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FuPa Portrait
Gerd Müller am 19. Juli 2008 bei seinem letzten Auftritt in Nördlingen. Zusammen mit Oberbürgermeister Hermann Faul hat er gerade die Enthüllung der neuen Anzeigetafel im Gerd-Müller-Stadion erleben dürfen. 	F.: Richard Lechner
Gerd Müller am 19. Juli 2008 bei seinem letzten Auftritt in Nördlingen. Zusammen mit Oberbürgermeister Hermann Faul hat er gerade die Enthüllung der neuen Anzeigetafel im Gerd-Müller-Stadion erleben dürfen. F.: Richard Lechner

Lust und Frust mit der Heimatstadt

Das Verhältnis des ehemaligen Weltklassestürmers Gerd Müller zu seinem Geburtsort war nicht immer einfach

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Sein bislang letzter Auftritt in Nördlingen ist ein ganz besonderer. Das Stadion im Rieser Sportpark soll auf seinen Namen getauft werden, „sein FC Bayern“ bestreitet zu diesem Anlass ein Freundschaftsspiel gegen den TSV Nördlingen. 11.000 Zuschauer wollen das Spektakel am 19. Juli 2008 sehen, so viele wie nie zuvor bei einer Sportveranstaltung in Nordschwaben. Gerd Müller ist spürbar nervös, in den Wochen zuvor hat er damit geliebäugelt, seine Teilnahme abzusagen. Freunde sagen ihm, das könne er nicht machen. Gerd Müller kommt pünktlich, in seiner Begleitung Ehefrau Uschi und Tochter Nicole.

Der Mann mit dem martialischen Spitznamen „Bomber der Nation“, geboren am 3. November 1945 in Nördlingen, konnte öffentliche Auftritte nie ausstehen. Er war in seiner aktiven Zeit froh, sich hinter Weltstars wie Franz Beckenbauer, Paul Breitner oder Sepp Maier verstecken zu können. In einer Branche der Aufschneider war er der Stille, der Schüchterne, der manchmal Unbeholfene. Neider haben es ihm als Naivität oder gar Dummheit ausgelegt, in Wirklichkeit wollte er einfach nicht mehr sein, als er tatsächlich war: ein begnadeter Instinktfußballer, ein Strafraumstürmer, vor dem die gegnerischen Abwehrreihen regelrecht Angst hatten.

Dabei hätte Gerd Müller allen Grund zu ausgeprägter Selbstdarstellung gehabt, denn seine Karriere war voller Superlative: In 427 Ligaspielen schoss er 365 Tore für den FC Bayern München. 1969, 1972, 1973 und 1974 wurden die Bayern mit dem siebenmaligen Torschützenkönig Meister, 1966, 1967, 1969 und 1971 Pokalsieger. 1973, 1974 und 1975 holten sie den Meisterpokal.

Er hat bei zwei Weltmeisterschafts-Teilnahmen – Mexiko 1970 und Deutschland 1974 – 14 Tore erzielt und belegte in der ewigen WM-Torschützenliste 32 Jahre lang Platz eins. Bei Europameisterschaften erzielte Müller 16 Tore (in zwölf Spielen, einschließlich Qualifikationsrunden). Zählt man nur die Tore bei Endrunden, ist Müller nicht bei den Besten zu finden, da die EM-Endrunden bis einschließlich 1976 nur aus Halbfinale und Finale bestanden. Insgesamt erzielte Gerd Müller in Pflicht- und Freundschaftsspielen 1455 dokumentierte Tore in 1204 Spielen (1,21 Tore/Spiel). Die Statistik belegt eindrucksvoll, dass Gerd Müller der erfolgreichste Stürmer der deutschen Fußballgeschichte ist.


Im Jahr 1966 stellt Gerd Müller seine spätere Frau Uschi seiner Mutter Karoline in deren kleiner Wohnung in der Berger Straße 4 in Nördlingen vor. Bei dieser Gelegenheit werden auch Fotoalben mit Müllers alten Bildern aus seiner Zeit beim TSV Nördlingen gewälzt. Uschi hatte er beim Kaffeetrinken in einer Tchibo-Filiale in München kennengelernt. F.: imago

Im Jahr 1964 wechselt Gerd Müller nach München zum Zweitligisten FC Bayern. Auch der TSV 1860, der in der ersten Bundesliga spielte, hat dem 18-jährigen Torjäger des TSV Nördlingen ein Angebot gemacht, aber Müller sagt ab, weil er sich gegen Stars wie Brunnenmeier & Co. keine Chance ausrechnet. In München lernt er im Oktober 1965 auch seine spätere Ehefrau Uschi kennen, angeblich beim Kaffeetrinken in einer Tchibo-Filiale am Münchner Ostbahnhof. Ursula Ebenböck, Tochter eines Bauingenieurs und einer Schreibwarenhändlerin, ist zu diesem Zeitpunkt 16 Jahre alt, Gerd Müller knapp 20.

Uschi Müller wird nicht nur Ehefrau ihres prominenten Partners, sondern auch seine Managerin, soweit es – vor allem in der Anfangszeit von Gerd Müllers Fußballkarriere – überhaupt etwas zu managen gibt. Im Ries sagt man Frau Müller nach, dass sie Nördlingen nicht sonderlich mag, weil sie ihren Gerd lieber in der weitläufigen Großstadt als im Provinzmief Nördlingens sehen möchte. Einen ernsthaften Beleg für diese These gibt es nicht, Tatsache ist aber, dass Gerd Müller sich in seiner Heimatstadt rar macht. Es sei denn, Karl Höhn ruft ihn.

Höhn, Möbelunternehmer, Mäzen im klassischen Sinne, Sportfunktionär beim TSV Nördlingen und Kommunalpolitiker, ist vermutlich so etwas wie Gerd Müllers Vaterersatz (Johann Heinrich Müller, Gerds Vater, starb im April 1963, Mutter Karoline im März 1983), zumindest aber sein väterlicher Freund. Wann immer der „Höhners Karl“, wie Müller ihn sogar in öffentlichen Interviews schwäbisch-freundschaftlich tituliert, in den siebziger und achtziger im Hause Müller anruft, wird er gehört. Gerd Müller kommt zu zwei Pressebällen der Rieser Nachrichten, zu Autogrammstunden bei Möbel-Höhn, zur Donau-Ries-Ausstellung, wo er in einer sehr netten Aktion mit seinem Namenskollegen und CSU-Politiker Gerd Müller Tischfußball spielt. Aber Besuche in Nördlingen sind für ihn trotzdem mehr Last als Lust, weil unglaublich viele Menschen den bekanntesten Bürger der Stadt vereinnahmen wollen, sei es zu Werbezwecken oder nur zu Erinnerungsbildern. Müller fühlt sich bedrängt, gehetzt und weiß sich nur noch mit dem immer gleichen Spruch zu wehren: „Ich muss gleich wieder weg“.

In den 1990er-Jahren und nach der Jahrtausendwende wird es mit wenigen Ausnahmen ruhiger um den ehemaligen „Bomber der Nation“, auch im Ries und in Nördlingen. Ein paarmal kommt er als Trainer der Münchner B-Jugend in den Rieser Sportpark und plaudert mit alten Freunden. Seine für andere Anlässe häufiger werdenden Absagen gipfeln im Jahr 2000 in seiner Weigerung, sich als Nördlinger „Sportler des Jahrhunderts“ bei der Firma Eisen-Fischer auszeichnen zu lassen. Weil eine stichhaltige Begründung für sein Nichterscheinen zumindest nicht kommuniziert wird, reagieren selbst seine alten Freunde der TSV-Meistermannschaft von 1963/64 mit Enttäuschung und Unverständnis. Auch Karl Höhn kann zu diesem Zeitpunkt nicht mehr helfen: Er lebt schwer krank im Pflegeheim und stirbt im März 2004.

Ob die Stadiontaufe im Juli 2008 auch so etwas wie Versöhnung mit seiner Heimatstadt ist, wird Gerd Müller nicht mehr bestätigen oder bestreiten können, denn seit Beginn dieses Jahres teilt er das Schicksal seines väterlichen Freundes 15 Jahre zuvor: Nach einer Demenzerkrankung wird er in einem Pflegeheim nahe München professionell betreut. Dass er erst jetzt die Ruhe findet, die er wohl zeit seines Lebens vergeblich gesucht hat, mag als Ironie des Schicksals gelten.

Aus Nördlingen, wo man auch in den Zeiten seiner schweren Alkoholerkrankung stets zu ihm gehalten hat, kommt auch diesmal ehrliche Anteilnahme: 8000 Facebook-Klicks bedeuten nichts anderes als: „Alle Gute, Hadde!“

Aufrufe: 03.11.2015, 12:24 Uhr
Rieser Nachrichten / Robert MildeAutor