2024-05-02T16:12:49.858Z

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F: Patten
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In guten wie in schlechten Zeiten

VL MITTE: +++ Der VfB 1900 Gießen kassiert die nächste Pleite +++ Aber es geht weiter, irgendwie +++ Eine Beobachtung am Rande +++

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Sonntag, 16 Uhr, Regen kann man das nicht nennen, was da vom Himmel kommt. Es schüttet wie aus Eimern. Das trifft es. Patschnass gemacht werden die wenigen Zuschauer auf dem Kunstrasenplatz hinterm Waldstadion. Und haben damit viel gemein mit ihrem VfB 1900 Gießen, der zu eben diesem Zeitpunkt mit 0:5 gegen die DJK Flörsheim zurückliegt. Nass gemacht nach nicht mal einer halben Stunde. Die paar Supporter, die sich auf die Balustrade stützen, sagen Sätze wie: „Ach schade, heute hatten wir uns schon was erhofft.“ - „Zumindest das erste Tor.“ - „Nein, vielleicht sogar einen Sieg.“ Aber auch: „Einmal VfB, immer VfB, dem Erfolg hinterherrennen sollen andere.“ Und: „Dabeibleiben, in guten wie in schlechten Zeiten.“

Ein 0:5 gegen Flörsheim nach 28 Minuten, das sind schon ganz schlechte Zeiten. Dabei war die Abwehr zuletzt nicht das Sorgenkind des Verbandsligsten, der nach einer fußballerisch ansprechenden Saison 2015/2016 den finanziellen Eskapaden Tribut zollen und (wieder einmal) ganz von vorne anfangen muss. Der Versuch, in der Verbandsliga weiterzumachen, anstatt zurückzuziehen („so wie Fernwald, ne, das ist nix“, sagt ein weiblicher VfB-Fan) in die Kreisoberliga, das war eine mit viel Bauchschmerzen getroffene Entscheidung. Daran war Interims-Abteilungsleiter Torsten Ortloff beteiligt, aber auch die VfB-Granden. Karl-Heinz Wagner jedenfalls, Meisterspieler 1962 und über Jahrzehnte bis heute die Verkörperung des lange Zeit wichtigsten Fußball-Vereins Mittelhessens, sagt auch am Samstag: „Das war die richtige Entscheidung.“ Es sei auch nicht das erste Mal, dass man das durchmache „So ist Fußball, mal geht es hoch, mal runter.“

In der letzten Saison sei mit Geld kalkuliert worden, das „nur auf dem Papier stand“, sagt Wagner. „Das kann nicht funktionieren.“ Als Ehrenmann hält sich der Allendorfer mit konkreten Schuldzuweisungen zurück, dass man alles hätte anders machen sollen und können, wenn seriös gearbeitet worden wäre, das aber klingt durch. Vorbei. Wieder einmal zerbrach ein sportlich intaktes Gefüge im Waldstadion, der Mann für das Zwei-Jahre-Aufstiegsprojekt, Daniyel Bulut, warf schweren Herzens das Handtuch, fast alle Spieler taten es ihm gleich. Said Rahmani trat das undankbare Erbe an, eine Mannschaft ohne Verbandsliga-Erfahrung durch die Verbandsliga zu lavieren und – vielleicht per Wunder Marke Darmstadt 98 – die eigentlich zu hohe Klasse zu halten.

Gegen Flörsheim sah er seine Mannschaft favorisiert und tatsächlich beginnt sie forsch und spielt nach der Pause mit dem Mute der Verzweiflung nach vorne, um sich noch möglichst teuer zu verkaufen. Und – siehe da: Die so nass gemachten 1900er sind plötzlich ebenbürtig. Immerhin. „Nach den 20 Minuten Tiefschlaf, die so nicht passieren dürfen“ (Rahmani), ist das eine Mut machende Nachricht. Mehr nicht. Mit dieser Einstellung kann man Gegner ärgern, mit dieser Mannschaft aber nicht die Liga halten. Das dürften auch die Verantwortlichen wissen. Bonjour Tristesse.

Die maroden Steinquader auf dem Kunstrasen, die eine Tribüne sein sollen, der Rasen im Waldstadion, der einem Acker gleicht, das seltsame Kassenhäuschen, in dem Rolf Faber seinen Dienst versieht, das alles spiegelt die trübselige Situation genauso wie die 50 zahlenden Zuschauer und das dünn verhallende „97, 98, 99, 100, 1900“ der Handvoll Supporter, die ihrem Verein die Treue halten.

Die 2. Mannschaft ist bereits abgemeldet, das ist bitter, aber als die Sonne mal die Regenwolken weggefegt hat, beißen die VfB-Spieler, schießen ihre ersten beiden Tore der Saison. „Es geht doch“, ruft ein Zuschauer. Sowieso sollte man die Verbandsliga-Auftritte der Rahmani-Elf neben aller berechtigter Kritik an den Vereinsstrukturen und Fehlern der Vergangenheit insofern belobigen, weil sich hier David Woche für Woche einem Goliath stellt. Häme und Spott sind fehl am Platz. Auch Flörsheim spielt mit dem VfB 45 Minuten Katz und Maus. Aber: Die zweite Halbzeit gewinnt der VfB mit 2:1. Erst nass gemacht, dann Hoffnung geschöpft. Harte Zeiten, nasse Zeiten – immerhin kommt gegen Ende des Spiels die Sonne raus.

Aufrufe: 07.9.2016, 14:09 Uhr
Rüdiger Dittrich (Gießener Anzeiger)Autor