auf Lebenszeit. Vor seinem 80. Geburtstag am Samstag plauderte Martinelli beim Treffen mit unseren Redakteuren Christoph Pauli und Klaus Schmidt über Vergangenheit und Gegenwart.

Erinnern Sie sich an das erste Mal bei Alemannia?
Martinelli: Ich erinnere mich sogar an das erste Spiel überhaupt bei der Alemannia. 1951 bin ich im zweiten B-Jugend-Jahr vom Kohlscheider Ballspielclub zur Alemannia gekommen. Damals wurde ich das erste halbe Jahr gesperrt, weil ich schon Auswahlspieler war. In dieser Zeit hat die Alemannia extra ein paar Freundschaftsspiele eingelegt, damit ich ein bisschen Spielpraxis erhielt. Mein erstes Spiel habe ich gegen eine Juniorenmannschaft von der Mosel gemacht, die waren teilweise 20, ich 15 Jahre alt. Die Partie endete 3:3, ich habe zwei Tore gemacht. Das nächste Spiel in Bardenberg gewannen wir 5:2, vier Tore von mir. Beim ersten Meisterschaftsspiel gegen Schwarz-Rot Aachen schoss ich beim 3:0 alle Tore. So durfte ich dann früh beim damaligen Trainer Hermann Lindemann mit der Ersten Mannschaft trainieren. Die Jungens wie der Michel (Pfeiffer) oder Gerd Richter kennen mich alle schon aus der damaligen Zeit. 1954 kam ich in die Erste Mannschaft.

Sind Sie damals nicht zweigleisig gefahren?
Martinelli: Stimmt, ich habe auch Leichtathletik gemacht, beim DLC Aachen. Wir waren eine Fünfkampf-Mannschaft. Ende Juli, Anfang August war die Sommerpause im Fußball vorbei, Alemannia machte ihr erstes Freundschaftsspiel. Parallel fanden auch die Deutschen Jugendmeisterschaften in Ludwigsburg statt. Davor hat Lindemann gesagt: So, Jupp, jetzt musst Du Dich aber langsam entscheiden – entweder Leichtathletik oder Fußball. Ja, sag ich, Herr Lindemann, aber zu den Deutschen Meisterschaften möchte ich noch fahren. Wir sind mit der Fünfkampf-Mannschaft Vizemeister geworden.

Am nächsten Tag sind Sie dann beim Freundschaftsspiel gegen Feyenoord eingesetzt worden.
Martinelli
: Es hat in Strömen gereregnet, nur 6000 Zuschauer sind zum Tivoli gekommen. Lindemann sagt zu mir: Spiel Du zunächst mal Rechtsaußen. Der Schorsch Hecht spielte halbrechts, der gab mir keinen Ball. Er sah in mir einen Konkurrenten. Früher war das ja so, der Rechtsaußen rannte hier rauf und hier runter. Die Schuhe des Rechtsaußen mussten weiß sein von der Kreidelinie. Du warst abhängig von den Zuspielen des Halbrechten, und der hat immer schön zur anderen Seite gespielt. In der Halbzeit sagt Lindemann: Hör mal Schorsch, jetzt machen wir das in der zweiten Halbzeit umgekehrt. Das hatte dann auch geklappt, wir haben aus einem 1:3 ein 3:3 gemacht. Das erste Meisterschaftsspiel war hier gegen Schalke 04. Samstags Leichtathletikfest in Kohlscheid, da bin ich 100 Meter gelaufen, bin weitgesprungen, hab‘ die Kugel gestoßen. Der Stadionsprecher hat mich angekündigt als „Jupp Martinelli, der morgen sein erstes Meisterschaftsspiel gegen Schalke 04 macht“. Wir haben dann 4:3 gewonnen, drei Treffer hat Karl Vigna, der machte auch sein erstes Spiel, gemacht, den vierten Treffer Martinelli. Und in der Zeitung stand: Amateur und Unterprimaner schlugen Schalke 04.

War es nie ein Thema, Alemannia wegen eines lukrativen Angebots zu verlassen?
Martinelli: Anfragen gab es, aber keine konkreten. Kurz nachdem ich aus der Jugend gekommen war, sind mal Italiener bei uns gewesen, die hat mein Vater aber direkt vor die Tür gesetzt.

Wo kamen die her?
Martinelli: Weiß ich nicht. Ich habe meinen Vater gefragt: Wer war dat denn? Muss Dich nich drom kömmere, Jong. Später ist mal irgendwas mit dem FC gewesen, aber nie konkret.

Sie hat es nie weggezogen?
Martinelli: Nee, ich habe immer in Kohlscheid gewohnt.

Zählt Vereinstreue heutzutage nichts mehr?
Martinelli: Vereinstreue gibt es nicht mehr.

Warum sind Sie nie Nationalspieler geworden?
Martinelli: Lehrgänge beim DFB waren das Schlimmste für mich. Ich fand das furchtbar, wie die sich aufspielten. Ich war mit 18, 19 auf Herberger-Lehrgängen mit Uwe Seeler zusammen, aber ich hatte keine Lust dazu. Ich war immer froh, wenn ich hier bei meinen Jungs war. Ich habe zwei Mal in der sogenannten B-Mannschaft gespielt, das waren aber keine offiziellen Länderspiele, so um 56, 57 rum.

Hatten Sie nach 16 Jahren in Alemannias Erster Mannschaft finanziell ausgesorgt?
Martinelli (lacht): Ich war in der Relation der billigste Spieler, mit Sicherheit. Vertragsverhandlungen habe ich gar nicht gekannt. Zuerst habe ich ja als Amateur gespielt, acht oder zehn Mark für einen Heimsieg, 16 Mark für einen Auswärtssieg. Dann bekam ich meinen ersten Vertrag, was der Schuldirektor mir vorher verboten hatte. 160 Mark im Monat, 10 Mark pro Spiel als sogenannte Aktivitätszulage, Siegprämie 50 Mark, Auswärtssieg 100 Mark. Im Durchschnitt durfte man 320 Mark verdienen, später ist das erhöht worden auf 400 Mark. Nach dem Bundesliga-Aufstieg wurde ich als Erster zu den Vertragsgesprächen gerufen. Nach fünf Minuten war ich schon wieder unten. Man hatte mir einen Vertrag hingelegt, 800 Mark Grundgehalt, Siegprämie 500 Mark. Das war im Vergleich zu vorher das Doppelte. Andere kamen runter, die haben eine halbe Stunde mit denen diskutiert. Das habe ich nie getan, ich habe immer dasselbe gekriegt.

Sie haben parallel immer noch beim Versicherungsamt gearbeitet. Ließ sich das problemlos koordinieren?
Martinelli: Ich habe das immer geregelt bekommen. Wenn ich zum Training ging, musste ich die Stunden aufschreiben, und das wurde immer von meinem Gehalt abgezogen. Wenn wir auswärts spielten, musste ich immer den ganzen Freitag freinehmen.

Stimmt die Geschichte, dass der Trainer Michel Pfeiffer vor Spielen jedem Profi einen halben Liter Bier verabreichte?
Martinelli: Einen halben Liter nicht, nein nein. Wir durften nach dem Abendessen ein Bierchen trinken. Da waren auch welche, die tranken kein Bier, die etwas weicheren Typen, aber wir Älteren schon. Prost Michel, hieß es dann.

War es eine perfekte Karriere?
Martinelli: Für mich ja. Ich habe nie die Erwartungen zu hoch geschraubt. Aber es nagt schon, dass man oft nah dran war und dann doch nur Zweiter geworden ist.



Bundesliga-Aufstiegsrunde 1965: Jupp Martinelli vor Bayern-Torhüter Sepp Maier. Rechts der junge Franz Beckenbauer. Foto: Horstmüller

Welches war Ihr größtes Spiel?
Martinelli: Die Regenschlacht im Pokal-Halbfinale gegen Schalke. Das ist das Spiel, an das ich mich am liebsten und am besten erinnere. Wir lagen 1:3 zurück und haben in der Verlängerung 4:3 gewonnen. Und ich habe ein Tor beigesteuert.

Und die größte Enttäuschung?
Martinelli: Alemannias Nicht-Berücksichtigung für die Bundesliga war die größte Schweinerei, die es je gegeben hat. Oder als der Sepp Herberger zu uns in die Kabine kam nach dem Spiel in Duisburg. Wir hatten eine Serie gehabt von neun Siegen in Folge, in Duisburg haben wir unser erstes Gegentor gekriegt. Ich habe beide Tore gemacht zum 2:1. Herberger kam und sagte: War ja ganz gut, schön, gratuliere, dann war er weg. Wenn du heute in so einem Spitzenspiel zwei Tore machst, bist du der King.

Sind Sie stolz auf das, was Sie geschafft haben?
Martinelli: Nein. Stolz kenne ich nicht. Ich erzähle gerne darüber. Ich erzähle auch gerne darüber, wie oft ich vom Platz geflogen bin.

Wie oft?
Martinelli: Drei Mal. Drei Mal unberechtigt (lacht laut). Nein nein. Beim ersten Platzverweis war ich noch zu unerfahren, den hat Hans Schäfer mir in Köln eingebrockt. In Köln. Wir hatten das letzte Heimspiel in der Oberliga West gegen den 1. FC Köln, die standen an zweiter Stelle und waren Aspirant für die Teilnahme an der Deutschen Meisterschaft. Durch das 3:3 verlor der FC Platz 2. Acht Tage später müssen wir zum FC, WFV-Pokal. Da kann man sich vorstellen, was in Köln los war. Die haben uns ausgepfiffen, fertiggemacht. Der Schiedsrichter hieß Fink, den haben wir später als Schmierfink oder Schmutzfink bezeichnet, der hat drei Mann von uns vom Platz gestellt. Trotzdem haben die Kölner nur 1:0 gewonnen. Schäfer hat sich fallengelassen, und ich werde vom Platz gestellt. Der zweite Platzverweis war gegen Viktoria Köln, das war mein Freund, der Nawrocki. Die letzten 20 Minuten sind wir nur noch hinter dem Schiedsrichter hergewesen, ich natürlich auch als Spielführer. In der allerletzten Minute sagt er: Wie ist Ihr Name? Ich sag: Meier. Antwort: Na, dann gehen Sie mal vom Platz, Herr Martinelli. Der dritte Platzverweis war bei Rot-Weiß Essen. Da wurde ich verwarnt, obwohl ich gar keinen Kontakt zum Schiedsrichter hatte. Ich bin nicht vom Platz gegangen, sie haben mich mit der Polizei vom Platz geholt. Dann bin ich vier Wochen gesperrt worden und musste mich auch noch entschuldigen.

Hätten Sie gerne in der heutigen Zeit gespielt?
Martinelli: Ich wäre keiner gewesen für diesen heutigen Stil, dieses Betrügen, diese Schauspielerei. Die Schiedsrichter sind für mich die ärmsten Säue auf dem Platz.

Warum haben Sie Alemannia nach dem Bundesliga-Abstieg 1970 verlassen?
Martinelli: Das fing ja schon vorher an. Da stellt der Stollenwerk, dieser Heini, mich als Manndecker gegen den Flohe. Der erwischte den Ball aus 25 Metern mit seiner linken Klebe genau oben in den Winkel. Da hat dann auf der Tribüne jemand vom Vorstand gerufen: Dann können wir auch den Reinhold Münzenberg noch aufstellen. Wenn du das gesagt bekommst, dann fängt es an. Es lief sowieso bei uns schlecht, es war keine Stimmung mehr da. Dann wurde ich auch noch verletzt, in Frankfurt mit einem schweren Muskelfaserriss. Die letzten Spiele habe ich nicht mehr gespielt. Ich war 34, hatte aber den Eindruck, dass es eigentlich noch ging. Ich bekam ein schönes Dankesschreiben, sie würden den Vertrag nicht mehr verlängern. Kein würdiges Ende. Ich bin dann zu Roda gegangen, leider Gottes nur für ein Jahr. Es war eine schöne Zeit.

Sie waren Interimstrainer der Profis und A-Junioren-Coach. Warum haben Sie eine Trainer-Karriere nicht stärker verfolgt?
Martinelli: Bis 1977 habe ich noch bei der Westwacht gespielt und dann drei Jahre den Trainer gemacht. Dann hat der Jakob Goll mich geholt für Alemannias A-Junioren, man hatte sich wieder versöhnt. In diese Zeit fällt auch diese Interimszeit. Die ist aber nicht der Rede wert. Ich habe die Mannschaft für ein Spiel betreut, beim 0:1 in Essen.

Hier im Stadion fehlen die Hinweise auf große Alemannen.
Martinelli: Das einzige Bild, das ich von mir gesehen habe, war der Platzverweis in Essen, als der Schiedsrichter mit mir vom Platz gegangen ist.

Könnte man nicht die Tivoli-Tribünen nach den größten Alemannen benennen? Martinelli-Tribüne, Pfeiffer-Tribüne, Montanes-Tribüne.
Martinelli: Das ist mir egal.

Was denken Sie über Alemannias aktuelle Situation?
Martinelli: Ich bin enttäuscht. Ich dachte, jetzt kommen diese Gegner wie Rödinghausen und die Zweiten Mannschaften, die müssen wir doch wegputzen. Auch wenn die spielerisch gar nicht so schlecht sind.

Wie wird der 80. gefeiert?
Martinelli: Am Samstag nur privat. Am Montag macht die Alemannia ja auch was, es werden 30 bis 40 Leute kommen.

Aufrufe: 020.3.2016, 20:15 Uhr
Christoph Pauli und Klaus Schmidt I AZ/ANAutor