2024-05-10T08:19:16.237Z

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Im Scheinwerferlicht: Wolfgang Spelthahn, Landrat und Präsident des FC Düren, steht vor dem Spiel gegen den FC Bayern Rede und Antwort.
Im Scheinwerferlicht: Wolfgang Spelthahn, Landrat und Präsident des FC Düren, steht vor dem Spiel gegen den FC Bayern Rede und Antwort. – Foto: Guido Jansen

Ein Verein, um Fußball-Sehnsucht zu stillen

Morgen tritt der 2017 gegründete 1. FC Düren im DFB-Pokal gegen die Bayern an. Eine Erfolgsgeschichte mit Architekt und Kritikern.

Jede Wette: Die Schmähgesänge wären wieder zu hören gewesen: „Scheiß FC Düren. Wir singen scheiß FC Düren.“ So hat es sich in den vergangenen Jahren zugetragen, wenn die Fußballer des 1. FC Düren am Donnerstag über den Annakirmesplatz gegangen sind. Der Donnerstag ist der Tag der Vereine auf dem größten Volksfest in der Region. Menschen kleiden sich in T-Shirts ihres Vereins und ziehen in Gruppen über den Platz. Je später der Abend, desto mehr singen die Fußballer. Jeder Verein gegen jeden, Bierernst ist das meistens nicht, obwohl Bier meistens im Spiel ist.

Das hat sich in den vergangenen Jahren immer dann geändert, wenn sich der Tross des 1. FC Düren näherte. Dann sangen alle gegen einen. In diesem Jahr ist das nur nicht passiert, weil die Annakirmes, so wie die Dürener sie feiern, nicht stattgefunden hat. Wegen Corona. „Ich glaube, dass das nicht so böse gemeint ist. Das habe ich den Spielern auch gesagt“, sagt Wolfgang Spelthahn, Landrat des Kreises Düren und Gründungspräsident des 1. FC Düren, über den Spießrutenlauf auf dem Volksfest. „Außerdem: So ein bisschen Neid muss man sich auch erst mal verdienen.“

Das Traumlos schlechthin

Spätestens seit der Fünftligist 1. FC Düren Ende August das Finale um den Mittelrheinpokal gegen den Viertligisten Alemannia Aachen mit 1:0 gewonnen hat, ändert sich der Ton. Das hat natürlich damit zu tun, dass der Sieg den Dürenern das Pokal-Traumlos FC Bayern München eingebracht hat. Am Donnerstag (20.45 Uhr, live auf Sport1 und Sky) findet die Partie in der 1. Runde des DFB-Pokals in München statt. Das Los sorgt dafür, dass Düren erstmals seit vielen Jahrzehnten zumindest für kurze Zeit wieder eine Stadt auf der deutschen Fußball-Landkarte ist. Das war in den 50er und 60er Jahren so wegen des Vor-Vorgängervereins SG Düren 99. Seitdem gab es in der Rur-Metropole ein emotionales Vakuum mit einer unerfüllten Sehnsucht nach ein bisschen großem Fußball. Es ist das erklärte Ziel der FC-Macher um Spelthahn, einen Teil dieser Sehnsucht zu befriedigen – auch nachdem die Bayern die Dürener aus dem Pokal geworfen haben werden.

Dazu will man nachhaltiger sein als andere Klubs, die vielleicht auch mal für kurze Zeit Begeisterung entfachen konnten. Der 1. FC Düren ist der Zusammenschluss dreier genau solcher Vereine, die vielleicht auch allein einen Höhenflug hätten schaffen können, bei denen die Gefahr eines anschließenden Absturzes aber hoch gewesen wäre. Zusammen wollen sie langfristig Erfolg haben.

Kurzfristig strebt der Klub den Aufstieg in die Regionalliga an. „Regelmäßige Duelle mit Alemannia Aachen, Rot-Weiß Oberhausen und Fortuna Köln sind unser großes Ziel“, sagt Spelthahn. Dazu baut der Verein seine Westkampfbahn aus, als Heimat der alten SG Düren 99 ein Sehnsuchtsort des Dürener Fußballs. Bestenfalls bis zu 12.000 Zuschauer sollen da irgendwann Platz finden. So, wie der Verein sich aktuell entwickelt, ist die Regionalliga in der nächsten Saison realistisch. Der Traum in weiter Ferne lautet 3. Liga. „Das können wir aber so, wie wir jetzt aufgestellt sind, nicht erreichen“, erklärt der Präsident. Dazu brauche es zusätzlich zu den regionalen auch große Sponsoren. Ein TV-Spiel gegen die Bayern ist nicht die schlechteste Plattform, um Werbung für sich zu machen. „Jeder, der noch höher denkt, ist kein Realist“, sagt Spelthahn und fügt an, dass die 3. Liga das maximal vorstellbare Fernziel ist. „Wenn überhaupt.“

Die Schmähgesänge verstummen mutmaßlich trotzdem nicht so schnell. Denn der 1. FC Düren ist kein Fußballverein wie jeder andere in Düren. Der Name transportiert den Anspruch: Der erste Fußball Club in Düren zu sein. Er hat sich 2017 gegründet, um besser zu sein als alle anderen im Fußballkreis Düren. Damit einher geht bei kleineren Klubs seitdem die Angst, dass der neue Alpha-Verein die Sponsoren-Landschaft abgrast. „Fakt ist, dass kein anderer Verein auch nur einen Cent verloren hat“, sagt Spelthahn.

Am Anfang sei es durchaus so gewesen, dass der 1. FC hier und da einen Fußballer mit Geld weggelockt hat von seinem bisherigen Dürener Klub. Mittlerweile schaue man sich aber längst nicht mehr nur in der eigenen Stadt um. Bonner SC, TV Herkenrath und Alemannia Aachen heißen die Klubs, von denen ein Großteil des aktuellen Kaders aus der Regionalliga eine Etage tiefer in die Mittelrheinliga nach Düren gewechselt ist.

Der 1. FC Düren ist der Zusammenschluss der Großkopferten aus der Innenstadt: Vor drei Jahren ist Dürens größte Talentschmiede FC Niederau mit dem GFC Düren 99 verschmolzen. Letzterer war auch schon ein Fusionsverein, die Bestandteile hießen Gürzenicher FC Düren und SG Düren 99. Der GFC war in den ersten Jahren des Jahrtausends eine recht große Nummer im Amateurfußball, spielte in der Oberliga Nordrhein, die damals die vierte Liga war, quasi die heutige Regionalliga.

Der mittlerweile verstorbene Roland Mader war als Sportrechtevermarkter dick im Geschäft, am Zustandekommen der Partnerschaft zwischen der Telekom und dem FC Bayern war er beispielsweise beteiligt. Als GFC-Präsident entschuldete er den Verein und sorgte für den sportlichen Aufstieg mit Sponsorengeldern, die er größtenteils über seine Kontakte besorgte. Der Dürener Fußballfan an sich hat das damals nicht angenommen. Der GFC war aus seiner Sicht Gürzenich, nicht Düren. Wenn mehr als 300 Zuschauer am Platz waren, dann lag das an Gegnern wie Fortuna Köln oder Fortuna Düsseldorf.

Jetzt tritt der neu gegründete Dürener Alpha-Verein erstmals auf der großen deutschen Fußball-Bühne auf, viel früher als geplant. Dem größtmöglichen Losglück sei Dank. Düren hat allerdings für das Spiel am Donnerstag auf sein Heimrecht verzichtet und tritt in München in der Allianz-Arena an. Es hätte den Verein Geld gekostet, seine noch nicht umgebaute Westkampfbahn für eine Partie TV-tauglich zu machen. Zuschauereinnahmen hätte es wegen der Corona-Pandemie keine gegeben. Die Bayern, die sich so eine Dienstreise ins Rheinland sparen konnten, stimmten dem Tausch zu, der DFB auch. Düren profitiert.

Die Prämien aus dem DFB-Pokal hat der Verein schnell in den Kader investiert, vor wenigen Tagen unter anderem mit der Verpflichtung des ehemaligen polnischen Nationalspielers und Ex-FC-Köln-Profis Adam Matuschyk (31), der mit seiner Familie in Kerpen lebt. „13 Kilometer von der Westkampfbahn entfernt“, wie Spelthahn immer betont, wenn er über den namhaften Neuen spricht, der ein Stück der großen Fußballwelt an die Rur bringt.

Und Düren will noch einmal profitieren. Spelthahn und eine Delegation des Vereins seien vor dem Spiel zu einem Essen mit den Bayern-Bossen eingeladen. Da will die Dürener Abordnung darüber reden, dass der FC Bayern nach dem Ende der Corona-Pandemie und nach dem Abschluss des Umbaus der Westkampfbahn ein Freundschaftsspiel in Düren macht.

Sportlich kommt der 1. FC Düren absehbar da an, wo Roland Maders GFC schon einmal war: In der Viertklassigkeit, auf der Schwelle zum Profitum. „Wir machen das aber anders als damals“, sagt Spelthahn. Fußball sei ein Mannschaftssport. Zur Mannschaft des 1. FC Düren gehörten abseits des Spielfelds eine ständig wachsende Zahl an Ehrenamtlern sowie mittlerweile 90 mittlere und kleinere Sponsoren. „Wir sind jetzt so aufgestellt, dass der Aufstieg in die Regionalliga kein Abenteuer wäre, sondern realistisch machbar“, sagt der Präsident. Kein anderer Mittelrheinligist behauptet das so im Brustton der Überzeugung von sich.

Den einen starken Mann gebe es nicht, der für das ganze Geld sorge. Er sei das auch nicht, sagt Wolfgang Spelthahn. Und er missbrauche seine Position als Landrat nicht, genau so wenig wie die damit verbundenen Aufsichts- und Verwaltungsratsposten. Das werfen ihm Fußballer und Fußballfunktionäre in Düren hinter vorgehaltener Hand vor; sie reden deswegen auch gerne vom „1. FC Spelthahn“. Öffentlich sagen will das aber niemand.

Ein Grund für die Skepsis gegen die neue Fußballmacht in der Stadt liegt hier trotzdem begründet. Beispielsweise mit Blick auf die Westkampfbahn. Die Sportstiftung der Sparkasse hat sie aus dem Besitz mehrerer Privatpersonen herausgekauft, Spelthahn sitzt dem Verwaltungsrat der Sparkasse vor. In Rede stehen etwa 1,5 Millionen Euro als Kaufpreis. Bestätigt ist die Summe aber nicht. „Ich habe an keiner dieser Beratungen und Verhandlungen teilgenommen. Für die Stiftung war das eine super Chance, um eine herausragende Sportstätte zu erhalten und zu verhindern, dass die Anlage durch mögliche spätere Erbstreitigkeiten in schwieriges Fahrwasser gerät. Wir als 1. FC Düren sind Pächter der Anlage und sorgen mit unserer Pacht für eine überdurchschnittliche Rendite. Dazu gibt es ein Gutachten“, sagt Spelthahn. Die strikte Trennung zwischen seinem Amt und seinem Hobby als Fußball-Präsident sei ihm wichtig. „Ich lade jeden, der daran Zweifel hat oder der Meinung ist, dass ich dagegen verstoße, zu einem Gespräch ein.“

Gefangen im Mikrokosmos

Entstanden sei die Idee zum 1. FC aus der Erkenntnis, dass jeder der Ursprungsvereine für sich nicht mehr bewirken konnte als den Status quo um das Jahr 2016. „Jeder hätte für sich seine eigene Geschichte mit lokalen Höhepunkten weiterschreiben können“, beschreibt Spelthahn die Ausgangssituation. Der FC Niederau und der GFC 99 spielten beide in der Landesliga, der sechsten Liga. Mehr war nicht drin. Niederau hätte weiter seine größten Talente aus der starken Jugendabteilung an größere Klubs verloren. Beide Klubs waren gefangenen im eigenen Mikrokosmos. „Plötzlich war die Bereitschaft zur Fusion da. Und plötzlich war ich Präsident“, fasst Spelthahn den Gründungsmoment zusammen. Er habe die Vereine ins Gespräch gebracht. „Wer A sagt, muss auch B sagen“, begründet er, warum er vom Initiator eines Gesprächs zum Präsidenten geworden sei.

Mit der Fusion ist der Klub gewachsen und profitiert von einem anderen Vakuum. Früher sei Düren fußballerisch eine eher bedeutungslose Stadt zwischen Aachen und Köln gewesen, die besten Talente gingen genau dorthin – oder nach Leverkusen. Jetzt schwächelt die Alemannia seit Jahren derart, dass ein Aufstieg aus der Regionalliga schon länger unrealistisch erscheint.

Spelthahn, selbst passionierter Bayern-Fan mit einer Art Zweit-Liebe für die Alemannia, spricht mit Respekt vor allem über das Aachener Fan-Potenzial. Etwas Vergleichbares sei im 92.000 Einwohner starken Düren nicht möglich. „Wir kennen unsere Grenzen und wissen, mit wem wir uns messen können.“ Mit Aachens Fans jedenfalls nicht, mit der Alemannia sportlich möglicherweise schon bald. Es wäre ein Erfolg, irgendwann einmal regelmäßig eine vierstellige Besucherzahl auf der Westkampfbahn zu haben, bei der die Gastmannschaft nicht die Mehrheit der Zuschauer mitbringt, sagt Spelthahn.

Und: Wenn die Spieler auf der Annakirmes in Zukunft nicht mehr mit „Scheiß FC Düren“ begrüßt werden.

Blick ins Geschichtsbuch

Die Tradition der Westkampfbahn

Die 99er waren der Traditionsverein schlechthin in Düren, um den sich bis heute die meisten Fußball-Geschichten der Stadt ranken. 1954 beispielsweise traten die 99er im Pokal vor über 10.000 Zuschauern auf ihrer Westkampfbahn gegen den 1. FC Kaiserslautern an und verloren 2:5 (siehe Foto rechts). Im Trikot der Roten Teufel unter anderem dabei: Horst Eckel und Fritz Walter, die sechs Wochen zuvor in Bern Weltmeister geworden waren.

Georg Stollenwerk war da schon in Düren zum Nationalspieler geworden und hatte die 99er ein Jahr zuvor in Richtung 1. FC Köln verlassen. 1958 bei der WM in Schweden gehörte er der deutschen Auswahl genauso an wie ein anderer ehemaliger 99er: Karl-Heinz Schnellinger, der den Weg von 99 nach Köln 1958 machte. Dritter Nationalspieler aus den Reihen des Vereins ist Wilfried Hannes, der 1975 von Düren nach Mönchengladbach wechselte. Die legendären Zeiten an der Westkampfbahn waren da aber schon vorbei. Die 99er waren in den 1990er Jahren oft pleite, für sportlich positive Schlagzeilen sorgten sie seitdem nicht mehr.

2001 ging der Verein eine Fusion mit einem anderen großen Traditonsklub ein, Schwarz-Weiß Düren. 2007 wurde die insgesamt lieblose Beziehung wieder gelöst. 2011 erfolgte die Zusammenlegung mit dem GFC Düren, der 1909 als Gürzenicher Fußballclub gegründet worden war. 2017 erfolgte dann die Fusion mit dem FC Niederau 1908 zum 1. FC Düren. Die Vereinsfarben der 99er entsprachen den Dürener Stadtfarben Schwarz und Rot. Der neue Klub orientiert sich mit blau-gelb am Wappen des Kreises Düren.

Aufrufe: 014.10.2020, 09:00 Uhr
Guido Jansen | AZ/ANAutor