2024-05-02T16:12:49.858Z

Interview
Unvergessliche Momente: Rafael Czichos genehmight sich nach dem Aufstieg in Großaspach einen Schluck aus der Sektpulle. Foto: getty
Unvergessliche Momente: Rafael Czichos genehmight sich nach dem Aufstieg in Großaspach einen Schluck aus der Sektpulle. Foto: getty

Holstein Kiel: Ein Fußballjahr voller Höhepunkte

Czichos: ,,Entwickeln uns immer noch weiter"

Ein aufregendes Jahr liegt hinter Holstein Kiel. Zweitliga-Aufstieg, Landespokalsieg, Herbstmeister, Träume vom Oberhaus – das erste Zweitliga-Jahr seit 36 Jahren bietet einen Höhepunkt nach dem anderen. Hauptfigur des Höhenflugs: Kapitän Rafael Czichos, der in der Hinrunde keine Minute verpasste. Wir sprachen mit dem 27-Jährigen über die Gründe für den Erfolg, die Ziele, die Rolle als Spielführer und seine persönliche Entwicklung.

Spitzenreiter, Herbstmeister, Bundesliga-Ambitionen – die Schlagzeilen beherrscht Holstein Kiel derzeit dank der guten Vorrunde. Nervt es manchmal schon, ständig auf einen möglichen Aufstieg angesprochen zu werden?
Ich glaube, es gibt schlechtere Themen, über die spekuliert werden könnte. Wenn wir jetzt unten stehen würden und man wieder über die 3. Liga im nächsten Jahr reden würde, wäre das deutlich schlimmer. Wir sind froh, dass wir da sind, wo wir sind. Aber wir wissen auch, dass es im nächsten halben Jahr nicht leichter für uns werden wird. Da wird die Konkurrenz nachlegen. Wir müssen jede Woche wieder am Limit spielen und wollen versuchen, möglichst weit oben zu stehen am Ende der Saison.


Das Wort Bundesliga steht noch auf dem Index?

Bei uns intern auf jeden Fall. Natürlich ist es schön, wenn man am Ende der Hinrunde Erster ist. Aber wie oft gab es das schon, dass eine Mannschaft oben stand und dann noch abgerutscht ist. Allein in der 3. Liga kann ich mich an einige Fälle in den letzten Jahren erinnern, Osnabrück beispielsweise. Wir dürfen uns nicht von der jetzigen Tabellenposition blenden lassen.

Fällt es in dieser Situation schwer, das Denken von Spiel zu Spiel, das Holstein zuletzt immer auszeichnete, aufrecht zu erhalten? Ist die Ablenkung dafür vielleicht zu groß?
Ich finde das bei uns erstaunlich, dass immer der Wille, das nächste Spiel wieder zu gewinnen, so groß ist. Während der Woche ist immer auch die gewisse Lockerheit da, das ist auch gut so. Aber pünktlich zum Spieltag merkt man: Jeder will einfach nur diese drei Punkte holen. Daraus ziehe auch den Mut, dass wir in der Rückrunde nicht einbrechen werden.

Was ist es, was Holstein Kiel im Jahr 2017 auf dem Platz ausgemacht hat?

Es ist die Spielweise. Man merkt, dass alle füreinander da sind. Die Zuschauer merken das und das sieht man auch, wenn man mit Leuten spricht oder in den sozialen Netzwerken liest. Da sagt jeder: Ihr seid eine geile Truppe. Die Leute merken, dass wir vielleicht nicht alle beste Freunde sind, aber dass wir uns alle verstehen. Jeder macht etwas für den anderen. Wenn der eine einen Fehler macht, ist der andere da. Ich glaube, das hat der Trainer richtig gut reinbekommen. Hinzu kommt, dass wir auch für spektakulären Fußball stehen, wo fast immer Tore fallen und es etwas zu gucken gibt. Ich vergleiche das gerne mit Werder Bremen vor einigen Jahren. Da ging es auch immer hoch her und jeder hat gerne zugeschaut. Wir stehen inzwischen sogar defensiv stabiler als die Bremer damals.

Wie wichtig ist Trainer Markus Anfang – sowohl für die Spielweise als auch für die Mentalität?

Natürlich sehr wichtig. Er hat dieses System mitgebracht. Es hat auch unter ihm eine gewisse Zeit gedauert, bis wir alles so richtig verinnerlicht hatten. Das hat sich ja noch bis zum Frühjahr hingezogen. Da waren wir zwischendurch ja auch irgendwo im Nirgendwo in der 3. Liga, bis wir uns dann zusammengerauft haben. Dieses System, das jetzt auch andere Leute sehen, ist das Entscheidende. Das funktioniert, wenn man die richtigen Spieler dafür hat, und die haben wir. Der Trainer hat eine Super-Ansprache. Er spricht immer zum richtigen Zeitpunkt die richtigen Sachen an. Das hat man auch nicht so oft. Gut, dass er zu uns gekommen ist.Alle hoffen, dass er auch noch lange bleibt.

Wie geht die Mannschaft mit den Gerüchten der letzten Wochen um, die Markus Anfang mit Köln oder Hoffenheim in Verbindung bringen?

Natürlich flachst man darüber. Wir laufen ja nicht blind durch die Welt oder halten uns die Ohren zu. Man wird von Außenstehenden angesprochen und gefragt, ob der Trainer bleibt. Da kann ich dann nur sagen: Keine Ahnung. Aber ich glaube nicht, dass uns der Trainer so einfach verlassen würde. So schätze ich ihn nicht ein. Wenn der Verein ihn gehen ließe, wäre das traurig und für jeden von uns schade. Aber im Fußball-Geschäft ist leider alles möglich.

Gab es einen Moment, an dem Sie davon voll überzeugt waren, dass es mit dem System von Markus Anfang optimal funktioniert?
Eigentlich schon vom ersten Spiel an, wo wir damals in Paderborn 3:1 gewonnen haben. Auch wenn Paderborn damals in einer schlechten Phase war, hat man schon gesehen: Es kann funktionieren, wenn man es perfekt spielt. Es hat dann noch einige Zeit gedauert, bis es dann wirklich perfekt war. Aber die Überzeugung war relativ schnell da. Das hat dann auch den Erfolg gebracht. Wenn du nicht daran glaubst, was du machst, solltest du es lieber auch gleich sein lassen.

Noch im Frühjahr waren Spiele dabei wie beispielsweise das 0:1 in Zwickau...

Da sitzt man dann hinterher im Bus und fragt sich: Wie konnten wir gegen die verlieren? Da muss man dann die richtigen Schlüsse daraus ziehen. Das ist ein Lernprozess. Den hatten wir auch in diesem Jahr wieder, als wir gegen St. Pauli verloren und nicht die Mittel gegen einen tief stehenden Gegner gefunden haben. Zum Beispiel gegen Braunschweig haben wir das schon deutlich besser gemacht. Da entwickeln wir uns immer noch weiter, und das ist auch noch lange nicht abgeschlossen.Was waren

Ihre persönlichen Highlights in diesem außergewöhnlichen Jahr 2017?

So bitter das Jahr davor war, so schön war das Jahr jetzt. Der Aufstieg war für uns alle, insbesondere für die, die noch nie aufgestiegen waren, der große Traum. Als wir es dann in Großaspach geschafft hatten, waren das Gefühle, die man nicht beschreiben kann. Das wird einen immer begleiten. Und für mich persönlich wird 2017 natürlich auch durch die Geburt meines Sohnes noch ein ganz besonderes Jahr bleiben. Dass wir dieses Jahr jetzt auch noch so abschließen konnten, ist die Krönung. Wenn mir einer vor einem Jahr gesagt hätte, dass wir jetzt Herbstmeister der 2. Bundesliga sind, hätte ich gesagt: Was auch immer du nimmst, nimm weniger davon! Das ist schon Wahnsinn.

Wie groß ist Ihr Anteil als Kapitän am Erfolg?

Ich glaube nicht, dass ich jetzt der große Macher der Ganzen bin. Die Mannschaft macht es uns im Mannschaftsrat ziemlich einfach. Es gibt niemanden, dem man jeden Tag hinterher laufen muss. Es gibt auch mal die Situation, dass jemand ein, zwei Tage aus dem Ruder läuft. Aber das hat sich bei uns eigentlich immer von alleine geregelt. Da wird im Mannschaftsrat drüber gesprochen, was man machen soll und dann abgestimmt. Und das tragen dann auch alle mit. Es muss Respekt da sein, und die Jungs haben alle Respekt vor mir. Auch zum Trainer habe ich ein gutes Verhältnis, sodass ich ihm Sachen mitteilen kann, die vielleicht wichtig sein können, und umgekehrt er auch mir Dinge sagen kann, die ich dann weitergebe.

Sie haben in der vergangenen Woche betont, dass Sie auch auf Spieler zugegangen sind, um die es öffentliche Diskussionen um Anfragen anderer Vereine gab und gibt. Nehmen Sie sich da gezielt einige Mitspieler einzeln zur Seite? Wie muss man sich das vorstellen?

Das hängt davon ab, um wen es geht. Bei einem Dome Drexler weiß ich, dass er schon erfahren genug ist und lange im Geschäft, um das richtig einzuschätzen. Aber gerade wenn es Gerüchte um Spieler gibt, die noch etwas jünger sind, frage ich schon mal nach, ob alles gut ist, ob er mit den Gedanken voll hier ist oder irgendwelche Probleme hat. Ich bin jetzt nicht der Typ, der vor der Mannschaft große Reden schwingt. Da hören dann vielleicht fünf aufmerksam zu. Wenn ich aber das Gefühl habe, dass es bei jemandem in die falsche Richtung laufen könnte, spreche ich darüber und dann klärt sich das schnell. Ich glaube, die Jungs haben auch genug Vertrauen, um mit mir darüber zu sprechen.

War das in jeder Mannschaft so, in der Sie gespielt haben?

Das ist eine gute Frage, die ich mir auch schon oft gestellt habe. Wie war das für mich in einer Mannschaft mit jemand anderem als Kapitän? Ich kann das gar nicht genau sagen. Ich wollte auch schon mal fragen, wie es Rafael Kazior hier vor mir gemacht hat. Aber ich habe gedacht: Ich mache es einfach so, wie ich es für richtig halte. Wir haben ja auch mit den „Domes“ (Schmidt, Peitz und Drexler, die alle den gleichen Vornamen haben, Anm. d. Red.) einige dabei, die auch viel Erfahrung haben und immer mal wieder einen Hinweis geben. Ich glaube, das läuft ganz gut so.

Holsteins Ziel war ja „nur“, guten Fußball zu spielen – und das ist in der Vorrunde gelungen. Wann wäre denn die Rückrunde gut gelaufen?
Bitter wäre nur, wenn wir nicht mehr das machen, was uns stark gemacht hat. So ein gutes halbes Jahr ist schnell verspielt, wenn man den Faden völlig verliert, egal ob man Elfter oder Achter wird. Wir sind Erster, haben guten Fußball gespielt. Entscheidend ist: Egal wie die Ergebnisse sein werden, wichtig ist, dass wir unser Gesicht behalten. Es kann ja sein, dass sich die Gegner jetzt überragend auf uns einstellen oder wir das Tor einfach nicht mehr treffen. Aber solange wir für uns und die Fans das zeigen, was wir sind und unseren Fußball spielen, kann uns am Ende niemand etwas vorwerfen. Das ist das Wichtigste. Und ich bin der Überzeugung, dass es über kurz oder lang immer erfolgreich sein wird, wenn wir unseren Fußball spielen.

Das hat die Vorrunde eigentlich ja auch gezeigt...
Ja, selbst in schlechteren Spielen wie beispielsweise in Nürnberg. Da liegen wir 0:2 hinten. Alle denken, die verlieren heute mal. Aber wir kommen zurück. Das ist es, was wir auch beibehalten müssen: Egal wie schlecht der Tag ist, wir schenken nichts her.

Kommen wir noch mal zu Ihrer persönlichen Entwicklung: Hätten Sie sich als junger Oberliga-Spieler vor einigen Jahren vorstellen können, mal als Kapitän eines Zweitliga-Herbstmeisters hier zu sitzen?
Damals konnte ich mir noch nicht einmal vorstellen, dass ich mal Profi-Fußballer werde. Da habe ich nach Studienplätzen gesucht. Im Laufe der Jahre, spätestens als ich mich in meiner ersten Drittliga-Saison in Erfurt behaupten konnte, hat es sich entwickelt, dass ich unbedingt in der 2. Liga spielen wollte. Dass ich jetzt auch noch Kapitän bin und man mich schon nach kurzer Zeit als Zweitliga-Spieler ernst nimmt, freut mich natürlich. Es zeigt, dass manchmal im Leben noch ein bisschen mehr drin ist als man vielleicht im ersten Moment denkt.

Gab es schon vorher die Möglichkeit, in die 2. Liga zu wechseln?
Als ich 2015 nach Kiel kam, hätte ich auch direkt in die 2. Liga gehen können. Im ersten Moment hätte man sagen können, dass ich mich verpokert hatte, weil Holstein den Aufstieg damals nicht geschafft hat. Ich hatte mich für Holstein entschieden, weil ich überzeugt davon war, dass die Mannschaft aufsteigt und weil Kalle Neitzel mich einfach überzeugt hatte. Ich habe damals die Entscheidung nicht bereut und heute sowieso nicht, weil Holstein einfach ein Top-Verein ist und man sich nicht mehr wünschen kann als man hier bekommt.

Gab es für Sie persönlich ein Vorbild? Vielleicht jemanden, bei dem man zu Beginn auch nicht damit rechnen konnte, dass er den Durchbruch schafft?

Ich tue mich schwer mit Vorbildern. Ich habe keins. Ich habe Spieler verfolgt, gegen die ich gespielt habe und dann gedacht: Wenn der das schafft, dann kannst du das auch. Man muss aber auch an der richtigen Stelle Glück haben und vor allem hart arbeiten. Es gibt im Fußball die kuriosesten Geschichten. André Hahn beispielsweise, dem keiner mehr etwas zugetraut hatte – und heute ist er in der Bundesliga und hat sogar in der Nationalmannschaft gespielt. Irgendwie geht es manchmal doch.

Haben Sie etwas verändert, um das jetzige Niveau zu erreichen?
Ich bin mir sicher, dass ich schon immer so kicken konnte. Aber mein Kopf hat nicht immer mitgespielt. Das war immer mein Problem. Wenn es mal einen Fehlpass gab, brauchte ich immer wieder erst zwei normale Pässe, bis ich wieder im Spiel war. Das habe ich abgelegt. Ich spiele mein Spiel und habe das Selbstbewusstsein und das Vertrauen, das so durchzuziehen, egal was passiert.

Hatten Sie erwartet, dass das auch in der 2. Liga funktioniert? Sie haben ja gar keine Anlaufzeit gebraucht.
Ich habe in der 3. Liga schon gedacht, dass mir das Spiel in der 2. Bundesliga noch mehr entgegen kommen könnte als der Hauruck-Stil bei vielen Drittligisten. So war es dann auch. Trotzdem ist es defensiv noch eine ganz andere Nummer, weil jede Mannschaft Stürmer hat, die eine ganz hohe Qualität mitbringen. Aber genau da wollten wir ja hin.

Kommt die Winterpause für einen Herbstmeister zum falschen Zeitpunkt?
Nein, ich glaube nicht. Es ist jeder froh, wenn es zur Familie geht und mal ein paar Tage Ruhe ist. Es kam in den letzten Wochen ganz schön viel auf uns zu, auch von außen. Das haben wir uns zwar erarbeitet, und es wird nicht weniger, wenn man weiter nach oben will. Aber ist es auch mal ganz schön, damit zwei Wochen weniger zu tun zu haben und zu Hause etwas Ruhe zu genießen.Wie verbringen Sie die Weihnachtspause?Wir sind erst einmal einige Tage mit der Familie von Sebastian Tyrala (ehemaliger Mitspieler aus Erfurt, jetzt in Mainz, Anm. d. Red.) in Dänemark in einem Ferienhaus. Und dann geht es zur Familie.
Aufrufe: 019.12.2017, 08:00 Uhr
SHZ / Interview: Christian JessenAutor