2024-05-29T12:18:09.228Z

Interview der Woche
– Foto: Martinschledde

Julian Hesse: »Zu Dennis Brinkmann gab es keinen Kontakt«

Trainer des Oberligisten FC Gütersloh spricht über die sportliche Rettung des ehemaligen Abstiegskandidaten. Der 30-Jährige erklärt auch, warum Reisen ihm helfen, den Fußball einzuordnen.

In der Winterpause war der FC Gütersloh Schlusslicht in der Oberliga – die Saison beendete die Mannschaft auf Rang zehn. Ein großer Anteil am Klassenerhalt wird dem neuen Trainer Julian Hesse zugeschrieben. Und wie sieht der 30-Jährige das? Wir haben nachgefragt. Im großen XXL-Interview.

Viele sprachen bei der sportlichen Rettung von einem Wunder. Passt Ihnen diese Wortwahl?

JULIAN HESSE: Über die Wortwahl habe ich mir noch nicht so viele Gedanken gemacht. Ich habe erst vor zwei Wochen das erste Mal den Bericht gelesen, wonach Heribert Bruchhagen gesagt haben soll, dass die Mannschaft zu 90 Prozent abgestiegen sei. Ich kann nur folgendes sagen: Als wir uns am Tag eins getroffen haben, haben wir gesagt, dass wir alles dafür geben wollen, um uns am letzten Tag ehrlich in die Augen schauen zu können und sagen zu können, dass wir alles versucht haben. Tatsächlich haben wir in den letzten drei Monaten eine Zeit erlebt, an die wir alle uns auch noch länger zurückerinnern werden. Das war schon etwas Besonderes.

Womit ist die Wandlung des FCG von einem verunsicherten Abstiegskandidaten zu einem selbstbewussten Punktejäger zu erklären?

HESSE: Ich möchte die Arbeit vor meiner Zeit nicht beurteilen. Ich habe eine Mannschaft vorgefunden, die nicht verunsichert war, sondern eine Mannschaft mit guten Fußballern und tollen Charakteren. Und sie hat unheimlich viel investiert – nicht nur in den Spielen, sondern auch im Training.

Hatten Sie jemals Kontakt mit ihrem Vorgänger Dennis Brinkmann?

HESSE: Mit Tim häufiger, mit Dennis nicht.

Warum nicht?

HESSE: Ich mag es nicht, mich in meiner Meinungsbildung beeinflussen zu lassen.

Alle loben Ihre rhetorischen Fähigkeiten: Kann man Spieler, kann man eine Mannschaft stark reden?

HESSE: Darum geht es nicht. Es geht darum, Wege zu finden, auf denen man mit der Mannschaft gemeinsam Lösungen entwickelt – und dass das Lösungen sind, an die Spieler, die in die Verantwortung gezogen werden wollen, auch glauben. Nur stark reden ist schwierig. Im Übrigen ist es mir wichtig, noch einmal zu betonen: Es wurde sehr viel über mich geschrieben, aber es steckt viel mehr dahinter, nämlich ein extrem großes Team. Das fängt an bei der Wohlfühlatmosphäre, die diejenigen schaffen, die unsere Wäsche waschen, geht über Hartmut Güth und unsere Physiotherapeutin Laura bis hin zu Alex Schiller als Co-Trainer. Und den Hauptanteil hat die Mannschaft geleistet.

Sie haben auf der Jahreshauptversammlung gesagt, es sei nicht mutig von Ihnen gewesen, zum FCG zu gehen, sondern mutig vom FCG, Ihnen die Aufgabe zu übertragen. Worin bestand der Mut? Darin, dass man ausgerechnet einen Verler zur Rettung des FC Gütersloh holte?

HESSE: Nein, eher darin, dass man in einer sportlich extrem brisanten Situation einen 30-jährigen Trainer aus einer zwei Klassen tieferen Liga geholt hat, der noch nie höher als Landesliga gearbeitet hatte. Viele Vereine hätten wohl eher Erfahrung verpflichtet.

Wer hat eigentlich den Tipp gegeben, Sie zu holen?

HESSE: Ich habe gehört, dass es ein Gespräch gegeben haben soll zwischen dem Vorstand des FCG und Dirk Starke vom VfB Fichte Bielefeld. Das hat mich selbst überrascht, weil ich dort nicht so viel Kontakt mit ihm hatte. Offenbar hat er nicht ganz so schlechte Worte über die Arbeit verloren, die wir damals dort geleistet haben.

Trotzdem mussten Sie in Bielefeld nach dem Titelgewinn in der Landesliga gehen. Wie weh tat es, 2017 auf der Rußheide von Mario Ermisch verdrängt zu werden?

HESSE: Überhaupt nicht. Es ist dadurch eher eine besondere Geschichte geworden. Als die Entscheidung in der Winterpause verkündet wurde – wir waren damals bereits Tabellenführer – wurde es schon schwieriger, die Mannschaft zu führen. Aber wie die Mannschaft dann mitzog, hat die Zeit außergewöhnlich gemacht. Und es hat mich als jungen Trainer geprägt, einen sehr bekannten und sehr erfolgreichen Trainer immer wieder auf dem Tribünenplatz direkt hinter der Trainerbank sitzen zu haben.


Ist schon der Amateurfußball in dieser Beziehung ein schmutziges Geschäft?

HESSE: Ich halte es für problematisch, Dinge aus dem Profifußball auf den Amateursport herunterzubrechen. Ich finde die Entwicklung im Profibereich, sich von Trainern zu trennen, die nicht wirklich erfolglos waren – zum Beispiel ein Dieter Hecking – bedenklich. Ich verstehe, dass am Ende des Tages die Ergebnisse entscheidend sind. Trotzdem finde ich es schwierig die Arbeit eines Trainers nur anhand der Ergebnisse zu beurteilen. Da werden teilweise Entscheidungen von Leuten getroffen, die sich nicht ein Training angeschaut haben und keine Ansprache mitbekommen haben.

Wie gefällt Ihnen der Profifußball?

HESSE: Ich finde es schade, dass extrem viele neue Wettbewerbe diskutiert werden und schon entstanden sind, und dass überlegt wird, die großen Wettbewerbe wie WM und Champions-League weiter aufzublähen. Darunter leidet letztlich die Qualität. Und man muss aufpassen, dass man sich bei der Kommerzialisierung nicht zu weit von der Basis verliert.

Ist es für Sie persönlich ein Ziel, irgendwann mal als Trainer im Profifußball zu arbeiten?

HESSE: Als ich vor sechs Jahren anfing, habe ich mir als Ziel gesetzt, mal im Bereich Oberliga/Regionalliga zu trainieren. Das habe ich damals für sehr ambitioniert gehalten, weil ich ja selber nicht in dem Bereich gespielt hatte. Nun sind in den letzten Jahren sehr viele Dinge sehr glücklich gelaufen. Jetzt möchte ich mal schauen, wo es hin gehen kann, und ich bin bereit, sehr viel dafür zu investieren. Mein Lebensglück definiere ich aber nicht über den Profifußball.

In Ihrer Ansprache letzte Woche vor den FCG-Mitgliedern haben Sie sinngemäß gesagt, wir alle sollten uns immer wieder vergegenwärtigen, dass es uns in Deutschland vergleichsweise sehr gut geht. Warum sagen Sie so etwas?

HESSE: Ich liebe den Fußball über alles, er ist ein extrem wichtiger Bestandteil in meinem Leben, und er hat mir schon sehr viele schöne Momente geschenkt. Aber ich finde, man muss die Situationen richtig einordnen. Ich bin mit meinem Papa groß geworden, der ein paar Jahre krank war. Und auf meiner Weltreise habe ich Länder wie Indien gesehen und mir dort auch die Slums angeschaut. Klar kann man meckern, wenn es im Fußball gerade mal nicht gut läuft, aber man sollte immer auch das große Ganze sehen. Deswegen war es für mich zwar eine größere Verantwortung als in Verl, aber keine persönliche Drucksituation, in Gütersloh den Tabellenletzten der Oberliga zu übernehmen. Im großen Gesamtbild ist das schon noch eine sehr angenehme Situation.

Sie reisen sehr viel. Gerade waren Sie ein paar Tage in Marrakesch, bald geht es nach Indonesien. Was suchen Sie?

HESSE: Ich mag es, neue Länder, neue Kulturen und vor allem neue Lebensmodelle kennenzulernen. Bei uns ist ja alles schon sehr kapitalistisch ausgerichtet. Ich finde es wichtig, sich selbst immer mal wieder Bodenständigkeit vor Augen zu halten. Das vergisst man im stressigen Alltag schnell und wird dann rasch zum Mecker-Bürger. Wenn man andere Dinge erlebt hat, weiß man, dass man ein sehr, sehr großes Geschenk mitbekommen hat, hier groß geworden zu sein und in solchen Verhältnissen leben zu dürfen.

Empfinden Sie Verständnis für den politischen Stimmungswechsel in Deutschland? Haben Sie vielleicht sogar Sympathie für den Trend hin zu den Grünen und dem Appell, die Schöpfung zu bewahren?

HESSE: Es gibt ja zwei Strömungen in Deutschland. Mit der einen kann ich mich deutlich mehr identifizieren. Ich finde es wichtig, mit dem, was uns geschenkt wurde, behutsam umzugehen und zu hinterfragen, was Klimawandel bedeutet und das herunterzubrechen auf die eigene Art der Ernährung oder die Nutzung der Verkehrsmittel. Mit der anderen Strömung, dass es in einigen EU-Ländern in Richtung rechts geht, kann ich mich überhaupt nicht identifizieren. Ich finde es schade, dass eine nicht greifbare Angst geschürt wird – und da spielen Medien ja eine große Rolle. Ich finde es sehr wichtig, dass im Bildungssystem Wege vermittelt werden, wie man Medien richtig konsumiert.

Wie konsumieren Sie persönlich Medien?

HESSE: Ich versuche, meine Informationen über ein Thema nicht nur aus einem Medium zu beziehen, sondern aus mehreren Zeitungen, Zeitschriften und Internetportalen. Neulich habe ich zum Beispiel ein einstündiges Interview mit dem syrischen Staatschef Assad im Schweizer Staatsfernsehen über die Lage in seinem Land gesehen. Seine Bedingung war, dass das Interview komplett ausgestrahlt wird. Dann habe ich geschaut, welches deutsche Medium darüber berichtet hat – es war ausschließlich die Bild-Zeitung, und die Inhalte waren sehr verfälscht dargestellt. Es gibt ohnehin nicht die eine Wahrheit, aber es ist für den Konsumenten schwer, die Berichterstattung einzuordnen.

Zurück zum FC Gütersloh: Hier war das Bild in den Medien zuletzt sehr einheitlich – und zwar positiv. Sehen Sie die Gefahr, dass man Sie und die Mannschaft zu sehr in den Himmel hebt?

HESSE: Die Gefahr sehe ich nicht. Intern können wir das jedenfalls alle vernünftig einordnen. Klar, in Gütersloh fangen die Fans und das Umfeld schnell an zu träumen, und es ist auch gut und wichtig, Träume zu haben. Aber wir wissen schon, wie wir die Spiele gewonnen haben. Da war kein Spiel dabei, in dem wir den Gegner extremst dominiert haben. Da standen viele Partien Spitz auf Knopf und wir haben uns das Matchglück erarbeitet.

Was haben wir in der nächsten Saison von der Mannschaft des FC Gütersloh zu erwarten?

HESSE: Wir wollen schon versuchen, teilweise noch etwas mutiger zu attackieren. Wir wollen also noch ein bisschen variabler werden in dem zurückgezogenen Mittelfeld-Pressing, das wir bisher häufig gespielt haben. Und wir wollen uns punktemäßig verbessern.

Ist der Kader komplett?

HESSE: Die Personalie Eric Yahkem steht noch aus, aber da sieht es sehr gut aus. Danach würde der Kader mit 23 Spielern stehen. Wir hatten uns vorgenommen, das zum jetzigen Zeitpunkt abgeschlossen zu haben, damit alle vernünftig in Urlaub gehen können, um auch mal zwei bis drei Wochen komplett vom Fußball abzuschalten.



Zur Person:

Julian Hesse wurde am 1. März, genau an seinem 30. Geburtstag, vom FC Gütersloh kontaktiert und drei Tage später verpflichtet. Zuvor hatte der gebürtige Bielefelder den SC Verl II und den VfB Fichte Bielefeld in der Landesliga trainiert. Als Spieler war er für den VfB Fichte (Verbandsliga) und den FC Stukenbrock aktiv gewesen, bis er seine Laufbahn zugunsten einer einjährigen Weltreise beendete. Hesse ist im Besitz der DFB-Elite-Jugend-Lizenz und beabsichtigt den Erwerb der A-Lizenz.

Beruflich ist er nach Beendigung der Studiengänge Journalismus (Bachelor) und Crossmediale Kommunikation (Master) an der Universität Bielefeld bei einem Bielefelder Unternehmen im Bereich Online-Marketing tätig.

Aufrufe: 014.6.2019, 17:45 Uhr
Wolfgang Temme / FuPaAutor