2024-05-10T08:19:16.237Z

Allgemeines

"Halbe Mannschaft ist auf irgendwelchen Mitteln unterwegs"

Das große "Nachspielzeit"-Interview über Doping im Amateurfußball - die Gründe, die Vorgänge, die Konsequenzen.

Sie haben sich bereit erklärt, mit uns über Doping zu sprechen, sofern Sie unerkannt bleiben. Was wir sagen dürfen: Sie haben von der fünften Spielklasse bis zur Kreisliga überall gespielt und wissen genau, wovon Sie sprechen. Wenn es um Doping im Fußball geht, heißt es oft: „Das gibt es nicht, das bringt ohnehin nichts.“ Was halten Sie von solchen Aussagen?
Das ist einfach lächerlich, weil Doping im Fußball immer etwas bringt. Sobald du irgendwelche leistungssteigernden Mittel zu dir nimmst, verspürst du ab einer bestimmten Anzahl Minuten auf dem Platz eben keine Müdigkeit und kannst die Aktionen viel konzentrierter ausführen. Dadurch hast du definitiv einen Vorteil. Und wenn du keine Schmerzen spürst, hast du auch vom Kopf her keine Angst und kannst immer 100 Prozent geben.

Trotzdem gibt es nach wie vor den Mythos vom dopingfreien und sauberen Fußball – sowohl im Profi- als auch im Amateurbereich.
Ich kann zum Profibereich natürlich nicht viel sagen, außer Geschichten, die ich von Ex-Profis gehört habe. Wie diesen Satz: „Wir haben Voltaren in der Kabine gegessen wie Gummibärchen.“ Das sind dann eher legale Dopingmittel, die aber definitiv leistungssteigernd wirken. Ich weiß nicht, wie viele Spiele ich selbst auf Voltaren-Tabletten gespielt habe. Dann gehst du nach 90 Minuten vom Platz und denkst dir: Okay, 90 Minuten würden jetzt noch mal gehen. Das Problem ist nur, abends kommt die Quittung. Dann sagt der Körper: Jetzt ist Game over. Dann merkst du, dass du über dein Limit hinausgegangen bist.

Inwiefern?
Es ist eine körperliche Kompletterschöpfung. Du willst die Treppe hoch- oder runtergehen, aber du hast kaum noch Kraft in den Beinen. Du fühlst dich komplett schlapp. Und die Schmerzen, die du im Spiel nicht gespürt hast, die kommen, wenn die Schmerzmittel nachlassen, definitiv wieder zum Vorschein.

Trotzdem haben Sie es vor dem nächsten Spiel nicht anders gemacht. Obwohl Sie wussten, wie Sie sich am Abend fühlen werden.
Ich habe immer Fußball mit Herz gespielt, für mich war das nie etwas, mit dem ich Geld verdienen wollte. Also ich habe schon etwas Geld verdient, das war neben dem Studium auch ganz nett, ein paar Euro mehr in der Tasche zu haben. Aber in erster Linie war es eine Herzensangelegenheit für mich. Und wenn dann mal Wehwehchen da waren, oder wenn man ein wichtiges Spiel hatte, beispielsweise um den Aufstieg, dann hat man halt so etwas gemacht. Und wenn du weißt, dass es hilft und wirkt, dann machst du es immer wieder.

Hatten Sie nie Bedenken wegen der Spätfolgen?
Du machst dir überhaupt keine Gedanken darüber, ob es gut oder schlecht ist. Du machst es einfach. 50 Prozent der Mannschaft sind auf irgendwelchen Mitteln unterwegs. Es gab Leute, die haben sich vor dem Spiel eine halbe Flasche Nasenspray in die Nase gejagt.

Da ist meistens Ephedrin drin, das auf der Dopingliste steht.
Genau, das habe ich auch nicht gemacht. So weit konnte ich noch denken, dass meine Schleimhäute das vielleicht nicht so gut finden. Aber sonst habe ich mir gedacht: Ach Gott, mal ein Schmerztablettchen nehmen. Das nimmst du ja auch, wenn du Kopfschmerzen hast. Dass eine Voltaren mit dem Wirkstoff Diclofenac schon eine Nummer härter ist als eine kleine Paracetamol, darüber hat man sich keine Gedanken gemacht.

Aber gab es denn eine Form von Unrechtsbewusstsein? Schließlich nimmt man etwas, was die Leistung steigert. Gab es nach Spielen den Gedanken, deswegen gewonnen und den Gegner betrogen zu haben?
Nicht eine Sekunde.

Weil es so normal ist, dass es die Gegner bestimmt auch machen?
Ich habe mir da gar keine Gedanken gemacht. Ganz ehrlich, das war etwas, was ich für mich gemacht habe, um keine Erschöpfung zu spüren und 90 Minuten alles geben zu können. Auch wenn ich körperlich richtig fit war, hat es mich nochmal fitter gemacht. Ich habe in der 80. Minute gedacht, dass das Spiel gern noch eine Stunde dauern könnte. Und ich wusste, dass ich jederzeit 100 Prozent geben kann.

Wenn Sie sagen, Sie hätten es für sich gemacht, war das also eine geheime Sache oder hat auch mal ein Trainer gesagt, die Mannschaft solle es nehmen?
Auf Voltaren bin ich durch einen Trainer gekommen. Allerdings gab es nie die Situation, dass ein Trainer mir oder einem anderen Spieler gesagt hätte, dass alle leistungssteigernde Mittel nehmen sollen.

Offen wird also nicht darüber gesprochen?
Es wird schon offen darüber geredet. In der Kabine ist das ein offenes Thema. Genauso normal, wie sich Stutzen anzuziehen, sind Sätze wie: Hat einer eine Voltaren? Will einer eine Voltaren? Es ist völlig normal, aber keiner macht sich Gedanken darüber. Ich kann es nicht anders sagen.

Was passiert in den Sommerpausen? Haben Sie sich nicht manchmal gewundert, wie einer plötzlich aussah?
Es gab schon mal Leute, die als Schmalhans in die Pause gegangen sind und als Adonis wiederkamen. Ob das ohne Zusatzmittel möglich ist, kann ich nicht sagen. Vielleicht ist es auch ein Stück weit Veranlagung. Beim einen geht es gut, beim anderen nicht. Wobei man sagen muss, dass Muskelaufbau bis zu einem gewissen Grad gut ist für die Stabilität, wer aber zu viel macht, verliert an Beweglichkeit.

In Amateurfußball-Foren im Internet wird offen über Epo und Anabolika geredet. Haben Sie so etwas einmal mitbekommen?
Nein, gar nicht.

Was stattdessen?
Harmlosere Sachen wie Salben, die man sich unter die Nase reibt und das Gefühl hat, besser atmen zu können. Andere Salben hat man sich nach einer leichten Muskelverletzung auf die Stelle gerieben.

Ob das wirklich etwas bringt?
Das ist für mich nicht leistungssteigernd und auch kein Doping.

Bei Voltaren sehen Sie das anders?
Es ist definitiv leistungssteigernd. Punkt. Du bist dadurch nicht schneller, aber du spürst die Schmerzen nicht, man hat mehr Kondition, mehr Kraft, dadurch mehr Konzentration. Das ist ein Riesenvorteil.

Geht man auch anders in Zweikämpfe?
Nicht bewusst, aber unbewusst ist das natürlich schon so. Wenn du dir eigentlich eine größere Prellung zugezogen hast, die du aber nichts spürst, gehst du in den nächsten Zweikampf wieder mit 100 Prozent. Wenn du die Schmerzen spüren würdest, wäre es wahrscheinlich eine ebenso unbewusste Entscheidung, nicht mehr zu 100 Prozent reinzugehen.

Neben all den anderen Risiken ist das auch nicht gerade förderlich für den Heilungsprozess.
Natürlich nicht, du schiebst es damit nur auf. Es ist sogar komplett kontraproduktiv. Der Körper signalisiert dir den Schmerz ja nicht aus Jux und Dollerei, der signalisiert dir den Schmerz, weil irgendwas gerade nicht so ist, wie es eigentlich sein soll. Dadurch wird es nur noch schlimmer. Irgendwann kommst du an den Punkt, an dem es eigentlich nicht mehr weitergeht. Nur wenn du richtig vollgepumpt bist mit Schmerzmitteln, kannst du das aushalten. Aber wenn wirklich etwas kaputt ist, geht es dadurch natürlich nur noch weiter kaputt.

Gab es abgesehen von Mitteln zur Schmerzunterdrückung auch Aufputschmittel? Weil es im Amateurbereich keine Kontrollen gibt, ist quasi alles möglich.
Ich weiß, dass es Leute gibt, die auf irgendwelchen Partydrogen wie Kokain oder Speed unterwegs sind. Ich selber habe das bei Mitspielern aber nie mitbekommen, ich habe das nie gemacht und würde das auch nie tun. Was nicht legal in der Apotheke zu bekommen ist, kam für mich nie in Betracht.

Nur weil es in der Apotheke zu bekommen ist, heißt es ja nicht, dass es kein Doping ist.
Natürlich nicht. Auch das Zeug ist leistungssteigernd, keine Frage.

Ein weiteres Thema sind Maßnahmen bei Verletzungen. Welche hatten Sie im Laufe der Jahre?
Normale Sachen wie Nasenbeinbrüche, eine gebrochene Schulter, etliche Muskelfaserrisse, Zerrungen.

Haben Sie da auch nachhelfen lassen, damit es schneller geht als beim Normalbürger?
Ich hatte viele Probleme mit Muskelfaserrissen. Dafür gibt es ja dieses „Wunderheilmittel“ von Dr. Müller-Wohlfahrt, das aus Kälberblut gewonnen wird. Dadurch heilt die Faser schneller. Normalerweise dauert die Regenerationszeit um die 14 Tage, mit den Spritzen sind es zehn. Aber auch das empfinde ich nicht als Doping. Das kann jeder machen, auch die Bäckermeisterin, die keine Lust hat, mit einem Muskelfaserriss in den Urlaub zu fahren.

Zur ganz normalen Behandlung gehört es aber nicht.
Nein, aber das kann jeder machen lassen. Man muss es aber aus der eigenen Tasche bezahlen. Ich hatte allerdings einen Arzt, der das anders abgerechnet hat. Ich bin mit der normalen Krankenkassenkarte hin, er hat mir fünf Spritzen rund um die Stelle gesetzt und das als irgendeine andere Therapie deklariert.

Der Arzt wusste, dass Sie Fußball spielen?
Klar, ich bin ja auch gezielt zu ihm gegangen, weil ich wusste, dass er das tut. Da gehen viele Fußballer hin.

Wann hat das bei Ihnen angefangen?
Erst später. Ich kam aus der A-Jugend direkt in die Verbandsliga. Da konntest du schon gutes Geld verdienen, mehr als andere, die 40 Stunden in der Woche arbeiten. Da gab es keine Freunde, da will jeder spielen, es geht um Prämien. Ich habe damals aber noch nichts genommen, ich war jung, topfit und verletzungsfrei. Das kam erst später mit den ersten Wehwehchen, dann hat man zu solchen Mitteln gegriffen.

Andere tun es schon früher. Wie hoch ist der Prozentsatz Ihrer Meinung nach?
Es gibt Leute, die nehmen es fünf, sechs Mal in der Saison, es gibt Leute, die nehmen es zu 80 Prozent aller Spiele. Ich würde schätzen, jeder Dritte nimmt etwas.

Gibt es auch Mitspieler, die dagegen sind und das Thema mal ansprechen?
Nein, es wird eher als lustig abgetan. Aber es ist ein völlig normales Thema. Ich bin noch in einem Gruppenchat einer Kreisliga-B-Mannschaft. Heute Morgen vor einem Testspiel war das erste, was ich da gelesen habe: „Hat einer Schmerzmittel?“ Die erste Antwort: „Die ganze Kabine ist doch voll damit.“ Man hat eben kein Bewusstsein dafür, dass das schlecht sein könnte für den Körper. Gerade in jungen Jahren macht man sich darüber keine Gedanken.

Wie könnte man dagegen vorgehen? Dopingtests sind auf der Ebene nicht bezahlbar. Was könnte man zur Prävention tun?
Die Leute schlucken das Zeug, weil sie hören, wie die anderen schwärmen und 90 Minuten durchlaufen können. Es gibt sicherlich auch Leute, die sich damit auskennen und es trotzdem nehmen. Es gibt auch Leute, die es grundsätzlich ablehnen. Verhindern kann man das nicht. Ich denke, dass man mit Aufklärung trotzdem etwas tun könnte. Man muss den Leuten vermitteln, dass das nicht gut ist für den eigenen Körper.

Vor allem, wenn man es dauerhaft nimmt.
Das kann schon mit der ersten Tablette passieren. Wer sich verletzt, das aber nicht spürt und weitermacht, kann sich das komplette Kreuzband reißen, das sonst vielleicht nur leicht angerissen wäre. Und Diclofenac ist für das Herz nicht gerade förderlich. Ich wundere mich, dass nicht auch im Amateurbereich mehr Leute zusammenklappen und einen Herzinfarkt auf dem Platz bekommen.

Aufrufe: 018.10.2016, 14:02 Uhr
Bernd SchwickerathAutor