2024-05-10T08:19:16.237Z

Interview
Beckers Wintereinkäufe: Ilir Azemi (SpVgg Greuther Fürth, von links), Christopher Lenz (1. FC Union Berlin), Joel Gerezgiher (Eintracht Frankfurt) und Marvin Ducksch (FC St. Pauli) verstärken Holstein in der Rückrunde.
Beckers Wintereinkäufe: Ilir Azemi (SpVgg Greuther Fürth, von links), Christopher Lenz (1. FC Union Berlin), Joel Gerezgiher (Eintracht Frankfurt) und Marvin Ducksch (FC St. Pauli) verstärken Holstein in der Rückrunde.

Holsteins Kiels Sportchef: "Alles lechzt nach der 2. Liga"

Ralf Becker über die Ambitionen des Vereins, die aktuellen Transfers und die Erwartungshaltung in Kiel.

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Vier Abgänge, vier Neuzugänge – kein anderer Drittligist war in der Winterpause auf dem Transfermarkt so aktiv wie die Kieler „Störche“. Noch am letzten Tag der Wechselperiode wurden mit Joel Gerezgiher und Ilir Azemi zwei Spieler verpflichtet und mit Tammo Harder (ausgeliehen an den 1. FC Saarbrücken) ein Spieler abgegeben. Das alles geschieht bei Holstein, um den Sprung in die 2. Bundesliga zu schaffen – wenn möglich schon in diesem Jahr. Wir sprachen mit Sportchef Ralf Becker über die Ambitionen des Vereins, die aktuellen Transfers und die Erwartungshaltung in Kiel.

Herr Becker, ereignisreiche Wochen liegen hinter Ihnen. Wird es nach Ende der Wechselfrist für Sie jetzt etwas weniger stressig?
Die Liga geht ja weiter, von daher bleibt genug zu tun. Aber es stimmt schon: Ich habe gelesen, dass in der 3. Liga weniger Wintertransfers getätigt wurden. Für uns galt das nicht.

Wie würden Sie Ihre Transfers in Kiel zusammenfassen?
Die Anzahl der Spieler im Kader ist zwar gleich geblieben. Aber wir sind überzeugt, dass wir Qualität dazu gewonnen haben. Uns haben mit Sané, Nyarko, Salem und Harder vier Spieler verlassen, von denen drei fast gar keine Rolle spielten und einer als Alternative galt. Mit Lenz, Ducksch, Azemi und Gerezgiher haben wir vier Spieler aus höheren Ligen dazu geholt. Ich freue mich besonders, dass wir das im Rahmen unseres Etats geschafft haben, den wir vor der Saison aufgestellt haben.

Die beiden Zugänge am „Deadline Day“, dem letzten Tag der Transferperiode, überraschten noch einmal. Warum haben Sie sich für Azemi und Gerezgiher entschieden?
Mit Azemi stehe ich schon länger in Kontakt. Wir haben im Juli oder August das erste Gespräch geführt. Aber es muss sich eben auch immer die Situation ergeben, dass es für alle Beteiligten passt. Für uns, für den Spieler und für den abgebenden Verein. Das war jetzt der Fall. Obwohl der Kontakt nicht abgerissen ist, wird so ein Transfer am Ende doch in den letzten Januar-Tagen konkret abgewickelt. Auf der Außenbahn mussten wir auf den Wunsch von Milad Salem reagieren, der den Verein aus familiären Gründen verlassen wollte. Die Frage war: Holen wir einen gestandenen Spieler? Oder ein Talent, dem wir noch etwas Zeit geben wollen? Für einen etablierten Spieler hätten wir zum jetzigen Zeitpunkt zu viele Kompromisse eingehen müssen.

Gerezgiher fällt in die Kategorie Talent, obwohl er aus der Bundesliga kommt?
Er hat dort als U23-Spieler zuletzt ja keine Spielpraxis gehabt, weil Eintracht Frankfurt keine zweite Mannschaft mehr hat. Natürlich erhoffen wir uns bei so einem Wechsel, dass er im besten Fall sofort durchstartet. Aber bei einem jungen Spieler muss man einkalkulieren, dass er etwas Zeit braucht, um sein Potenzial ausschöpfen zu können. Deshalb haben wir ihn für eineinhalb Jahre verpflichtet. Es ist schade, dass er sich jetzt gleich verletzt hat. Aber wir haben mit Steven Lewerenz, Kingsley Schindler, Manuel Janzer und auch Tim Siedschlag und Dominick Drexler genügend Spieler, die auf den Außenpositionen spielen können.

Haben Sie sich für Azemi entschieden, auch weil Marvin Ducksch noch verletzt ausfällt?
Nein. Es hat sich so ergeben, dass Ilir jetzt zu haben war. Natürlich wäre es schön gewesen, wenn Marvin Ducksch gleich dabei gewesen wäre, wie wir es erhofft hatten. Aber er ist ein anderer Stürmertyp als Ilir. Marvin kann nicht nur ganz vorne, sondern auch als Zehner oder auf den Flügeln spielen. Mit Ilir Azemi und Mathias Fetsch haben wir zwei Spieler, die auf die Rolle als Mittelstürmer festgelegt sind, aber in ihrer Spielanlage auch unterschiedlich sind. Wir wollten den Konkurrenzkampf in der Offensive anheben.

Der einzige Abgang, dessen Position nicht wieder besetzt wurde, ist Evans Nyarko. Warum sind Sie überzeugt davon, dass Holstein keinen Zugang im zentralen Mittelfeld benötigt?
Wir verfügen in diesem Bereich einfach schon über eine sehr hohe Qualität im Kader. Wir haben mit Dominic Peitz im Sommer einen Sechser geholt, von dem wir überzeugt sind. Niklas Hoheneder und Alexander Bieler haben diese Position in der Vorrunde schon gut ausgefüllt, auch Siedschlag hat dort bereits gute Spiele gemacht. Mit Peitz, Bieler, Siedschlag, Drexler und Luca Dürholtz sind wir auf den drei Mittelfeldpositionen sehr gut besetzt, zumal es für die Sechs eben auch noch die Option Hoheneder gibt.

Ein zu großer Kader beinhaltet auch immer die Gefahr unzufriedener Spieler. Die 21 Feldspieler, die offiziell zum Kader gehören, darunter Nachwuchsspieler Fernandes und der lange verletzte Kohlmann, reichen Ihrer Meinung nach aus?
Ich denke schon. Die Qualität ist da. Jede Position ist doppelt besetzt, viele Spieler können mehrere Positionen ausfüllen. Wir haben noch mindestens 18 Pflichtspiele. Da wird jeder noch gebraucht. Erfolgreich wird man am Ende nur dann sein, wenn auch die Spieler auf der Bank mitziehen und keine Unruhe aufkommt.

Spieler aus höheren Ligen lockt man in der Regel mit der Perspektive Aufstieg. Ist die 2. Liga für Holstein das Saisonziel?
Wir haben vor der Saison mit dem oberen Drittel in diesem Jahr und dem Aufstieg innerhalb der nächsten drei Jahre eine klare Erwartungshaltung formuliert. Aber natürlich werden wir uns in unseren Zielen auch in dieser Saison nicht nach oben begrenzen. Wir wollen den maximalen Erfolg.

Versetzen wir uns ein paar Monate voraus: Wann wären Sie mit der Saison zufrieden? Nur wenn der Aufstieg gelingt?
Das Wichtigste ist, dass wir sehen, dass es sich in die richtige Richtung entwickelt. Wir waren in der letzten Saison 14., und das ist nicht der Anspruch des Vereins. Es muss erkennbar sein, was wir vorhaben. Das gilt für die Transfers, das gilt für die Spielidee, das gilt auch für die Körpersprache. Wir haben in den Gesprächen jedem Spieler vermittelt, dass wir hier ehrgeizig sind.

Sie haben jetzt mit Zentner, Lenz, Ducksch und Azemi gleich vier Leihspieler im Kader. Kann das zu einem Problem werden?
Das glaube ich nicht. Wir haben eine klare Achse, um die herum ein paar Leihspieler immer okay sind. Torwart, Innenverteidiger, zentrales Mittelfeld – da haben wir ein Gerüst, das sich nicht verändert. Wir haben eine klare Hierarchie auf dem Platz und in der Kabine. Der Mannschaftsrat regelt da intern auch vieles. Klar ist, dass wir nur Spieler haben wollen, die die Interessen der Mannschaft über alles stellen.

Neben den vier Leihspielern geht es in den nächsten Monaten auch für sieben Spieler – das sind Schmidt, Sigurbjörnsson, Kohlmann, Siedschlag, Janzer, Lewerenz und Fetsch – um neue Verträge. Wie sehen Sie diese Personalien?
Zunächst hat jeder die Chance, sich weiterhin zu empfehlen. Am schönsten wäre es doch, wenn sich alle so einbringen, dass wir im Sommer eigentlich gar nichts verändern müssten. Wir haben schon im Herbst mit Czichos, Herrmann und Sicker drei Verträge verlängert. Ein bisschen was ist da auch noch in Planung, teilweise gibt es auch Klauseln in den Verträgen. Aber es ist am Ende eben auch normal, wenn der eine oder andere Platz im Kader offen bleibt, um sich im Sommer noch einmal zu verstärken.

Sind eigentlich alle Verträge auch für die 2. Bundesliga gültig? Oder müsste bei einem Aufstieg nachverhandelt werden?
Nein, alle Verträge mit unseren aktuellen Spielern enthalten auch entsprechende Vereinbarungen. Alle Spieler sind für die 2. und 3. Liga gebunden.

Neben den vier Leihspielern gibt es umgekehrt auch drei Spieler, die Holstein verliehen hat – Harder seit einer Woche in Saarbrücken, Guder und Wirlmann seit Saisonbeginn in Flensburg. Welche Perspektiven haben sie in Kiel?
Wir haben sie im Blick. Genau wie die Leihspieler bei uns weiter im Fokus ihrer jeweiligen Vereine sind. Wenn sich bei uns einer so gut entwickelt, dass er im Sommer wieder zurück geht, haben wir davon auch profitiert. Das erhoffen wir natürlich umgekehrt auch. Wenn sich ein René Guder eine Klasse tiefer zum Torjäger entwickelt wie in der Hinrunde beim ETSV Weiche, dann beschäftigen wir uns natürlich bei unserer Planung für die neue Saison auch intensiv mit ihm.

Wie sehen Sie die Situation im Aufstiegskampf? Wer sind die Favoriten?
Der MSV Duisburg hat bewiesen, dass er eine starke Mannschaft hat und auf dem Weg zurück in die 2. Bundesliga ist. Dahinter ist die Dichte wahnsinnig hoch, diese 3. Liga ist da schon speziell. Es gibt sechs bis acht Mannschaften, die alle Ambitionen haben können. Wir wissen, dass unsere Mannschaft die Qualität hat, um da dabei zu sein.

Sie selbst sind nun seit etwa acht Monaten in Kiel. Fühlt sich der Schwabe Ralf Becker im Norden inzwischen wohl?
Wir sind alle sehr gut angekommen. Seit Oktober ist meine Frau auch hier. Vorher war ich mit den beiden Jungs alleine. Das war nicht immer ganz leicht, weil mein Job ja auch intensiv ist. Der Ältere ist 16 und ein richtiger Holstein-Fan geworden. Er verfolgt jedes Spiel und will auch daheim gern noch über Holstein reden, wenn ich abends schon mal lieber vom Fußball abschalten würde. Der Jüngere spielt selbst in Holsteins U14. Es lässt sich hier gut leben. Wir haben in Eckernförde das Meer vor der Tür. Jetzt hoffen wir, dass die Sonne auch bald wieder raus kommt.

Haben Sie denn auch gemerkt, dass die Fußball-Provinz Schleswig-Holstein heiß darauf ist, endlich wieder Zweitliga-Fußball zu sehen?
Das habe ich vom ersten Tag an gespürt. Alles lechzt nach der 2. Bundesliga, ohne dass der Fußball hier deshalb den Alltag vieler Menschen so sehr bestimmt wie das bei vielen Vereinen im Westen oder im Osten der Fall ist. Aber man muss auch sehen, dass der Schritt in die 2. Liga wahnsinnig groß ist und man Geduld braucht und eine positive Stimmung. Die gute Basis ist da. Ich hoffe, dass die Leute den Weg erkennen können, auf dem wir das Ziel erreichen wollen.

Der Arbeitsplatz als Sportchef bei Holstein gilt nicht als ganz leicht – wegen der hohen Erwartungshaltung und wegen der Konstellation, in der auch der Aufsichtsrat um Gerhard Lütje, der enorm viel für Holstein investiert, gerne seine Wünsche äußert. Wie sind Ihre Erfahrungen?
Das Wichtigste ist für mich, dass am Ende der Geschäftsführer Sport in allen sportlichen Fragen auch die Entscheidungen trifft. Das war bisher so. Auch im Winter wurden alle Entscheidungen so getroffen, wie wir es im sportlichen Bereich für richtig gehalten haben. Am Ende werde ich ja auch an den ausgegebenen Zielen und den Entscheidungen, mit denen wir die erreichen wollen, gemessen werden. Mit Herrn Lütje habe ich übrigens ein gutes Verhältnis. Er hat das Ganze hier entscheidend mit aufgebaut, und natürlich tauscht man sich da auch regelmäßig aus.
Aufrufe: 09.2.2017, 16:00 Uhr
SHZ / Interview: Christian JessenAutor