2024-05-08T14:46:11.570Z

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Abschied: Der Brodowiner Jens Nedved wünscht Jürgen Heitmann alles Gute nach dem letzten Spiel.  ©Ingo Muhme
Abschied: Der Brodowiner Jens Nedved wünscht Jürgen Heitmann alles Gute nach dem letzten Spiel. ©Ingo Muhme

Tausendmal ohne Rote Karte gepfiffen

Jürgen Heitmann hört nach fast genau 50 Jahren als Schiedsrichter nicht ganz freiwillig auf.

Am letzten Spieltag der diesjährigen Saison im Fußballkreis Oberhavel/Barnim stand auch der Unparteiische Jürgen Heitmann das letzte Mal auf dem Spielfeld. Nach fast genau 50 Jahren Schiedsrichter-Lizenz und mehr als 1000 Einsätzen hörte der 77-Jährige aber nicht ganz freiwillig auf.

"Wissen Sie, wenn es gesundheitlich ginge, dann würde ich auch weiterhin auf dem Spielfeld stehen. Aber so muss ich halt in den sauren Apfel beißen", sagte Jürgen Heitmann mit einem Hauch Wehmut bei der Begrüßung.

Vieles drehte sich bislang im Hause der Heitmanns um den Fußball. Schon bei der Wegbeschreibung spielt die schönste Nebensache der Welt eine große Rolle. "Dann fahren Sie geradeaus und wenn Sie ein großes Fußballbild auf dem Garagentor sehen, anhalten, da sind Sie richtig", erläuterte der 77-Jährige. Tatsächlich prangt ein lebensgroßes Graffiti-Bild einer Spielszene der WM 1982. Tony Schumacher streckt sich im deutschen Tor vergeblich und ein Schiedsrichter schaut sich im Hintergrund das Geschehen an. "Der Wandlitzer Künstler wollte da mein Konterfei hineininterpretieren", sagte Jürgen Heitmann und das ist ihm auch zweifelsfrei gelungen.

In Anklam ist Jürgen Heitmann geboren. Da bolzte er später mit Klassenkameraden auf dem Kirchplatz. "Bälle gab es nicht, da mussten halbe Mauersteine herhalten", berichtete er. Ab und an wurden Bezugsscheine für Schuhe in der Schule verteilt, doch Klein-Jürgen ging immer leer aus. "Du machst die doch gleich wieder kaputt beim Fußballspielen mit den Klamotten", lautete die Begründung.

Nach der Schule verschlug es ihn nach Waldsieversdorf zum damaligen Lehrerbildungsinstitut. Pauker wollte er werden und natürlich spielte Fußball auch eine Rolle. Sein Kumpel Thomas Rohleder spielte bei der ASG Waldsieversdorf und Jürgen Heitmann dann auch.

So vergingen die Jahre, bis er 1957 seinen ersten Lederball bekam, von der Mutter vom Besuch aus Westberlin mitgebracht. Doch lange Freude hatte er daran nicht. Beim Bad in der Peeneverschwand das begehrte Stück auf Nimmerwiedersehen aus dem Versteck unter der Badedecke. Dafür fand er im selben Jahr seine Frau Brigitte beim Tanzen und bis heute stehen sie auch in schlechten Zeiten zusammen.

Nach seinem erfolgreichen Abschluss als Lehrer holte ihn der Direktor in sein Zimmer:" Vergessen sie alles, was sie gelernt haben, sie gehen jetzt zur Armee". Es blieb ein kurzes Intermezzo in der Strausberger Kaserne, da er bald wieder in Ehren entlassen wurde. "Ich hatte Willy Brands Rede auf der Stube im Westradio gehört und das war es dann", erklärte Jürgen Heitmann.

In Schönow fand der danach eine Stelle als Sportlehrer. Sein Fußballherz gehörte jedoch dem Verein Einheit Zepernick. Und da kam es 1967 zu einem einschneidenden Erlebnis für den damals 27-Jährigen. Vor der entscheidenden Partie um den Klassenerhalt in der Bezirksklasse gegen Dobberzin wurde ein Schiedsrichter gesucht. Ein Spieler aus Dobberzin meldete sich und Jürgen Heitmann. Das Los entschied gegen den Zepernicker und so nahm das Unheil seinen Lauf. "Verpfiffen hat der uns, aber wie", berichtete Jürgen Heitmann. Daraufhin schwor er sich den Schiedsrichterschein zu machen und zukünftig für gerechte Entscheidungen auf den Spielfeldern zu sorgen. Gesagt getan, bis 1980 spielte er selbst noch aktiv, doch danach begann seine Karriere in Schwarz. Es folgten Einsätze in allen Brandenburger Ligen und einige kuriose Begebenheiten. So bedrängte ihn ein Zerpenschleuser Spieler, ihm doch eine Gelbe Karte (die dritte) zu geben, damit er garantiert beim übernächsten Spiel nach der Sperre wieder dabei sein kann. Am Ende und nach vielen vergeblichen Aktionen schaffte er es dann doch mit einem Handspiel. Oder die Störche 2010 in Blumberg beim Spiel der Barnimliga gegen Klosterfelde, die partout nicht das Spielfeld verlassen wollten. Und, und, und...

Das Spiel seines Vereins Einheit Zepernick gegen die SG Brodowin war mit Zustimmung der Gäste sein letztes. Eine heiße Kiste zum Abschluss, ging es für Brodowin noch um den Aufstieg, was sie auch schafften. Dass dabei alle doch am Ende bei der Wichtigkeit der Partie die Ruhe bewahrten, ist nicht zuletzt der umsichtigen Spielleitung von Jürgen Heitmann zu verdanken.

"Ich habe nie Spieler angeschrien, immer das ruhige Gespräch gesucht, um nicht noch mehr Pfeffer in des Spiel zu bringen", beschrieb sich der 77-Jährige selbst. Seine pädagogische Ausbildung habe ihm da geholfen, erklärte seine Frau Brigitte, selbst Lehrerin, und fügte lachend hinzu: "Aber er hat sowieso die Ruhe weg". Jürgen Heitmann war es aber immer wichtig, dass seine Entscheidungen auch nachvollziehbar waren: "Was bringt es jemanden zu maßregeln oder zu bestrafen, wenn er nicht weiß warum". Das brachte ihn auf vielen Plätzen Bewunderung ein: "Endlich ein vernünftiger Schiri", war da nicht selten zu hören. Und auch, weil er Entscheidungen zurücknehmen konnte, wenn er falsch gelegen hatte.

Eine "Arschkarte" hatte er nicht, die Rote war bei ihm in der Hemdtasche zwischen zwei gelben Karten versteckt. "Ich kann mich eigentlich nicht daran erinnern, jemals eine Rote Karte gezeigt zu haben", sagte Jürgen Heitmann nach langem Nachdenken.

Jetzt sind Reisen mit seiner Frau angesagt, die Ostsee lieben beide. Der Garten ist gemeinsames Hobby und im Winter stricken beide im Wohnzimmer. "Nicht stricken, das wird gestickt", berichtigte Jürgen Heitmann halbherzig energisch, als er seine Arbeiten zeigte. Selbst gemachte Kissenbezüge und gestickte Bilder im Rahmen waren mal ein Steckenpferd.

Ganz ohne Fußball wird es nicht gehen. "Ich werde noch bei kleinen Hallenturnieren aushelfen, aber auf Rasen nicht mehr", erklärte der 77-Jährige. Außerdem würde er dem Schiedsrichternachwuchs gern sein Erfahrungen weitergeben, wenn es denn welchen geben würde. "Schade, aber anscheinend ist das nicht mehr interessant genug", sagte er wehmütig beim Abschied.

Aufrufe: 023.6.2017, 22:51 Uhr
MOZ.de / Dirk SchaalAutor