2024-04-25T14:35:39.956Z

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Morgentliche Aktivierung: Holstein Kiels Spieler „strecken“ sich nach dem Aufstehen.ör
Morgentliche Aktivierung: Holstein Kiels Spieler „strecken“ sich nach dem Aufstehen.ör

Holstein Kiel schwitzt an der Costa Brava

Ein Trainingslager-Tagebuch

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Es ist jeden Tag ein herrliches Natur-Schauspiel. Herrenscharren von jungen Vögeln ziehen am frühen Morgen während des Sonnenaufgangs über das Cambrils Park Resort hinweg. Hier, an der Costa Brava, rund 100 Kilometer von Barcelona entfernt, haben die Störche von Holstein Kiel für sieben Tage ihr Nest aufgeschlagen, um sich auf die Rückrunde in der Dritten Fußball-Liga einzustimmen.

Trainer Markus Anfang nahm 27 Akteure, darunter Leihgabe Christopher Lenz (Union Berlin) sowie die Nachwuchsakteure Philipp Spohn, Narek Abrahamyan (beide U23) und Junioren-Nationalspieler Noah Awuku (U17) mit nach Spanien. U19-Torjäger Utku Sen musste vorzeitig abreisen.

Während die flatternden Jungvögel vor dem Frühstück einfach nur die Schlaf- gegen die Futterplätze eintauschen, arbeiten die Kicker von Holstein Kiel fleißig in einem Camp, in dem im Sommer Familien Urlaub machen. Rund 500 Personen sollen in dem Areal Unterschlupf finden. Aktuell herrscht im großen Pool mit der Erfrischungs-Bar Ebbe. Die drei Holzboote Carmina, Yolanda und Teresa – 50 Meter Luftlinie entfernt – bilden wie der Leuchtturm nahe des mit eiskaltem Wasser gefüllten Kinderpools eine schöne Kulisse.

Milad Salem beim Sprinttraining. Der Fallschirm soll dabei eine Erschwernis bewirken.
Milad Salem beim Sprinttraining. Der Fallschirm soll dabei eine Erschwernis bewirken.
Holsteins Abwehrspieler Dominik Schmidt zeigte sich als einer der härtesten und stand wie der berühmte Fels in der Brandung bis zur Hüfte im Becken. Die Mitspieler Mathias Fetsch, Narek Abrahamyan, Milad Salem und Arne Sicker bekamen deutlich früher kalte Füße. Jetzt sind neben den sehr disziplinierten Kielern ein paar mehr oder wenige ambitionierte Fußballteams aus dem Land mit der Vorliebe für Wohnwagen vor Ort. Im Speisesaal, das den Charme zwischen Schullandheim und Jugendherberge versprüht, ist es zu den Mahlzeiten alles andere als ruhig. Es wird krakeelt, manchmal gesungen und oft laut gelacht. Die Dezibelstärke liegt über dem Norm-Bereich. Holsteins Delegationsleiter Carsten Wehlmann will sich daran nicht stören. „Es ist doch schön, dass wir während der sieben Tage auch einmal andere Gesichter zu sehen bekommen.“ Das Essen, das zu Beginn kaum Kantinenniveau erreicht, wird von Tag zu Tag den Ansprüchen der Profis gerechter. Der Schwerpunkt der Holstein-Kicker liegt ohnehin in den bis zu drei täglichen Trainingseinheiten inklusive einer morgendlichen Aktvierung mit Fitnesstrainer Timm Sörensen. Der 33-Jährige geht bei seinen Aufgaben, die auch Kraft, Ausdauer, Beweglichkeit, Schnelligkeit und Koordination umfassen, sehr strukturiert vor.

„Die Zeit des Trainingslagers ist optimal, jetzt können wir die Spieler anders belasten, als nach dem Hallenmasters, weil dann der Rückrundenstart zu nahe liegt“, sagte Sörensen. Die Arbeit auf dem Hybrid-Rasen im Complex Esportiu Futbol im nahen Salou liegt in den Händen von Anfang und seinem Assistenten Thomas Cichon. In der Regel wird in Gruppen à acht Spieler trainiert. Zwei Gruppen sind im Wechsel bei Anfang/Cichon, eine bei Sörensen. Die Torhüter werden von Torwarttrainer Patrik Borger individuell geschult. „Wir haben viel von unseren Inhalten umsetzen können“, sagte Anfang.

Der 42-Jährige äußerte sich sehr zufrieden über das Wetter – täglich zwischen 13 und 15 Grad mit wärmer wirkender Sonne – und über das Engagement seiner Gruppe. „Alle ziehen voll mit.“ Kapitän Rafael Czichos zog zur Halbzeit ein zufriedenes Fazit: „Ich bin froh, nicht im Schnee und in der Kälte trainieren zu müssen. Die Wetterbedingungen hier lassen uns auf jeden Fall akribischer an den Sachen arbeiten, die wir uns vorgenommen haben.“

Bis zum Ende des Trainingslagers sollen die Abläufe noch weiter verfestigt werden. Beim Testspiel am Montag gegen den spanischen Zweitligisten Gimnàstic de Tarragona will Anfang jedem Akteur gerne 45 Einsatzminuten geben. „Jeder soll sich zeigen und anbieten können“, sagte der Coach. Lediglich U17-Spieler Noah Awuku muss komplett zuschauen. Der 16-jährige Jugendnationalspieler ist noch zu jung. Von den Torhütern Kenneth Kronholm, Bernd Schipmann und Robin Zentner soll einer durchspielen. Die jeweiligen anderen werden nach dem Trainingslager – Holstein spielt noch beim dänischen Superligisten SonderjyskE (19. Januar, 14 Uhr) und gegen den Regionalligisten ETSV Weiche (21. Januar, 14 Uhr) ihre 90 Minuten bekommen.

Wer in Salou zwischen den Pfosten steht, entscheidet Anfang nach Rücksprache mit Borger. Während die Kieler unter der Sonne schuften, blieb der sportliche Geschäftsführer Ralf Becker in der kalten Kieler Heimat. Dort wickelte er die Vertragsauflösung von Saliou Sané ab, der zum Ligarivalen Sportfreunde Lotte wechselt, ab. Er sondierte weiter den Markt für Wintertransfers. „Wir sind nach wie vor überzeugt, dass wir eine gute Mannschaft haben“, sagte Becker. Der 46-Jährige schloss allerdings einen weiteren Transfer nach Lenz grundsätzlich nicht aus. In diese Worte ließe sich sehr gut hinein interpretieren, dass im Laufe der Woche noch etwas zu erwarten sein könnte.



TAGEBUCH
Mittwoch 4. Januar
Die Kieler Störche kommen mit Rückenwind in Spanien an. Ein gutes Omen für die KSV? Nach nur zwei Stunden Flugzeit vom Helmut-Schmidt-Flughafen in Hamburg landet der Airbus 320-200 auf dem Flughafen El Prat in Barcelona. 24 Minuten früher als ursprünglich geplant. Trainer Markus Anfang legt die Trainingseinheit, die fußläufig vom Cambrils Park Resort in der Nachbargemeinde Salou stattfindet, für die 27 Akteure gleich um 30 Minuten nach vorne. Nur Torhüter Robin Zentner schaut etwas traurig drein. Der 22-Jährige ist erkältet und muss passen. Am Abend singen die Spieler ein Ständchen für Tammo Harder und lassen ihn hochleben. Der Angreifer feiert seinen 23. Geburtstag im Trainingslager.

Donnerstag, 5. Januar
Es ist noch dunkel, als Athletik-Trainer Timm Sörensen die Störche zur ersten Einheit bittet. Aktivierung nennt sich das Programm, das jeden Morgen vor dem Frühstück die Flügel in Schwung bringen soll. Auf dem Hybrid-Rasen wird in zwei Einheiten konzentriert gearbeitet. Als Supporter stehen plötzlich drei Holstein-Fans am Spielfeldrand. Sancho Fock, der Kiel vor 20 Jahren Richtung Mülheim/Ruhr studienbedingt verließ, hat Sohn Julian im Schlepptau und trifft Schwester Ricarda, die aus Probsteierhagen nach Spanien reist. Das Trio sieht, wie die Kicker bei Spielformen mit Ball und in einem Kraftzirkel schwitzen. Im Anschluss kühlt Dominik Schmidt als erster seine heißen Muskeln im kalten Pool. Die Eistonne von Per Mertesacker lässt grüßen.

Freitag, 6. Januar
Torhüter Robin Zentner kann wieder frei durchpusten und taucht das erste Mal nach seiner Erkältung auf dem Übungsplatz auf. Torwarttrainer Patrik Borger hat nun mit Kenneth Kronholm und Bernd Schipmann das Trio wieder komplett. Dagegen klagt Tim Siedschlag über Blasen an den Füßen. Utku Sen wird aus dem Mannschaftstraining herausgenommen, macht Aqua-Jogging und bekommt im Anschluss eine Spezialeinheit. „Das ist in diesem Verein sehr selten“, sagt Fitness-Trainer Timm Sörensen und lacht. Wegen kleiner Knieprobleme treten Dominik Schmidt und Dominick Drexler am Nachmittag kürzer. Eine reine Vorsichtsmaßnahme, obwohl die Einheiten von Trainer Markus Anfang und Assistent Thomas Cichon schon sehr intensiv sind. Am späten Nachmittag wird der Wechsel von Saliou Sané zu Ligarivalen Sportfreunde Lotte bekannt. Er war in Kiel schon ausgemustert und gar nicht mit an die Costa Brava gereist.

Sonnabend, 7. Januar
Die Trainingseinheit hat kaum begonnen, da muss Schlussmann Kenneth Kronholm mit einer Sprunggelenksblessur passen. Er begibt sich in die Hände der Physiotherapeuten Tim Höper sowie Sebastian Süß und macht am Nachmittag gemeinsam mit Utku Sen, Steven Lewerenz und Kingsley Schindler, die ebenfalls als reine Vorsichtsmaßnahme geschont werden, unter Anleitung von Fitnesstrainer Timm Sörensen Krafttraining. Am Vormittag erweitert dieser sein Repertoire auf dem Trainingsplatz, als er die Kicker mit Fallschirmen sprinten lässt. Frei nach Sänger Andreas Bourani hätte noch das Lied vom Astronauten („Ich heb ab. Nichts hält mich am Boden. Bin zu lange nicht geflogen“) im Hintergrund laufen können. Die Stimmung kann trotz der Schinderei kaum besser sein.

Sonntag, 8. Januar
Jan Flechsig ist 2001 nach Barcelona ausgewandert und arbeitet in Katalonien. Der 43-Jährige frühere Holtenauer ist glühender Holstein-Fan und hilft mit seinen Kontakten. Nach dem Besuch im Camp Nou (siehe Extrastück) kann die Mannschaft am Berg Tibidabo (512 Meter über dem Meeresspiegel) einen wunderbaren Blick über Barcelona werfen. Er wird gemeinsam hoch oben über der Stadt zu Abend gegessen. Flechsig sorgt eigens dafür, dass das Restaurant früher öffnet. „In Barcelona wird normal erst ab 20.30 Uhr geöffnet“, sagte Flechsig. Er ist mit der Argentinierin Laura verheiratet und leitet ein kleines Meinungsforschungsinstitut. Der zweisprachig aufwachsende Sohn Max darf ein Holstein-Trikot mit den Unterschriften aller Spieler sein Eigen nennen.

Aufrufe: 010.1.2017, 18:00 Uhr
SHZ / örAutor