2024-05-02T16:12:49.858Z

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Amateurspiele statt WM: Frank Mitschkowski wird den Fernseher ausgeschaltet lassen.
Amateurspiele statt WM: Frank Mitschkowski wird den Fernseher ausgeschaltet lassen. – Foto: Heiko van der Velden

Katar: Schauen oder nicht schauen?

Fußballfans allen Ortes müssen sich zuletzt die immer gleiche Frage stellen lassen: „Guckst du die WM in Katar?“.

Genügend Argumente, das Turnier zu boykottieren, gäbe es. Ebenso gibt es Gründe, wieso sich Fans eben doch auf die Weltmeisterschaft freuen dürfen. Wir haben uns nach der Gefühlslage im Amateurfußball der Region umgehört – und sind dort auf klare Ablehnung, aber auch viel Unsicherheit gestoßen.

„Kann Spiele nicht gucken, weil mir so viel am Sport liegt“

Tim Stettner, Vorsitzender Kreis Mönchengladbach-Viersen: "Ich schaue es mir nicht an! Die sportliche von der gesellschaftlichen und politischen Frage zu trennen, funktioniert auf dieser Ebene für mich nicht. Und da mir so viel an dem Sport liegt und ich den Wettkampf liebe, kann ich mir die Spiele nicht ansehen, weil ich die Rahmenbedingungen dieser WM nicht akzeptiere. Fußball hat bei uns gesellschaftliche Relevanz als Volkssport Nr. 1 – und schon deswegen eine Vorbildfunktion auch in ethischen Aspekten. Das Streben nach Erfolg und Anerkennung gerät dabei auf immer schiefere Bahnen. Das gilt für alle Gruppen: Sportler, Fans, Vereine und Verbände. Es ist die Kommerzspirale, die hier einmal mehr neue Spitzenwerte an Egoismus, Gier und Ignoranz heraufbeschworen hat. Ich möchte die immer weiter eskalierenden Entwicklungen nicht leicht murrend hinnehmen, nur um mich von der Faszination des Wettbewerbs berauschen zu lassen. Ich hoffe aber, dass das Turnier die positiven Entwicklungen im Land und in der Region weiter bestärkt. Dem deutschen Team wünsche ich das Erreichen des Viertelfinales. Für mehr fehlt mir die Überzeugung. Meine Favoriten sind England und Brasilien – die ungewohnten Bedingungen können aber auch für Überraschungen sorgen."

„Diese WM wird sich komisch anfühlen“

Sylvia Westendorp, Trainerin 1. FC Viersen Frauen: "Als Fußballfan möchte ich, je nach Zeit, einige Spiele der Weltmeisterschaft anschauen. Ich unterstütze damit aber nicht die menschenrechtliche Einstellung und schon gar nicht die Homophobie in Katar. Nur weil man als Zuschauer die Veranstaltung boykottiert, kann man meiner Meinung nach nichts an den Verhältnissen vor Ort ändern. Das hätte im Vorfeld von den verantwortlichen Entscheidungsträgern gemacht werden müssen. Auch wenn sich diese Weltmeisterschaft komisch anfühlen wird, beispielsweise ohne Public Viewing im Biergarten – ich bin gespannt auf die verschiedenen Mannschaften und auf interessante Spiele, mit Überraschungen, die vorher niemand auf dem Zettel hat. Aus Europa favorisiere ich die Niederlande, da ich deren Fußball liebe und hoffe, dass sie es endlich mal schaffen, ihre Qualität auf den Platz zu bringen. Ansonsten schätze ich Brasilien und Argentinien als starke Mannschaften ein, denn sie sind mit guten und technisch versierten Fußballern besetzt. Deutschland bleibt für mich – wie so oft – eine Wundertüte. Ich drücke der Mannschaft natürlich die Daumen, würde mich sehr freuen, wenn sie weit kommt und hoffe auf Marc-André ter Stegen im Tor."

„Bringt den Fußball nicht da hin, wo er nicht hingehört“

Damian Schriefers, Trainer SpVg Odenkirchen: "Es wäre ein super Zeichen gewesen, wenn die großen Fußballverbände vor zwölf Jahren direkt nach der Vergabe an Katar gesagt hätten: Wir tragen das bei den ganzen Missständen in diesem Land nicht mit. Das hätte ich gut gefunden und unterstützt. Bringt den Fußball nicht da hin, wo er nicht hingehört – so sehe ich das. Die WM aber jetzt zu boykottieren, das würde aus meiner Sicht nicht mehr helfen. Zumal weder die Teams, noch die Spieler und auch nicht wir Fans etwas dafür können, dass dieses Turnier nun in Katar gespielt wird. Natürlich hätte ich mir als Fußball-Liebhaber gewünscht, dass die WM woanders ausgetragen wird – das können wir jetzt aber leider nicht mehr ändern. Deshalb freue ich mich als Fan auf den Sport, ohne zu vergessen, dass in Katar viele Dinge kritisiert werden müssen. Aus sportlicher Sicht wird es sicherlich eine spannende WM – insbesondere wenn man auf die deutsche Gruppe blickt. Mit Japan wartet ein sehr unangenehmer Gegner gleich im ersten Spiel, und dann kommt ja auch schon Spanien. Grundsätzlich sehe ich Deutschland aber im Kreis der Favoriten. Gemeinsam mit Brasilien, Argentinien und Frankreich, die meine Top-Drei bei dieser Weltmeisterschaft sind."

„Es hilft nur ein Boykott gegenüber den Sponsoren“

Guido Dürbaum, Sportlicher Leiter SC Erkelenz: "Ich werde sicherlich die WM-Spiele der deutschen Mannschaft schauen, auch wenn mein Interesse derzeit noch sehr gering ist. Der kommerzielle Profisport ist nicht für Romantiker gemacht. Am Ende geht es leider allen Beteiligten ums Geld. Für die Verantwortlichen ist der Zuschauer nur ein Beiwerk, dies konnten wir zur Corona-Zeit sehen. Man muss aber auch konstatieren, dass ohne die WM kaum jemand auf die Missstände in Katar schauen würde. Missstände in der Welt können nur die Global Player beheben. Da sie aber gleichfalls gewinnorientiert sind, wird das nur schwer umsetzbar sein. Da hilft nur ein Boykott gegenüber den Sponsoren, so werden sie zum Umdenken gezwungen. Wir in Europa sollten aber auch nicht immer sofort den Zeigefinger erheben. Auch bei uns gibt es noch ausreichend Missstände. Wir lassen in Niedriglohnländern bei menschenunwürdigen Bedingungen produzieren, um unseren eigenen Wohlstand zu erhöhen. Ich hoffe auf ein gutes Abschneiden der deutschen Mannschaft, aber ich denke, im Viertelfinale wird Schluss sein. Favoriten sind für mich Frankreich und Brasilien, weil sie die reiferen Mannschaften haben. Japan oder der Senegal können Überraschungsteams sein."

„Mit gutem Gewissen werde ich nicht schauen können“

Alina Honold, Spielerin FV Mönchengladbach: "Frauenfeindlichkeit, Homophobie, massive Menschenrechtsverletzungen, schlechte Arbeitsbedingungen und die vielen toten Arbeitsmigranten beim Bau der Stadien: Aufgrund all dieser Dinge bin ich mir noch nicht sicher, ob ich die WM überhaupt schauen werde. Das erste Spiel von Deutschland ist ja auch an einem Mittwoch um 14 Uhr. Da werde ich – wie die meisten Menschen – arbeiten und kann es demnach sowieso nicht schauen. Ich bin noch am überlegen, ob ich das Turnier überhaupt verfolgen werden – mit einem guten Gewissen werde ich die Spiele keineswegs schauen können. Es geht zum einem um Fußball, aber eben auch viel um Moral und Politik. Es ist eine schwere Entscheidung für mich, da ich bisher jede WM und EM in meinem Leben verfolgt habe. Ich spiele ja selber noch Fußball und bin schon immer ein großer Fan von solchen Turnieren gewesen. Sportlich glaube ich, dass es für Deutschland mit diesem Kader schwer wird – möglicherweise ist im Achtel- oder Viertelfinale Schluss. Vielleicht kann das Team aber auch überraschen und spielt oben mit – immerhin ist Deutschland eine Turniermannschaft. Meine Favoriten sind aber Brasilien und Frankreich."

„Ich werde lieber zu Amateurspielen gehen“

Frank Mitschkowski, Trainer ASV Süchteln: "Schon seit der Vergabe des Turniers vor zwölf Jahren habe ich persönlich eine sehr kritische Haltung im Hinblick auf die Austragung der Weltmeisterschaft in Katar. Bei der Wahl des Austragungsortes, des stattfindenden Zeitraums, den unpassenden Anstoßzeiten und der vor Ort herrschenden kritisch zu hinterfragenden Vorkommnissen, kann und wird bei mir sicherlich keine Vorfreude aufkommen. Bei den vergangenen Weltmeisterschaften hat man sich privat nach dem Spielplan der Weltmeisterschaft orientiert und alles so gelegt, dass man möglichst viele Spiele sehen kann. Da war die Vorfreude auf dieses Turnier immer riesig. Wie trist Spiele ohne entsprechende Atmosphäre sind, hat uns ja der bittere Zeitraum der Pandemie bereits gezeigt. Und so ähnlich wird es meines Erachtens auch jetzt sein. Es ist so bitter, da dieses Ereignis nun einmal nur alle vier Jahre stattfindet. Ich persönlich schaue mir lediglich mit meinem japanischen Freund Hiro das erste Gruppenspiel der deutschen Mannschaft gegen Japan an. Darüber hinaus werde ich während der Weltmeisterschaft in Katar lieber zu regional stattfindenden Amateurspielen in der Umgebung gehen oder die Zeit mit meiner Familie nutzen."

Aufrufe: 019.11.2022, 21:00 Uhr
Sebastian KalenbergAutor