Indizien, die für Krutsch eine klare Sprache sprechen. “Bei Spielern, die nach Kreuzbandrissen zurückkommen, besteht ganz offensichtlich ein erhöhtes Risiko von Muskelverletzungen. Sie fühlen sich zwar wieder fit, aber die Statik des Körpers hat unter der langen Pause gelitten”, sagt der Regensburger. Solchen Zusammenhängen geht das “Fifa Medical Centre of Excellence” am Universitätsklinikum wissenschaftlich auf den Grund. 22 dieser Zentren gibt es mittlerweile weltweit, das Regensburger war im Jahr 2009 das erste auf deutschem Boden, das vom Fußball-Weltverband in diesen Rang erhoben wurde. Ziel ist ein globales Netzwerk der Sport- und speziell der Fußballmedizin.
In den gut fünf Jahren ihres Bestehens hat die Fifa-Klinik unter der Leitung von Direktor Peter Angele und Michael Nerlich diverse Studien initiiert. Krutsch fungiert als ärztlicher Koordinator. Dabei liegt der Fokus auch auf dem Amateurfußball. Als ein praxisrelevantes Beispiel gilt das Programm “11+” zur Verletzungsprävention. Um bis zu 50 Prozent sinkt laut Erhebungen die Gefahr von Blessuren, wenn Spieler diesen Leitfaden zum optimalen Aufwärmen befolgen.
Die Regensburger Mediziner haben zudem in Kooperation mit der Vereinigung der Vertragsfußballspieler (VDV) die Langzeitfolgen von Kniegelenksverletzungen im Profifußball untersucht. Oder sie erforschen im Auftrag der Fifa Möglichkeiten, über eine Vermessung des Handgelenks das Alter eines Spielers zu bestimmen. Ein Thema, das bei internationalen Juniorenturnieren durchaus relevant sein kann. Denn bei solchen Ereignissen sind auch Mannschaften aus Ländern vertreten, in denen das exakte Geburtsdatum der Akteure wegen fehlender Urkunden schwer belegbar ist.
Zehn Studien laufen derzeit an der Regensburger Fifa-Klinik; eine im August gestartete ist als weltweit einzigartiges Mammutprojekt auf drei Jahre angelegt und soll die Ursachen einer Verletzung ergründen, die unter Fußballprofis als größter anzunehmender Unfall gilt: Kreuzbandrisse im Knie, die monate- oder - siehe den tragischen Fall von Bayern-Star Holger Badstuber - sogar jahrelange Pausen bedingen und schwere Langzeitfolgen fürs Gelenk haben können.
Vorläuferscreenings haben erste Erkenntnisse erbracht. So ist das Schussbein eines Fußballers (also in der Mehrzahl das rechte) deutlich häufiger betroffen als das Standbein. Angele, Krutsch & Co. liegen bereits handfeste Hinweise auf ein Phänomen vor, das sich etwas flapsig so umschreiben ließen: Veränderungen sind Gift fürs Knie. Das fängt bei ganz banalen Dingen wie einem Wechsel des Fußballschuhs oder der Stollen an. “Der Aufstieg oder der Vereinswechsel in eine höhere Spielklasse, der Wechsel vom Junioren- in den Seniorenfußball, ja auch ein Trainerwechsel mit veränderten Übungsformen bergen Gefahren, eine Ruptur zu erleiden”, sagt Krutsch. Auffällig sei zudem die Häufung von Kreuzbandrissen in der Vorbereitungsphase nach der Sommer- und Winterpause. “Trainings- und Freundschaftsspiele in dieser Phase sind offenbar mit einem deutlich höheren Risiko behaftet”, bilanziert Krutsch.
Ebenfalls bemerkenswert: Laut Angele sind im Frauenfußball Kreuzbandverletzungen fünf- bis siebenmal häufiger als bei den Männern. Hormonelle Unterschiede sowie die geschlechtsspezifische Beschaffenheit von Sehnen und Bändern sind ursächlich dafür. Frauen benötigen zudem in der Rehabilitation ein deutlich intensiveres Training und mehr Zeit, um die Muskelmasse am verletzten Bein wiederherzustellen. Und die Gefahr einer Sportinvalidität ist weit höher als bei Männern. Krutsch ist in seiner aktiven Zeit von Kreuzbandrissen verschont geblieben. Übrigens kehrte der 34-Jährige im Gegensatz zu Sami Khedira mit einem sportlichen Misserfolgserlebnis aus Brasilien heim. Mit der Ärzte-Nationalmannschaft hatte er 2013 in Budapest den WM-Titel errungen und war zum wertvollsten Spieler des Turniers gekürt worden. Beim zeitgleich mit der WM 2014 ausgetragenen Turnier der Mediziner ereilte seine Teamkollegen und ihn das Aus im Viertelfinale. In Natal unterlagen sie Gastgeber Brasilien - wenn auch nur mit 1:3.