2024-04-25T14:35:39.956Z

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Rainer Bonhof (rechts) mit dem niederländischen Nationalspieler René van de Kerkhof.
Rainer Bonhof (rechts) mit dem niederländischen Nationalspieler René van de Kerkhof. – Foto: Wikimedia Commons / Fotocollectie Anefo Reportage

Der Welt­meis­ter aus Em­me­rich

Mit 22 Jah­ren er­klomm Rai­ner Bon­hof den Fuß­ball-Olymp beim 2:1 ge­gen die Nie­der­lan­de. Er blieb im­mer ein Glad­ba­cher Foh­len. Video-Doku von 1978 ansehen.

Der Rü­cken ist durch­ge­drückt, der Schritt fe­dernd, das Kampf­ge­wicht wahr­schein­lich im­mer noch in der Nä­he des Best­werts aus ak­ti­ven Zei­ten – da wa­ren es 72 Ki­lo­gramm. Wenn Rai­ner Bon­hof durch den Bo­rus­sia-Park in Mön­chen­glad­bach mar­schiert, dann sieht er nicht aus wie je­mand, der schwer auf die 70 geht. Al­len­falls das or­dent­lich durch­ge­bleich­te Haar be­weist, dass er nun doch ein äl­te­rer Herr ist. Golf scheint ein gu­tes Re­zept ge­gen das Al­tern zu sein.

Für Fuß­ball­fans zählt Bon­hof oh­ne­hin zu den Un­sterb­li­chen. In die­sen Rang hat sich Em­me­richs größ­ter Fuß­ball­ex­port al­ler Zei­ten an ei­nem Sonn­tag vor 47 Jah­ren ge­spielt, auf dem Ra­sen des Münch­ner Olym­pia­sta­di­ons. Wer da­bei war, im Sta­di­on oder am Fern­se­her (fast das gan­ze Land al­so, auf den Stra­ßen hät­te man in al­ler Ru­he ein Pick­nick ver­an­stal­ten kön­nen), ver­gisst die Sze­ne kurz vor der Halb­zeit­pau­se des WM-End­spiels ge­gen die Hol­län­der nicht. Bon­hof sprin­tet auf der rech­ten Sei­te mit dem Ball in Rich­tung Grund­li­nie. Sein Rück­pass er­reicht Gerd Mül­ler, und der macht, was er im­mer mach­te: Er schoss ein Tor. Es war sein wich­tigs­ter Tref­fer, das 2:1 in die­sem Fi­na­le, es be­deu­te­te am En­de die Welt­meis­ter­schaft für die Deut­schen.

Und Bon­hof hat­te ent­schei­den­de Bei­trä­ge ge­leis­tet – auch ge­gen die Nie­der­lan­de, den gro­ßen Fa­vo­ri­ten des Tur­niers mit sei­nem Su­per­star Jo­han Cruyff. Aus­ge­rech­net Bon­hof, wer­den sich die west­li­chen Nach­barn viel­leicht ge­dacht ha­ben. Schließ­lich hat­te der Senk­recht­star­ter im deut­schen Team noch fünf Jah­re vor dem End­spiel die nie­der­län­di­sche Staats­bür­ger­schaft, weil sein Opa Hol­län­der war. 1969 be­kam er den deut­schen Pass, und er spiel­te sein ers­tes Ju­nio­ren­län­der­spiel ge­gen Hol­land. Schö­ner kann man sich das nicht aus­den­ken.

Beim DFB wa­ren sie na­tür­lich froh, die­ses Ta­lent an Land ge­zo­gen zu ha­ben. Es hat­te sich längst her­um­ge­spro­chen, dass da an der Fulks­kuh­le beim SuS (der spä­ter mit Rot-Weiß zur Ein­tracht fu­sio­nier­te) ein au­ßer­or­dent­li­cher Spie­ler her­an­wuchs. Ei­ner mit gro­ßer Dy­na­mik und ei­nem har­ten Schuss.

Der ro­he Edel­stein muss­te al­ler­dings noch mit Nach­druck be­ar­bei­tet wer­den. Die­se Auf­ga­be über­nahm Hen­nes Weis­wei­ler, der le­gen­dä­re Trai­ner der nicht min­der le­gen­dä­ren Glad­ba­cher Foh­len. „Er hat Bo­rus­sia ge­macht“, sagt Bon­hof. Und er hat auch Bon­hof ge­macht, der Be­stand­teil der bes­ten Mön­chen­glad­ba­cher Mann­schaft der Ge­schich­te wur­de. Die größ­te Stern­stun­de ist bis heu­te auch die größ­te Nie­der­la­ge. Ty­pisch Glad­bach üb­ri­gens, das im­mer mit die­sen Brü­chen le­ben muss­te. Mit 7:1 wir­bel­te der in­ter­na­tio­na­le No­bo­dy 1971 das an­er­kann­te Welt­klas­se-En­sem­ble von In­ter Mai­land im Wett­be­werb der Lan­des­meis­ter vom Ra­sen des Bö­kel­bergs. Aber es kam zum ver­häng­nis­vol­len Büch­sen­wurf, Ro­ber­to Bon­in­segna nahm die Ge­le­gen­heit dank­bar wahr, sank ver­meint­lich schwer ge­trof­fen zu Bo­den und ließ sich in die Ka­bi­ne tra­gen. Un­par­tei­ische Ärz­te hat­ten kei­nen Zu­tritt. Des­halb folg­te die Ue­fa der Dia­gno­se der ita­lie­ni­schen Me­di­zin­män­ner und nahm das Spiel aus der Wer­tung. Nach ei­nem 2:4 in Mai­land und ei­nem 0:0 an neu­tra­lem Ort in Ber­lin schied die Bo­rus­sia aus. Beim Rück­blick, er­klärt Bon­hof, „war an­fangs noch Wut. Aber wie mei­ne El­tern mir ver­mit­telt ha­ben: Die Zeit heilt al­le Wun­den“.

Im­mer­hin hat­te der jun­ge Kerl vom Rhein auf sich auf­merk­sam ge­macht. Es war lo­gisch, dass er im Ka­der der Na­tio­nal­mann­schaft auf­tauch­te, und für die Fans war es eben­so lo­gisch, dass er zum WM-Auf­ge­bot ge­hö­ren muss­te. Mit 22 Jah­ren war das bei­lei­be kei­ne Selbst­ver­ständ­lich­keit. In den 1970er Jah­ren rutsch­te nicht je­der 19-Jäh­ri­ge, der drei auf­fäl­lig gu­te Bun­des­li­ga­spie­le ge­macht hat­te, in die DFB-Aus­wahl. Des­halb be­teu­ert Bon­hof: „Ich war sehr über­rascht und hab dann erst mal ein Fläsch­chen auf­ge­macht.“

Der Form war das of­fen­bar nicht ab­träg­lich, der Mit­tel­feld­spie­ler ging so­gar mit ei­nem klei­nen Fit­ness­vor­sprung in die di­rek­te WM-Vor­be­rei­tung. Das hat er sei­nem Freund Ber­ti Vogts zu ver­dan­ken. Zu­sam­men wa­ren sie noch vor der No­mi­nie­rung in Ur­laub ge­fah­ren. Und Vogts, der si­cher da­von aus­ge­hen konn­te, bei der WM da­bei zu sein, ging täg­lich in der Nä­he von Mon­te Car­lo auf ei­ne Lauf­stre­cke. „Ich hab mit­ge­macht, da­mit er nicht so al­lein ist“, sagt Bon­hof.

Das zahl­te sich noch aus, als der 22-Jäh­ri­ge nach ei­ner ziem­lich mü­den WM-Vor­run­de ins Team kam. „Ich weiß das noch wie heu­te“, er­in­nert sich Bon­hof, „Bun­des­trai­ner Hel­mut Schön frag­te mich: Trau­en Sie sich zu, ge­gen Ju­go­sla­wi­en zu spie­len? Ich sag­te: Des­halb bin ich ei­gent­lich hier.“ Mit Bon­hof wur­de Deutsch­lands Mit­tel­feld kom­pak­ter, wie man heu­te so sagt, dy­na­mi­scher, und es war nicht mehr so an­fäl­lig wie zu­vor. Ge­gen Ju­go­sla­wi­en ge­wan­nen die Deut­schen in Düs­sel­dorf mit 2:0, beim bes­ten Zwi­schen­run­den­spiel ge­gen Schwe­den (4:2), eben­falls in Düs­sel­dorf, schoss Bon­hof das Tor zum 2:1, in der Ab­wehr­schlacht auf der Frank­fur­ter Se­en­plat­te half er maß­geb­lich, den 1.0-Sieg zu ret­ten. Und die Ge­schich­te des End­spiels ist er­zählt.

Da­nach tauch­te die DFB-Elf erst so rich­tig aus ih­rer Bla­se aus Vor­be­rei­tung, Trai­ning, Spiel, Trai­ning auf. „Nach dem Fi­na­le auf dem Weg zum Ban­kett ha­ben wir ge­merkt, was los war. Es hat­te sich et­was ge­tan im Land, das ist mir erst da be­wusst ge­wor­den“, sagt der Welt­meis­ter.

So rich­tig be­wusst wur­de es ihm wohl bei der Rück­kehr in die Hei­mat. Sei­ne Em­me­ri­cher Freun­de hat­ten sei­ne Adres­se in „Rai­ner-Bon­hof-Stra­ße“ um­be­nannt. Hun­der­te stan­den vor sei­nem Haus, „und am Hin­ter­ein­gang ha­ben sie mich auch er­wischt“. Zwei Ta­ge dar­auf brach­ten re­gel­rech­te Men­schen­mass­sen beim Emp­fang für den gro­ßen Sohn der Stadt am Rat­haus ei­nen Teil der Trep­pe zum Ein­sturz. Der Scha­den hielt sich zum Glück in Gren­zen. „Die Mu­sik­ka­pel­le, die am Rand der Trep­pe stand, hat gut re­agiert“, sagt Bon­hof, „le­dig­lich ei­ne Trom­mel ging ka­putt.“

Der schuss­ge­wal­ti­ge Mann von der Fulks­kuh­le war end­gül­tig bei den Gro­ßen an­ge­kom­men, und er hat­te im zar­ten Al­ter von 22 Jah­ren ei­gent­lich schon al­les er­reicht, Meis­ter­schaf­ten mit der Bo­rus­sia, den EM-Ti­tel als Er­satz­mann und die Welt­meis­ter­schaft. Was soll­te da noch kom­men?

Ei­ne Men­ge. Wei­te­re Meis­ter­schaf­ten mit den Glad­ba­chern, ein Ue­fa-Cup-Sieg mit der Bo­rus­sia, der Wech­sel zum FC Va­len­cia, Sie­ge im spa­ni­schen Po­kal und im Eu­ro­pa­po­kal der Po­kal­sie­ger, ei­ne lan­ge Lauf­bahn als Trai­ner-As­sis­tent von Ber­ti Vogts beim DFB und in Schott­land, die Tä­tig­keit als Scout für den FC Chel­sea und schließ­lich das Amt des Vi­ze­prä­si­den­ten bei Bo­rus­sia Mön­chen­glad­bach, mit­ten in sei­ner sport­li­chen Hei­mat. „Ich bin hei­mat­ver­bun­den“, ver­si­chert Bon­hof, „des­we­gen hat mich der Weg im­mer zu­rück­ge­führt.“

Funk­tio­när wur­de er in schwie­ri­ge­ren Zei­ten. Als Bon­hof zum Vi­ze­prä­si­den­ten mit dem Schwer­punkt sport­li­che Kom­pe­tenz auf­stieg, war die Bo­rus­sia ein Klub, der im­mer ge­fähr­lich na­he an der Bun­des­li­ga-Ab­stiegs­kan­te se­gel­te. Sei­ne Ein­schät­zung aus dem Jahr 2004, als der Ver­ein vom Bö­kel­berg in den Bo­rus­sia-Park um­zog, soll­te sich als ein biss­chen sehr zu­ver­sicht­lich er­wei­sen. „In zwei, drei Jah­ren kann Bo­rus­sia wie­der in­ter­na­tio­nal spie­len“, er­klär­te er bei der Er­öff­nung der Are­na. Es soll­te noch ein paar Jähr­chen län­ger dau­ern, 2012 war es wie­der so weit. Seit­her ist sein Klub be­stän­dig auf ei­nem ein­stel­li­gen Ta­bel­len­platz ge­lan­det. Und Bon­hof hat sich auch um die­sem Hö­hen­flug ver­dient ge­macht. Da­bei bleibt er gern im Hin­ter­grund, als Mann­schafts­spie­ler wie zu sei­nen ak­ti­ven Zei­ten. Das Schein­wer­fer­licht über­lässt er meist den an­de­ren. Trotz­dem man­gelt es ihm nicht an Selbst­be­wusst­sein, auch in die­ser Hin­sicht er­in­nert der Funk­tio­när Bon­hof an den Spie­ler Bon­hof.

Des­halb ist es ei­ne ge­rad­li­ni­ge Kar­rie­re. Und es ist ihm durch­aus be­wusst, was für ein gro­ßer Weg das war aus dem klei­nen Em­me­rich in die Welt des Pro­fi­sports mit all den ver­schie­de­nen Jobs und Sta­tio­nen. „Spaß ge­macht hat je­der Job“, be­tont Bon­hof, „ich ha­be es nie be­reut, Fuß­bal­ler zu sein. Ich bin dank­bar da­für, dass mir der Fuß­ball die Ge­le­gen­heit ge­ge­ben hat, so viel von der Welt zu se­hen. Das wä­re mir in mei­nem Be­ruf als Schlos­ser nie ge­lun­gen. Da wä­re ich wahr­schein­lich 14 mal nach Ame­land in Ur­laub ge­fah­ren.“ Da­bei hat die Nord­see na­tür­lich auch ih­re Rei­ze. Selbst für ei­nen, der im Fuß­ball al­les ge­won­nen hat.

Aufrufe: 024.3.2021, 12:00 Uhr
RP / Robert PetersAutor