2024-05-16T14:13:28.083Z

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Jan Seifert(li.) traf für die SpVgg oft per Kopf
Jan Seifert(li.) traf für die SpVgg oft per Kopf – Foto: IMAGO / Sven Simon

„Kopfball- Ungeheuer“: Seifert über die Bundesliga & das Leben danach

DAS WUNDER VON HACHING – VOR 25 JAHREN STIEG DIE SPVGG IN DIE BUNDESLIGA AUF

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Der so eisenharte wie torgefährliche Verteidiger hatte enormen Anteil am Erfolg.

Unterhaching – Auch wenn er in den letzten Saisonspielen nach einer Schulter-OP fehlte, hatte der „Eisenschädel aus dem Osten“, der im sächsischen Freiberg (in der Mitte zwischen Dresden und Chemnitz) geborene Jan Seifert (heute 55) ganz wesentlichen Anteil am „Wunder Unterhaching“. Mit fünf Treffern belegte er in der Aufstiegssaison gemeinsam mit Abdelaziz Ahanfouf, Jochen Seitz und Matthias Zimmermann in der internen Torschützenliste hinter Altin Rraklli (zehn Tore) den zweiten Platz. Und das als Verteidiger. „Es war fast immer das 1:0, der Dosenöffner für einen Sieg“, erinnert er sich.

Vier seiner fünf Tore bedeuteten die Führung für die SpVgg, dreimal folgte ein Sieg (2:0 gegen Gütersloh, 2:0 gegen Ulm und 2:1 gegen St. Pauli), in Gütersloh endete die Partie 1:1 und nur einmal ging Haching nach einem Seifert-Tor als Verlierer vom Platz - beim 1:3 im Hinspiel in Ulm, da gelang ihm kurz vor Schluss der Ehrentreffer. „Jan war als Innenverteidiger für unser Gesamt-Konstrukt brutal wertvoll“, blickt Aufstiegs-Trainer Lorenz Köstner zurück. „Ich hatte die Qualität, als Abwehrspieler nach Standards Tore zu machen“ – erst fünf in der 2. Liga und fünf in der Bundesliga, dann nach dem Abstieg nochmal fünf in Liga 2 und sechs in der Regionalliga.

„Die Kopfballstärke vorne und hinten war mein großes Plus, ich war das Kopfball-Ungeheuer“, sagt der 1,86-Meter-Mann. „Das war auch ein Grund, warum mich Köstner 1998 vom FSV Zwickau nach Unterhaching geholt hat“ – als Ersatz für Stephan Täuber, der zum 1. FC Nürnberg wechselte.

Kurze Bundesliga-Zeit

„Nach dem Abstieg mit Zwickau hat mich Köstner angerufen und gefragt, ob ich Interesse hätte. Es zog sich dann alles ein bisschen hin – bis im Urlaub der Anruf kam: Täuber hat unterschrieben, ich soll kommen.“ In Haching wurde „Seif“ schnell zu einer festen Größe, die Mittelstürmer, die es mit ihm zu tun bekamen, konnten einem leid tun. Die Bundesliga war das große Ziel des Sachsen – schließlich hatte er da noch eine Rechnung offen: In der Saison 1993/94 wechselte der gelernte Schlosser erstmals in den Westen, versuchte nach vier Jahren beim Chemnitzer FC sein (Bundesliga)-Glück unter Trainer Volker Finke beim SC Freiburg.

Dabei ging für den damals 25-Jährigen so ziemlich alles schief, was für einen Fußballer schiefgehen kann. Nach einer schweren Verletzung (Muskelbündelriss im Gesäß) feierte er am 19. Februar 1994 beim 2:4 gegen den 1. FC Köln seine Premiere im Oberhaus (Gegenspieler war Toni Polster). „Mein erstes und letztes Bundesligaspiel. Finke hat mich schon nach 29 Minuten ausgewechselt“ – danach war die Freiburger Karriere beendet. „Ich musste im Prinzip wieder ganz neu anfangen, wollte beweisen, dass ich trotzdem die Qualität habe, in der Bundesliga zu spielen und mir meinen großen Traum zu erfüllen.“

Das gelang Seifert, der mit Chemnitz immerhin schon im Europapokal gespielt hatte, dann in Haching perfekt: „Meine schönste und erfolgreichste Zeit“ – mit 60 Bundesliga-Einsätzen.

Und tollen Erinnerungen. Highlights: „Unser 3:1-Sieg in Dortmund, ein richtig geiles Spiel zehn Jahre nach dem 0:0 in Dortmund im Europapokal am 3. Oktober 1990, am Tag des Mauerfalls. Und mein Tor zum 1:0 gegen 1860 – leider haben die Löwen noch zum 1:1-Endstand ausgeglichen.“

Das Leben nach der Karriere

Nach offiziell 186 Spielen verließ Seifert Haching im Jahr 2004 und wechselte in die Heimat zu Dynamo Dresden – als Spieler, Co-Trainer, u.a. von Ede Geyer) und Spielertrainer der U23. Hier beendete er 2006 seine aktive Laufbahn. Nach einem dreijährigen Zwischenspiel als Trainer und Geschäftsführer bei Landesligist Radebeuler SC (2010 bis 2013) kehrte er zur Saison 2013/14 als Nachwuchs-Leiter zu Dynamo zurück.

Ein Leben für den Fußball also? Von wegen: Im Sommer 2023 löste er seinen Vertrag auf – und begann am 1. September „ein neues Leben“. Jan arbeitet jetzt im öffentlichen Dienst im Dresdner Landesamt für Steuern und Finanzen. „Ich hatte die Schnauze voll vom Fußball. Für mich sind Werte wie Respekt, Disziplin, Demut, Durchsetzungsvermögen, sich gegen Widerstände behaupten, aber vor allen Dingen auch Bodenständigkeit und Empathie zu den Personen, die sich im Fußball engagieren, entscheidend.

Das ist in den letzten Jahren verloren gegangen, mittlerweile geht es in erster Linie ums Materielle, jeder schaut nur auf sich – und auf seine Social Media-Accounts. Um aus diesem Hamsterrad herauszukommen, wollte ich etwas völlig anderes machen“, begründet der Ex-Profi sehr ehrlich seinen ungewöhnlichen Schritt.

Fußball: Nur noch zweimal in der Woche als Co-Trainer der Dresdner U16. Vorteil des neuen Lebens: „Nach 40 Jahren Fußball kann ich jetzt endlich auch mal ein Wochenende planen.“

Seiferts Bodenständigkeit zeigt sich auch im Privatleben: Er ist seit 1991 mit seiner Lebensgefährtin Kathrin, die auch aus Freiberg stammt, liiert (mit der machte er letztes Jahr eine Alpen-Überquerung von Tegernsee bis Sterzing) und wohnt noch immer in der Doppelhaus-Hälfte, die er 2004 in Dresden-Pennrich bezogen hat. Auch die Töchter Luise (24) und Emily (22) leben noch bei ihren Eltern.

Mit beiden verbindet sich übrigens jeweils ein Stück Hachinger Fußball-Geschichte: Luise wurde am 14. August 1999 geboren – am Tag des ersten Bundesliga-Auftritts der SpVgg in Frankfurt (0:3-Niederlage). Und Emily erblickte am 16. März 2002 um 7.55 Uhr das Licht der Welt. Am Nachmittag feierte Haching in Liga 2 mit dem 8:0 gegen Saarbrücken den höchsten Sieg des Vereins im Profifußball. „Leider hat mich Trainer Rainer Adrion da nicht eingewechselt“, bedauert Seifer. „Den Fußball, den ich erlebt habe, möchte ich nicht missen. Unsere Hachinger Mannschaft war sportlich und menschlich überragend. Ich wäre auch geblieben“, verrät er, „wenn man mir eine Perspektive für die Zeit nach der Karriere hätte bieten können.“ Immerhin: Neben den Erinnerungen hat Seifert ein Stück aus seiner Hachinger Zeit bewahrt: Die 500er Kawasaki, die der Motorrad-Fan damals in Ottobrunn gekauft hat.

Familie
Familie – Foto: privat

Aufrufe: 029.4.2024, 13:40 Uhr
Thomas ErnstbergerAutor