2024-05-02T16:12:49.858Z

Interview
Ali Gökdemir im Optima-Sportpark. Ufuk Arslan
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Sportfreunde Hall Kapitän Ali Gökdemir im Interview

„Eltern haben immer Recht“

Ali Gökdemir ist ein herausragender Fußballer. Seit dieser Saison führt der Ex-Nationalspieler Aserbaidschans die Sportfreunde Hall als Kapitän an.

Der Mann hat in seinen knapp 26 Jahren viel erlebt. „Ich könnte ein Buch darüber schreiben“, meint Ali Gökdemir und lacht dabei. Dabei war längst nicht alles in seiner Profikarriere zum Lachen. Zwar hat er vor 60 000 Zuschauern gegen Cristiano Ronaldo gespielt. Doch im Gespräch wird deutlich, dass die Familie ihm extrem gefehlt hat und sie ein gewichtiger Grund war, die Profikarriere zu beenden. Schwäbisch Hall ist Gökdemirs Heimat, auch wenn er in Hagen geboren ist. Mit den Sportfreunden hat er den Saisonstart in den Sand gesetzt. Nun will er mit seinen Teamkollegen an diesem Samstag gegen Calcio Leinfelden-Echterdingen die ersten Punkte der Saison holen.

Herr Gökdemir, 1:2 in Wangen, 1:4 gegen Dorfmerkingen, 1:5 in Sindelfingen. Der Saisonstart ist…

… bis jetzt misslungen. Die Qualität der Mannschaft stimmt allerdings schon. Nur müssen wir unsere Trainingsleistung auch im Spiel umsetzen. Das Ergebnis von Sindelfingen ist viel zu hoch ausgefallen. Wir hatten den VfL eigentlich im Griff. Aber so ist Fußball: Die effektivere Mannschaft gewinnt immer.

Das Team hat einen riesigen Umbruch zu verkraften.

Wir gehören zu den drei jüngsten Mannschaften der Liga. Bei uns sind auch einige aus der A-Jugend aufgerückt. Das muss man bedenken, gerade hier in Hall, wo die Ansprüche hoch sind. Ich wünsche mir, dass unsere Anhänger gerade die Jüngeren unterstützen. Diese brauchen diese positive Aufmunterung. Dass wir nun Punkte holen müssen, ist ganz sicher bei jedem angekommen.

Sie wurden in der vergangenen Spielzeit zweimal operiert, kamen aber dennoch auf 13 Einsätze und haben auch die Relegation gespielt. Wie fit sind Sie?

Ich bin auf dem Weg fit zu werden. Ich habe gerade in der vergangenen Runde viel unserem Physio Christian Neitzel zu verdanken. Er war nahezu täglich für mich da und hat sich auch privat noch Zeit für mich genommen.

Warum sind Sie nach der verkorksten Saison nicht zu einem anderen Verein gegangen?

Ich hatte sehr gute Angebote bis zur Regionalliga und auch aus der Türkei. Aber ich wollte nicht wechseln. Geld ist nicht alles.

Wie meinen Sie das?

Als ich noch Profi war und in Hannover, der Türkei und in Aserbaidschan spielte, hatte ich nichts von meiner Familie. Ich hatte mehr und mehr das Gefühl, dass das Profileben nur noch ein Geschäft ist. Es ging nur um Geld, Geld, Geld. Ja, ich habe gegen Cristiano Ronaldo gespielt und habe das Nationaltrikot Aserbaidschans unter dem damaligen Nationaltrainer Berti Vogts getragen – aber bin ich dadurch ein besserer Mensch geworden? Ich wollte in meine Heimat, zu meiner Familie zurück.

Haben Sie den Kontakt zum Verein gesucht?

Ja, Thorsten Schift hat mir damals sehr geholfen. Der Verein hat mir geholfen. Da möchte ich nun etwas zurückgeben. Außerdem möchte ich unbedingt meine Ausbildung abschließen. Im vergangenen Jahr hatte ich aufgrund meiner Verletzungen 16 Fehlwochen. Das macht auch nicht jeder Arbeitgeber mit.

Wie kam es dazu, dass Sie für Aserbaidschan gespielt haben?

Mein Opa hat in Aserbaidschan gearbeitet und so auch die Staatsbürgerschaft erhalten. Die Türkei und Aserbaidschan sind sich sehr ähnlich, auch was die Sprache betrifft. Das kann man mit Deutschland und Österreich vergleichen. Als ich von Berti Vogts für die A-Nationalmannschaft eingeladen wurde, habe ich gleichzeitig auch eine Anfrage der türkischen U-21-Nationalmannschaft erhalten. Damals war dort Tayfun Korkut Trainer. Also der, der mich zwei Jahre später bei Hannover, als er neu dazukam, aus dem Kader der ersten Mannschaft geworfen hat – ohne mich auch nur ein einziges Mal gesehen zu haben. Deshalb habe ich mich in die Türkei ausleihen lassen.

Wenn Sie auf Ihre Profikarriere zurückblicken – ist Ihr Lebenslauf vorbildhaft?

Bestimmt nicht. Ich würde im Nachhinein vieles anders machen, beispielsweise hätte ich mich viel mehr um meinen Schulabschluss kümmern sollen. Was mir immer wichtig war und ist: Ich will ein Vorbild für Migranten sein. Das betrifft alles, die Spreche, das Verhalten. Es macht mich stolz, wenn kleine Kinder sagen: Ich will so sein wie Ali abi. Abi bedeutet „großer Bruder“.

Haben Sie Erfahrungen mit Geschwistern?

(lacht) Und ob. Ich habe sieben Geschwister. Zu Hause musste deshalb jeder auch Arbeiten übernehmen. Kochen, putzen, Wäsche waschen. Damals habe ich es natürlich nicht gemocht, doch als ich dann alleine auf mich gestellt war, habe ich davon extrem profitiert. Deshalb sage ich heute mit Überzeugung: Die Eltern haben immer recht.

2013 haben Sie sich an einer Aktion gegen Rassismus beteiligt. Wie stark waren beziehungsweise sind Sie selbst davon betroffen?

Zunächst: Rassismus geht jeden von uns an, denn es gibt auch Rassismus gegen Weiße. Ich kann mich an eine Szene beim damaligen Regionalliga-Auswärtsspiel von Hannover 96 II bei RB Leipzig erinnern. Ich saß zunächst auf der Bank und musste mich dann vor den RB-Fans warmmachen. Zunächst haben diese Affengeräusche gemacht. Das hat mich etwas gewundert, da ich kein Schwarzhäutiger bin. Dann habe ich einen Fan mit den Augen fixiert, der gerade ein Salamibrötchen aß. Er hat es mir zugeworfen, wollte mich so beleidigen, weil es Schweinefleisch war. Was er nicht wusste: Ich esse Schweinefleisch, würde mich deshalb auch völlig integriert nennen. Also habe ich das Brötchen genommen und abgebissen. Für mich war das eher lustig, selbst als dann noch Obst und einiges mehr geflogen kam.

Nicht jeder kann das als lustig empfinden.

Das mag schon sein. Aber es ist doch so: Heutzutage leben wir in einer Welt, manche sind halt zurückgeblieben.

Aufrufe: 09.9.2017, 07:57 Uhr
HT / Hartmut RufferAutor