2024-05-17T14:19:24.476Z

Interview

"Unser Pfund sind die Talente"

INTERVIEW: Birgit Schmidt, Vorsitzende des Herforder SV

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Herford. Nur zwei Unentschieden verbucht der Herforder SV als Aufsteiger in die Frauenfußball-Bundesliga am Ende des ersten Saisonteils auf der Habenseite und belegt damit den letzten Tabellenplatz. Über die Gründe der schwachen Ausbeute sowie die Aussichten für das Jahr 2015 sprach NW-Sportredakteur Walter Dollendorf mit der Vereinsvorsitzenden Birgit Schmidt.

Frau Schmidt, als wir uns vor Saisonbeginn unterhalten haben, klangen Sie optimistisch, was das Saisonziel Klassenerhalt angeht. Warum hat es denn immer noch nicht geklappt mit dem ersten Saisonsieg?
BIRGIT SCHMIDT: Die Kluft zwischen der 1. und 2. Bundesliga ist riesengroß, zu groß. Unsere jungen Spielerinnen, und davon haben wir eine ganze Menge, mussten die Erfahrung machen, dass Fehler in der 1. Liga ganz anders bestraft werden. Bis auf Lena Wermelt steht keine Spielerin mit Erfahrung in der deutschen Bundesliga im Kader. Zwei, drei weitere Spielerinnen mit Bundesligaerfahrung würden uns, vor allem in der Defensive, gut tun.

Dabei hatten Sie nach dem frühzeitig feststehenden Aufstieg eigentlich genügend Zeit zur Kaderplanung . . .
SCHMIDT: . . . Wir haben auch mit einigen namhaften Spielerinnen verhandelt. Aber sobald ein weiterer Erstligaklub ins Werben um diese Spielerin mit einstieg, hatten wir keine Chance mehr. So waren wir in aussichtsreichen Gesprächen mit einer Spielerin, die heute für den FFC Frankfurt aufläuft.

Nach welchen Gesichtspunkten haben Sie im Sommer den Kader geplant?
SCHMIDT: Wir haben uns zunächst vor allem auf dem deutschen Markt umgesehen und mit Kea Eckermann, Mirza Julevic und Jennifer Martens drei Spielerinnen verpflichtet. Auch mit der Magdeburgerin Dania Schuster waren wir uns einig. Ihre Verpflichtung hat nur deshalb nicht geklappt, weil sie hier keine Arbeitsstelle gefunden hat. Dann traten Dinge ein, die wir nicht beeinflussen konnten.

Worauf spielen Sie an?
SCHMIDT: Innerhalb von wenigen Tagen zogen sich Kea Eckermann und Giustina Ronzetti Kreuzbandrisse zu. Damit fielen in der Defensive und Offensive zwei als Eckpfeiler geplante Spielerinnen weg. Talent Lisa Lösch verletzte sich ebenfalls schwer. Die erfahrene Anja Barwinsky nahm ein Angebot für eine zeitintensive neue Arbeitsstelle an und stand nicht mehr für die 1. Mannschaft zur Verfügung. Mit einer Spielerin aus Brasilien waren wir einig. Aber dann rief mich unser Trainer Jürgen Prüfer im Urlaub an und sagte mir, dass sie in letzter Sekunde abgesagt hat. So war unsere Kaderplanung innerhalb weniger Tage über den Haufen geworfen.

Sie waren also zum Handeln gezwungen. Was haben Sie gemacht?
SCHMIDT: Jürgen Prüfer und ich haben während des Trainingslagers in Ottbergen bis spät in die Nacht in der Pension gesessen und Videos gesichtet. Wir nahmen dann über den Spielerberater von Nadine Angerer Kontakt zu Stürmerin Jessica McDonald auf. Ihre Verpflichtung hat dank eines Sponsors geklappt. In letzter Minute haben wir dann mit Ashley Grove eine weitere Amerikanerin geholt. Als wir am ersten Spieltag in Potsdam antraten, saß sie im Flugzeug nach Deutschland.

Das Spiel in Potsdam ging 0:4 verloren, das Team bekam aber trotzdem gute Kritiken. Was haben sie nach dieser Partie gedacht?
SCHMIDT: Dass unser Start bei einer Spitzenmannschaft trotz der Niederlage durchaus gelungen war. Im ersten Heimspiel gegen Sand gab es trotz unserer 1:0-Führung eine 1:3-Niederlage. Das hat uns schon einen Knacks gegeben. Bei den Unentschieden in Jena und Leverkusen hat die Mannschaft dann super gekämpft.

In diesen Partien erzielte Jessica McDonald drei Tore . . .
SCHMIDT . . . und dann wurde ihr vom DFB wieder die Spielberechtigung auf Druck des amerikanischen Verbandes entzogen. Wir waren da richtig hilflos und haben vom DFB keinerlei Unterstützung erhalten, so dass wir Jessica in wichtigen Spielen nicht einsetzen konnten. Unser Rechtsanwalt hat dann eine Eingabe an die FIFA formuliert, die der DFB weitergeleitet hat. Die FIFA hat schließlich eine provisorische Spielberechtigung ausgesprochen, aber Jessica hat eben viele Spiele verpasst.

Ein Problem war, dass die Mannschaft viele Gegentore in der Anfangsphase kassiert hat und früh einem Rückstand hinterher laufen musste. Wie kann das geändert werden?
SCHMIDT: Wir haben in der Vorrunde in dreieinhalb Monaten 60 Prozent aller Spiele absolviert, mussten mehrfach an einem Mittwoch antreten und standen dann am Wochenende vor weiten, zweitägigen Auswärtsfahrten. Unsere Spielerinnen studieren oder arbeiten, für die war das kaum zu leisten. In dieser Phase blieb keine Zeit, an gewissen Defiziten zu arbeiten. Das müssen wir nun in der sechswöchigen Vorbereitung auf den zweiten Saisonteil nachholen.
Mit Alexa St. Martin, Maria Rojas Pino, Romina Burgheim und Lydia Hastings gehören vier Spielerinnen nicht mehr zum Kader. Sind weitere Personalien geplant?
SCHMIDT: Wir haben einige Spielerinnen im Probetraining, möchten vor allem jemand für die Defensive verpflichten. Eventuell werden wir auch für die Offensive noch etwas tun, als Back-Up für Ronzetti und McDonald. Die beiden haben in der Vorbereitung Zeit, sich einzuspielen.

Haben Sie den Klassenerhalt bereits abgehakt?
SCHMIDT: Auf keinen Fall, aber natürlich planen wir zweigleisig. Sollten wir wieder in die 2. Liga absteigen, möchten wir dort mit einer starken Mannschaft antreten. Unser Pfund sind die vielen Talente wie Kirsten Nesse, Lisa Lösch, Lena Göllner, Friederike Schaaf, Friederike Abt oder Lena Schulte, die jetzt wertvolle Erfahrungen sammeln. In der Rückrunde wird auch Leonie Heitlindemann von den B-Mädchen mit der 1. Mannschaft trainieren. Spielerinnen wie sie sollen langsam herangeführt werden. Unser Weg muss es sein, alle Spielerinnen, die wir in der Jugend ausbilden, auch in Herford zu halten.

Birgit Schmidt gehörte 1974 beim Herforder SV Borussia Friedenstal zu den Gründungsmitgliedern der Mädchenfußballmannschaft. Da war sie zwölf Jahre alt und eine imposante Laufbahn nahm ihren Anfang.
Ab 1976 spielte sie in der 1. Frauenmannschaft. 1979 begann ihre Trainerlaufbahn bei den Mädchen. Als Spielerin stieg sie in die Verbands- und Regionalliga auf. 1986 spielte Birgit Schmidt ein Jahr in der Bundesliga, als sie zu Schalke 04 wechselte. Nach einem Jahr kehrte sie aber wieder nach Herford zurück. 1988 übernahm sie als Spielertrainerin die 1. Frauen, 1993 und 1996 gelang dem Team unter ihrer Regie jeweils der Aufstieg in die Regionalliga.
Seit dem Jahr 2002 steht sie dem Verein nun als Vorsitzende vor. Nach dem Aufstieg in die 2. Bundesliga gelang dreimal der Sprung in die 1. Liga. Beruflich ist die 52-Jährige in der IT-Branche tätig.

Aufrufe: 016.1.2015, 10:32 Uhr
Walter Dollendorf/Foto: Yvonne GottschlichAutor