2024-04-30T13:48:59.170Z

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Er lässt in Merklingen die Bälle rollen: Granit Nikqi in seiner Soccer-Arena.
Er lässt in Merklingen die Bälle rollen: Granit Nikqi in seiner Soccer-Arena.
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Daheim auf vielen Fußball-Plätzen

Er ist kein Nachrichtensprecher geworden, wie seine Lehrerin einst prophezeit hat. Stattdessen hat er sich Hochdeutsch abgewöhnt, Schwäbisch gelernt und als Fußballer Tore gemacht. Granit Nikqi war Flüchtling.

Granit Nikqi aus Laichingen hört die Geschichten der Flüchtlinge derzeit, sieht die Bilder und erinnert sich an 1992. Da war er neun, und seine Eltern beschlossen: nichts wie weg aus dem Kosovo! Es brodelte auf dem Balkan, Jugoslawien zerfiel bereits, Slowenien, Kroatien und Bosnien waren auch dran, Granits Vater, ein Jurist, schlief immer wieder auswärts. Im Knast. Der 33-Jährige Sohn sagt, er sei politisch sehr aktiv gewesen. 1999 sollte dann auch im Kosovo Krieg geführt werden: Serben gegen Kosovo-Albaner.

Granit Nikqi sitzt heute, im Jahr 2016, in der Soccer-Arena in Merklingen. Sein Smartphone stets unter Beobachtung. Er hat diese Fußballwelt erschaffen, er, einer der besseren Kicker der Region - der im Hauptberuf Sicherheit verkauft als Versicherungskaufmann - "das hier ist nur ein Hobby", kokettiert Nikqi. Hier trifft er alte Mannschaftskollegen, wenn sie mit ihren Teams zum Trainieren kommen. "Ich habe schon fast überall gespielt", sagt er. Unter anderem in Blaubeuren, Laichingen, beim TSV NeuUlm, Olympia Laupheim und der SpVgg Au. Von der Kreisliga B bis zur Verbandsliga. Die Soccer-Arena hat er mittlerweile erweitert um Fitness-Geräte und eine Sauna. Es läuft bestens.

Zwei Wochen lebte die Familie nach der Ankunft in Deutschland in einem niedersächsischen Flüchtlingsheim, zog dann in einen Ort in der Grafschaft Bentheim, wo der Neunjährige nach Holland hinüberlaufen konnte. Und da war Torsten Böwing, sein erster deutscher Freund. BVB-Fan. Von da an war er auch Dortmunder. Und Fußball begann sein Leben zu bestimmen. "Der Fußball war eigentlich der Türöffner für alles in meinem Leben. Egal, wen ich kenne und was ich bekommen habe."

Ein Lkw hält vor der Arena. Die Tür geht auf. "Günther, servus!", grüßt Granit Nikqi. Der Getränkehändler bringt Weizen-Bier, setzt sich an die Theke und ist ziemlich gesprächsbereit. Heute aber hat Nikqi keine Zeit.

1996 beschloss der Vater: ab ins Schwabenland! Ab nach Laichingen. Ein Schock für Granit Nikqi. Da hatte er Hochdeutsch gelernt, Freunde gefunden und - eine Freundin. Doch alles Flehen half nichts. Der Vater hatte einen Job als Hilfsarbeiter in einer Laichinger Firma gefunden. "Ich habe mich in mein Zimmer eingeschlossen, bin nicht mehr herausgekommen." Sie wohnten zunächst "Bei den Linden".

Nach zwei Wochen kam er dann heraus. Und radelte zum Hartplatz. Da war Deniz Dogan. Er wollte mittrainieren und durfte. Heute lacht er, wenn er sich an Mario Schmutz erinnert. "Er hat mir mal erzählt, dass er dachte: Was kommt denn da für einer mit roten Schuhen? Der kann bestimmt nicht kicken. Dann habe ich alle 'reingemacht." Schnell war er integriert. Er avancierte zum Torjäger, das Team stieg in die C-Jugend-Bezirksstaffel auf, andere Vereine wollten ihn abwerben. Er blieb. Wegen Mario Schmutz. Erstmal.

In der Schule hatte Nikqi anfangs Probleme. "Die Lehrer sprachen Schwäbisch, die Schüler sprachen Schwäbisch." Schlimm sei das für ihn gewesen, ihn, der kurz zuvor ein anderes Deutsch gelernt hatte: "Meine Realschullehrerin meinte zu mir, wenn ich vorlas: Du wirst Nachrichtensprecher." Schnell verschaffte er sich Anerkennung bei Mitschülern durch seine sportlichen Leistungen, wurde Leichtathletik-Schulbester.

Ein paar Jahre später, er ist 15 oder 16, sieht er im Fernsehen auf "n-TV" einen Flüchtlingstrom, der aus dem Kosovo wegläuft. Die Serben wollten das Land von Kosovo-Albanern bereinigen. "Da war eine Frau zu sehen auf einem Traktor mit einem Mann. Das waren meine Oma und mein Onkel." Der Leberfleck an ihrem Hals . . ., er hat sie sofort erkannt. "Das war so brutal, da muss man echt heulen. Man überlegt sich tausend Sachen, was wäre gewesen, wenn wir dageblieben wären. Wären wir umgebracht worden?" Mehrmals habe er sich überlegt, ob er "runtergehen" sollte zum Kämpfen, "mithelfen" soll. Er tat es nicht. Nach dem Krieg lebten die Verwandten zunächst mit 13 Personen in einer Garage, hatten wenig zu essen. "Als ich dann mal unten war, dachte ich: Hätte ich besser geholfen."

Er erlebte eine deutsche Jugend, verdiente bald sein Geld als Einzelhandelskaufmann in einem Sportgeschäft im Blautal-Center, später als Versicherungskaufmann, immer auch als Fußballer - und gab sein Geld in Diskos wieder aus.

Einmal gab es noch eine Zeit, da überlegte er, wieder zurückzugehen in den Kosovo. Den Eltern drohte die Abschiebung, er aber hatte mittlerweile einen deutschen Pass. Er fühlte sich mittlerweile auf der Alb zu Hause. Dort verdiente er sein Geld, hatte seine Freunde und eine Freundin.

Heute will er nicht mehr weg. Spricht exzellentes Schwäbisch und lebt mit seiner deutschen Frau und seinem sechsjährigen Sohn in Laichingen.



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Aufrufe: 023.4.2016, 07:50 Uhr
SWP / ISABELLA HAFNERAutor