2024-05-02T16:12:49.858Z

Allgemeines

Der Vereinsmeier

Hakan Gürer, 27, ist Präsident des AFC Oberhausen, des ersten alevitischen Fußballvereins in Deutschland. Zwischen Gemeinde und Platzanlage setzt er auf politisches Engagement - und auf Selbstironie.

„Ach, übrigens“, sagt Hakan Gürer gleich zu Beginn des Gesprächs, „Mitgründer Devran Demir und der zweite Vorsitzende Bertan Güntürk müssen auf jeden Fall erwähnt werden. Nicht dass der Eindruck entsteht, ich mache das hier alleine“, sagt der 27-Jährige, dessen Sorge allerdings unbegründet ist. Alleine wäre das, was der 1. Alevitisch-internationale Fußball Club Oberhausen alles auf die Beine stellt, schwer zu schaffen.

Nun ist es ja nichts Neues, dass sich ein Verein gern als etwas Besonders darstellt. Aber der AFC ist wirklich anders und weit mehr als eine Ansammlung von Fußballern. Er ist Teil einer religiösen Gemeinde, politisch aktiv und eine Art Satire auf die Unterhaltungsindustrie Profifußball. Auf seiner Facebook-Seite finden sich diverse Filmchen und Einträge, in der die Kreisliga- Kicker die große Fußballwelt nachspielen. Mal veröffentlichen sie Interviews, in denen sie die Champions League anpeilen. Dann gibt es einen angeblichen Mitschnitt des TV-Senders „N24“ über die Ankunft des neuen Topstars Deniz Bicici. Der kommt allerdings mit dem Linienbus und wird bei den mit „versteckter Kamera“ gedrehten Verhandlungen zur Unterschrift gezwungen. Gürer, stilecht mit Sonnenbrille und Zigarre, verkündet den draußen wartenden Fans später, dass Bicici „für 38 Jahre Sklavenarbeit unterschrieben hat“. So geht es munter weiter. Auch bei der Auslosung für das eigene Turnier beweist Gürer Humor. Als das Team „Die Anderen“ gezogen wird, beschreibt er sie als „100 Prozent Italiener, 70 Prozent haben denselben Vornamen, 30 Prozent denselben Vorund Nachnamen“. Später ist eine Mannschaft aus Duisburg-Marxloh dran, Gürer freut sich schon: „Die werden mit ihren 3er BMWs direkt von der B8 hier rüber fahren.“

„Wir sind sehr selbstironisch, wir wollen Spaß haben“, sagt Gürer und wirkt nicht wie der typische Vertreter eines Vereins, der zu einer Gemeinde gehört. Nun haben religiöse Schriften ja die Eigenart, für alle möglichen Handlungsweisen Regeln vorzugeben, die Aleviten haben sich – typisch für ihre liberale Lesart des Islams – für den friedlichen und versöhnenden Teil entschieden. „Wir wollen nicht missionarisch rüberkommen, keiner wird hier bekehrt, jeder ist willkommen, solange er oder sie weltoffen ist. Nur wer Hass in sich trägt, darf hier nicht sein“, sagt Gürer und verweist auf das Vereinsmotto: „Nationalismus, Rassismus, Homophobie, Sexismus und Co. sind für den AFC ein Angriff auf das schöne Leben!“

Das liegt vor allem an der eigenen Geschichte. Von Beginn an war der spätere AFC ein bunter Haufen Oberhausener, der zunächst in der Halle kickte, irgendwann aber eine sportliche Heimat suchte und sie Ende 2013 bei den Aleviten fand. „Die Idee war, dass wir sonntags im Kulturzentrum frühstücken und dann zusammen zum Spiel fahren.“ Doch weil der von der Stadt zugeteilte Platz zu weit vom Kulturzentrum am Hauptbahnhof entfernt war, geriet das Projekt ins Stocken „Der war an der Grenze nach Essen – unendlich weit weg. Manche Jungs konnten nicht zum Training, wir waren meistens nur fünf Leute. Die Laune war im Keller, 2014/15 haben wir nicht antreten können“, erzählt Gürer, der die Zeit aber nutzen wollte – was in seinem Naturell liegt. Der 27-Jährige ist ein Macher, einer, der nicht nur viel und schnell redet, sondern auch viel und schnell anpackt. „Mein Vater ist früh gestorben, ich war früh auf mich alleine gestellt“, sagt der Mann, der als Kind einer Einwanderer- und Malocherfamilie bereits als Jugendlicher politisch aktiv wurde und zeitweise Sprecher der jungen Grünen war. Deswegen war klar, dass er die Aufmerksamkeit des Sports nutzen würde, um Einfluss zu nehmen – sei es mit den Späßen bei Facebook oder durch karitative und politische Aktionen. Demonstrationen gegen den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan gehören ebenso dazu wie Karitatives. Die Fußballer organisierten ein Benefizspiel für ein krebskrankes Mädchen, das die Therapie nicht bezahlen konnte, sammelten für das Friedensdorf Oberhausen und veranstalten Benefiz- Turniere oder Kulturfeste. „Das ist immer lustig: Italiener, Juden, Afrikaner, alle sind dabei, jeder kann was vorführen“, sagt Gürer, der bei all dem noch nie Ablehnung erfahren hat. Weder von fremdenfeindlichen Deutschen noch von streng religiösen Moslems.

Auch mit der Stadt wurde es einfacher: Seit der aktuellen Saison trainiert der AFC bei Blau-Weiß Oberhausen. „Die Trainingszeiten sind optimal“, sagt Gürer, dessen Team in der Kreisliga C gestartet ist und erst mal im Mittelfeld steht. Aber dabei soll es nicht bleiben. Auch wenn es nicht wirklich die Champions League sein muss, will der AFC in den nächsten Jahren aufsteigen. Möglichst bald soll es wieder eine A-Jugend, eine zweite Mannschaft und ein Damen-Team geben. „Das ist durch den Platz am Arsch der Welt alles zusammengebrochen.“ Die Frauen-Abteilung gibt es trotzdem noch. Geleitet wird sie von Cigdem Küncekli, die ebenfalls nicht auf den Mund gefallen ist. „Das geht an euch Frauen“, beginnt ihr Aufruf bei Facebook: „Lasst eure Männer spülen, auf das Kind aufpassen und die Wäsche machen; zieht euch eure Fußballschuhe an und kommt zu uns.“ Ja, der AFC ist wirklich anders.

Aufrufe: 05.4.2016, 09:00 Uhr
Bernd SchwickerathAutor