2024-05-23T12:47:39.813Z

Allgemeines

Die Strafraumwühler vom Sender

Eine Pokalüberraschung, ein Kantersieg, ein Nationalspieler - die SG 08 Falkendiek


Kreis Herford. Winterpause. Der Einzige, der auf dem matschigen Sportplatz in Schwarzenmoor derzeit ins Schwitzen gerät, ist der Maulwurf. Vor allem in Tornähe hat er Spuren hinterlassen. Ein echter Strafraumwühler. Bernd Auktuhn, 1. Vorsitzender der SG 08 Falkendiek, macht sich gar nicht erst die Mühe, die vielen Erdhügel platt zu treten. Sind ja noch ein paar Wochen hin bis zum Start in die Rückrunde. Dann wird hier oben an der Senderstraße etwas mehr los sein. Etwas. Falkendiek kickt meistens vor fünf bis zehn Zuschauern. In der Kreisliga C ganz normal.

„Das hat den Vorteil, dass wir alle Fans zur Weihnachtsfeier einladen können – und zwar persönlich“, sagt der 2. Vorsitzende Dieter Beba und lacht. Noch wichtiger als der Schuss Milch, den er sich gerade in den Kaffee kippt, ist ein ordentlicher Schuss Humor – ohne den würde man in der untersten Spielklasse wohl schnell den Spaß verlieren. Bei Beba droht da keine Gefahr mehr – er und seine Familie sind mit der SG fest verwachsen, in guten und in schlechten Zeiten. Seit den frühen Sechzigern halten sie dem 107-jährigen Klub mit 96-jähriger Fußballgeschichte die Treue, Beba selbst hat die komplette Jugend durchlaufen – und dann auch lange in der 1. Mannschaft gekickt.
„Die 70er und 80er Jahre Jahre, das war eine schöne Zeit“, sagt der 50-Jährige. „Die 1. Mannschaft spielte über Jahre in der Kreisliga B oben mit, und in der Jugend hatten wir in allen Altersklassen Mannschaften gemeldet.“ Jugendleiter Dieter Kammeier habe damals alles in den Verein geholt, was laufen konnte. Aber es war nicht nur die reine Masse: Mit Torwart Rainer Wilk ging aus dieser Arbeit ein Spieler hervor, der später mit der Jugendnationalmannschaft Weltmeister wurde und von 1982 bis 1986 als Profi bei Arminia Bielefeld und Eintracht Braunschweig zwischen den Pfosten stand. Beba kann sich auch an einen 24:0-Sieg der 1. Mannschaft gegen den FC Radewig erinnern – Rekord in der Vereinsgeschichte.
Vor allem beim Nachwuchs sieht die Sache heute anders aus. Im D-Jugendbereich hat man eine Spielgemeinschaft mit dem FC Exter ins Leben gerufen, ein paar E-Jugendliche konnte man dort ebenfalls unterbringen. Ansonsten kann von einer Jugendabteilung keine Rede mehr sein. Und bei den Senioren? „In der 1. Mannschaft spielt zurzeit kein einziger aus Falkendiek“, sagt Beba, zuckt mit den Schultern und lächelt ein wenig verlegen. Man könne froh sein, wenn man überhaupt jedes Jahr eine schlagkräftige Truppe auf die Beine stellen könne. Vereinstreue gebe es heute kaum noch, weder bei anderen Vereinen, noch bei der SG. Gute Fußballer würden für ein bisschen Geld lieber in die Kreisliga B oder A wechseln. „Und Geld haben wir nicht“, sagt Beba. Man freue sich schon, wenn man von einem heimischen Kleinunternehmer mal einen Satz Trikots oder Ähnliches gesponsert bekomme. Die Beiträge der Vereinsmitglieder würden anderweitig investiert. „Die Schiedsrichter müssen bezahlt, das Vereinsheim instand gehalten werden – es läppert sich“, sagt Bernd Auktuhn.
In dieser Saison läuft es auch ohne großes Kapital ganz ordentlich: Falkendiek liegt zwei Punkte hinterm Spitzenreiter auf Platz 3 der aktuellen Kreisliga-C-Tabelle. Und Vater Erwin Beba – soeben vom Spaziergang mit dem Hund zurück – will auf der Weihnachtsfeier vor einigen Wochen eine „positive Stimmung“ vernommen haben. Ein kleiner Höhenflug im tiefen Tal der elften Liga. Dem aktuellen Trainer Oliver Stiens sei Dank. „Der hat in Herford einen Namen und leistet gute Arbeit“, findet Erwin Beba. Der 70-Jährige ist meist einer der fünf bis zehn Zuschauer, manchmal kreidet er vorm Spiel noch schnell den Platz ab. Er hat schon so ziemlich alles gemacht, was in einem kleinen Verein erledigt werden muss. Vorsitzender war er auch mal, zwischen 2003 und 2009.
Sohn Dieter hat derweil ein bisschen im Archiv gewühlt und kommt mit ein paar Schwarz-Weiß-Bildern und alten Plakaten zurück. Auf einem steht handschriftlich die Jahreszahl notiert: 1951. Ein wenig martialisch werden Freundschaftsspiele zwischen längst von der Bildfläche verschwundenen Klubs und der SG 08 angekündigt. Ein Fußballspiel heißt hier noch „Fußballkampf“. Bis 1951 reichen Erwin Bebas Erinnerungen nicht zurück, bis in die 60er und 70er Jahre sehr wohl. Er schwärmt von den Zeiten eines Obmanns Wilfried „Jimmy“ Klemme, unter dessen Ägide man geradezu gefürchtet gewesen sei. Kreispokalspiele vor gut 150 Zuschauern habe es da gegeben. Der SuS Herford, ein höherklassiger Verein, der später mit dem SC Herford fusionierte, sei sogar geschlagen worden. Noch ein Höhenflug im Tiefental.
Tiefental? „Dort lag bis in die frühen 70er Jahre unser Sportplatz“, sagt Dieter Beba. Mitten im hügeligen Falkendiek, umgeben von Wald. Ein idyllisches Fleckchen Erde, aber sehr eng. „Das Spielfeld war dort extrem klein“, sagt Beba. Ein Streifen in der Mitte sei quasi Ascheplatz gewesen, die Flügelflitzer spielten indes auf Rasen – Mutter Natur war jedes Jahr drauf und dran, sich den mühsam kultivierten Bolzplatz zurückzuholen. Von Umkleidekabinen und Duschen habe man nur träumen können. „Man kam umgezogen zum Spiel – im Sommer oft mit dem Fahrrad – und fuhr in Spielkluft wieder heim.“ Hinter dem Platz, der heute von den Elverdisser Bogenschützen genutzt wird, plätschert ein Bach durch den Wald. Wer damals Lust auf eine Katzenwäsche verspürte, schlug sich nach dem Spiel kurz in die Büsche.
Als die seinerzeit geplante – und niemals so umgesetzte – B 61 quer durchs Falkendieker Spielfeld gebaut werden sollte, musste man sich bei aller Improvisationskunst endgültig nach einer anderen Spielstätte umsehen. Fahrende Pkw zu umdribbeln, wollte man den Jungs trotz ihrer technischen Beschlagenheit nicht zumuten. Der neue Platz an der Senderstraße in Schwarzenmoor hatte mit Falkendiek eigentlich nichts mehr zu tun. Aber was sollte man machen? Etwas anderes war nicht zu bekommen. Letztlich machte man mit der Entscheidung seinen Frieden.
Die SG spielt dort oben bis heute, weit weg vom Heimatdorf. Mit dem Fahrrad kommt keiner mehr, in Spielkleidung aber auch nicht. „Wir müssen immer noch ziemlich weit laufen bis zu den Duschen, aber hier gibt’s wenigstens welche“, sagt Bernd Auktuhn und schließt das kleine Vereinshäuschen gut 300 Meter unterhalb des Platzes an der Senderstraße auf. Ein paar Tische und Stühle stehen dort, eine Theke gibt’s, dahinter ein paar halb volle Getränkekisten. Ein dezenter Geruch nach kalter Asche und Bier liegt in der Luft. Auf den Fensterbänken glänzen neben Kaffeemaschine und CD-Player angestaubte Pokale. Zweite und dritte Plätze, die man irgendwann mal auf kleinen Hallenturnieren in der Umgebung gewonnen hat. An der Wand hängt die gute alte Taktiktafel mit roten und blauen Magneten und ein paar Edding-Strichen.

Wühlen im Privatarchiv: Die SG-Aktivposten Bernd Auktuhn, Erwin und Dieter Beba (v.l.) mit alten Plakaten und Festschriften.
Allzu lange wird der Trainer seinen Spielern hier nicht mehr den Matchplan erläutern können: „In drei oder vier Jahren müssen wir raus. Die Stadt hat das Haus verkauft. Wir sind froh, dass wir es noch etwas länger benutzen dürfen“, sagt Auktuhn. Einen anderen Sportplatz werde man sich dann wohl auch suchen müssen. „Schade eigentlich – hier haben wir sogar Flutlicht“, sagt der Vorsitzende nach steilem Querfeldein-Aufstieg zum Platz und zeigt auf die Masten am Spielfeldrand. Nicht schlecht für einen C-Ligisten. Tribünen sind wohl nicht nötig. Und wo gibt’s Bratwurst und Bier? „Für acht Zuschauer? Das lohnt sich nicht“, sagt Auktuhn. Sollte man im Pokal mal wieder einen „dicken Brocken“ zugelost bekommen, ließe sich natürlich spontan was arrangieren. Das würde auch ein bisschen Geld in die Kasse spülen. Und vielleicht gäbe es ja nochmal so einen Paukenschlag wie damals gegen den SuS. Meister Maulwurf gibt jetzt schon sein Bestes, den Gegner vor schier unüberwindbare Probleme zu stellen.

Aufrufe: 020.1.2015, 12:30 Uhr
Text und Fotos: Meiko HaselhorstAutor