2024-05-17T14:19:24.476Z

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An der Seitenlinie aktiv: Roger Reitschmidt (rechts) zählt zu den erfahrenen Trainern im Kreis.	Archivfoto: Gümbel
An der Seitenlinie aktiv: Roger Reitschmidt (rechts) zählt zu den erfahrenen Trainern im Kreis. Archivfoto: Gümbel

»Loyalität stand für mich immer über allem«

PORTRAIT: +++ Roger Reitschmidt feierte jahrelang als Assistenztrainer große Erfolge +++

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Gießen. Vom Co-Trainer einer Fußball-Mannschaft zum Cheftrainer – das ist manchmal ein ganz kurzer Weg, wenn der Chefcoach entlassen wird, weil der Erfolg ausgeblieben ist oder die Chemie nicht mehr passt und der Assistent nachrückt. Weil die interne Lösung den Vorteil hat, dass Spieler und Verantwortliche den bisherigen Co-Trainer bereits kennen und auch ihm Mannschaft und die Strukturen im Verein schon vertraut sind und somit eine längere Eingewöhnungszeit wegfällt.

Einer der mehr als ein Jahrzehnt gebraucht hat, es vom Assistenten zum allein verantwortlichen Coach einer höherklassigen Mannschaft zu bringen, ist Roger Reitschmidt. Zwar hatte der heute 54-Jährige von 1998 an zwei Jahre bei seinem Heimatverein TuS Eberstadt in der Spielgemeinschaft mit dem SV Dorf-Güll das Amt des Spielertrainers inne, aber erst als Stefan Hassler ihn zum VfB 1900 Gießen als dessen Co holte, begann die eigentliche Trainerkarriere des B-Schein-Inhabers. „Ich war sehr froh, dass Stefan Hassler mich geholt hat. Es war für mich ein Riesensprung von der unteren Klasse in das Halbprofitum beim Hessenligisten in Gießen. Ich musste mich zuerst zurechtfinden, und ich habe versucht, viel aufzunehmen und zu lernen in dieser für mich anderen Fußballwelt“, ist Reitschmidt noch heute dankbar für diese Erfahrungen, die er in Gießen sammeln konnte. Gelernt hat er auch nach einem Jahr beim SC Watzenborn-Steinberg, als er zum ersten Mal zum SC Waldgirmes kam und seinen Chefs Willi Wagner, Ottmar Wagner und Andreas Duchscherer assistierte. Auch von der langjährigen Erfahrung von Niko Semlitsch, der nach seiner aktiven Profizeit bei Kickers Offenbach und 1. FC Saarbrücken den FSV Frankfurt in der Hessenliga trainierte, hat Reitschmidt wie anschließend auch vom Ex-Frankfurter Bundesliga-Profi Thomas Epp beim SV Erzhausen in Hessens höchster Amateurliga profitiert. Anschließend folgten ab 2014 noch zwei Jahre als Assistent von Jürgen Hendrich bei Eintracht Wetzlar.

Und wollte er denn nicht mal der erste Mann im Trainerteam sein? „Ich hatte nie ein Problem damit, als Co-Trainer in der zweiten Reihe zu stehen. Ich habe das auch nie so empfunden, denn das hat mich nie einer spüren lassen. Natürlich möchte man der Chef werden, aber Loyalität stand für mich immer über allem“, verrät der gelernte Bankkaufmann. Und das prägte auch das Verhältnis zu Willi Wagner und besonders zu Thorsten Krick, dessen Assistent Reitschmidt von 2005 bis 2011 beim SC Waldgirmes war. „Von den Erfolgen her und dem angenehmen Miteinander war das eine ganz tolle Zeit“, schwärmt er noch heute von diesen Jahren, in der er mit den Lahnauern mit einer Hessenmeisterschaft (2009), bei der der SC auf einen Aufstieg in die Regionalliga verzichtete, drei Vize-Meisterschaften und drei dritten Plätzen große Erfolge feierte. Auch sein damaliger Chef Krick schwärmt auch heute noch geradezu von dieser gemeinsamen Zeit mit Reitschmidt. „Das war damals eine fantastische Zusammenarbeit mit Roger, die geprägt war von gegenseitigem Respekt und Loyalität. Wir waren zwar verschiedene Menschentypen, haben uns aber gut ergänzt und die Entscheidungen gemeinsam getragen. Roger hat mir den Rücken freigehalten, Spielbeobachtungen gemacht, neue Spieler gesichtet und auch Stimmungen in der Mannschaft erkannt. Ich brauchte nie Angst haben, dass er meinen Job wollte - und wir hatten viel Spaß zusammen.“

„Auf den Aufstieg zu verzichten war schade, aber genau die richtige Entscheidung für den Verein“, glaubt Reitschmidt auch heute noch. „Sensationell!“ erinnert er sich an unvergessene Spiele, als der SCW u.a. 2008 bei Darmstadt 98 vor 5000 Zuschauern nach zwei Treffern von Andre Weinecker 2:1 gewann, und in Offenbach nach einem 0:3-Rückstand die Partie noch zu einem 4:3-Sieg drehte. Ironie des Schicksals, dass sechs Jahre später eine 3:4-Niederlage – nach 3:0-Führung – in Vellmar zur Entlassung des Trainer-Gespanns Krick und Reitschmidt in der Lahnaue führte.

Der Wechsel auf den Posten des Cheftrainers kam dann beim FSV Fernwald, wo Reitschmidt in der Saison 2014/15 den FSV nach seinem freiwilligen Rückzug aus der Hessen- in die Kreisoberliga zunächst vor dem Abstieg bewahrte und dann zwei Aufstiege in Folge bis in die Verbandsliga feiern konnte. Nachdem die Rückkehr in die Hessenliga in der Relegation gegen Türk Gücü Friedberg gescheitert war, folgte in Fernwald der Abgang von Reitschmidt, der 2018 beim neu gegründeten FC Gießen als Scout anheuerte. Da ist er für die Spielbeobachtungen und -analysen der künftigen Gegner in der Regionalliga und von potenziellen neuen Spielern zuständig. Und auch seit Reitschmidt nach der Demission von Marcel Cholibois nach der Winterpause das Training der Verbandsliga-Mannschaft des FC Gießen II übernommen hat, arbeitet er Regionalliga-Coach Daniyel Cimen als Scout zu.

Daneben macht es ihm seit Jahren Spaß, Talente in der Fußball-Akademie des Ex-Frankfurter Profis Harald Karger („Schädel-Harry“) und in den Ferien-Camps von Real Madrid zu trainieren. „Der Fußball ist ein ganz, ganz wichtiger Baustein in meinem Leben. Und es war ganz bedeutend, dass ich diese Entwicklung mit hochqualifizierten Kollegen machen durfte. Ich bin bis heute dankbar dafür und habe noch ein sehr gutes Verhältnis zu allen und kann diese Kontakte immer noch nutzen“, zieht der Vater eines ebenfalls Fußball spielenden Sohnes ein überaus positives Fazit seiner facettenreichen Karriere als Co- und Cheftrainer.



Aufrufe: 06.4.2020, 08:00 Uhr
Rolf BirkhölzerAutor