2024-05-10T08:19:16.237Z

Interview
Die Schiedsrichterzunft hat es aktuell nicht leicht. Der Nachwuchs und auch die Unterstützung fehlt. F: Zink
Die Schiedsrichterzunft hat es aktuell nicht leicht. Der Nachwuchs und auch die Unterstützung fehlt. F: Zink

"Es wird bald mächtig knallen"

Dem Schiedsrichterwesen fehlt der Nachwuchs und die Unterstützung, das machen Stefan Stadelmann und Kurt Linhardt im Interview deutlich

Stefan Stadelmann und Kurt Linhardt sind seit Jahrzehnten mit Leidenschaft Schiedsrichter. Doch ihre Zunft ist vom Aussterben bedroht. Ein Gespräch über fehlende Unterstützung und die besondere Liebe zum Masochismus.
Herr Linhardt, Sie pfeifen seit 30 Jahren Amateurfußballspiele. Man hat den Eindruck, dass es immer brutaler wird auf den Fußballplätzen.

Kurt Linhardt: Ganz ehrlich: Da bin ich in einer komfortablen Situation. Dadurch, dass ich nicht Landesliga oder Bayernliga pfeife, sondern seit 30 Jahren im Raum Pegnitz unterwegs bin, kennen die Leute mich alle auf dem Sportplatz.

Deshalb beschimpft man Sie nie?

Linhardt: Das kommt selten vor. Die kennen mich alle, die wissen, ich will am liebsten 120 Prozent Leistung bringen und keine Fehler machen. Und wenn es doch passiert, sage ich: Sorry, tut mir leid, das war scheiße. Schlimmer sind die Zuschauer, die reinrufen.

Mehr als früher?

Stefan Stadelmann: Es ist nicht schlimmer geworden, aber anders: Das Extreme hat zugenommen, das, was man gemeinhin mit „unter der Gürtellinie“ bezeichnet.

Der Respekt vor den Schiedsrichtern hat nachgelassen?

Stadelmann: Ja. Wir haben ja mehr 14- und 15-Jährige jetzt, die pfeifen, da ist das Problem, dass gegen die wirklich alles ausgelotet wird, um sich einen Vorteil zu verschaffen. Wenn wir da nicht Schiedsrichterbetreuer mitschicken würden, die den Jungs den Rücken stärken, würden wir viele Schiedsrichter verlieren. Das war früher nicht ganz so krass.

Jetzt gibt es ohnehin Nachwuchssorgen bei den Schiedsrichtern. Steht das im Zusammenhang, werfen viele nach Negativerlebnissen wieder hin?

Stadelmann: Das gibts oft, ja.

Linhardt: Einer hat kürzlich geschrieben: Es tut ihm leid, aber er hat keine Lust, sich dauernd blöd anreden zu lassen. Da muss man dann gut zureden: Jetzt warte doch mal eine Woche, schlaf’ mal eine Nacht drüber – und dann probierst du es nochmal.

Stadelmann: Oft sind ja auch die Eltern dabei, wenn die jungen Schiedsrichter ihre ersten Spiele pfeifen. Die trifft dann der Schlag: „Allmächd na, was is na des?“ Viele Eltern sagen im Vorfeld daher: Nein, mein Sohn, Schiedsrichter machst du nicht. Eben aus diesen Gründen.

Warum sind Sie beide dann eigentlich Schiedsrichter?

Stadelmann: Weil es Spaß macht, trotzalledem. Negative Erlebnisse kommen vor, aber zu 95 Prozent passt ja alles. Es ist eine große Anerkennung, wenn alles super gelaufen ist, beide Mannschaften zufrieden sind.

Kommt das häufig vor? Es ist doch immer der Schiedsrichter schuld, wenn man verliert ...

Stadelmann: Nicht unbedingt. Ich hatte viele Spiele, wo auch der Verlierer zu mir kam und sagte: Schiri, das hat gepasst.

Wenn es anders läuft, man beschimpft wird, verfolgt einen das die Woche – oder schüttelt man das ab?

Linhardt: Man fährt heim und fragt sich: Was ist falsch gelaufen heute?Aber das waren bei mir im vergangenen Jahr vielleicht fünf von 135 Spielen. Wenn ich einen schwarzen Tag erwische, dann gehe ich rein in die Kabine und sag’: Männer, tut mir leid, ich hab’ mich bemüht, aber heute war es nix. Das erkennen die Spieler an und sagen dann: „Kurt, passt schon.“ Wie nahe kann man Mannschaften sein als Schiedsrichter, um trotzdem noch den Respekt zu genießen?

Linhardt: Naja, man kennt ja alle Spieler, wenn man in einem Kreis so lange pfeift. Man muss auf dem Sportplatz nicht per Sie sein, wenn man sich dreißig Jahre lang kennt. Da ist die Distanz trotzdem da.

Darf man mit einem Aufsteiger als Schiedsrichter, wenn man eingeladen wird, ein Bier trinken?

Linhardt: Für mich ist es wichtig, dass es nach jedem Spiel einen Kaffee und einen Kuchen gibt. Dass man zusammensitzt, ins Gespräch kommt: Warum hast du da so und so entschieden?

„Es gibt Spiele, da flüchtet man besser durch den Hinterausgang“

Gab es Spiele, nach denen Sie besser nicht ins Sportheim sind?

Stadelmann: Das gibt es auch. Dann flüchtet man besser gleich durch den Hinterausgang.

Erzählen Sie solche Geschichten Anfängern auf den Lehrgängen?

Stadelmann: Weniger, aber man muss schon drauf eingehen, dass es Spiele gibt, wo es hitziger wird. Da muss man sich als Schiedsrichter drauf einstellen, damit man nicht unvorbereitet getroffen wird.

Welche Persönlichkeit muss ein Schiedsrichter mitbringen außer dem Hang zum Masochismus?

Stadelmann: Man muss Selbstbewusstsein haben. Das hatte ich am Anfang auch nicht in dem Maße wie jetzt, da prägt einen die Schiedsrichterei in der Persönlichkeit. Wenn man mit 14 mit 30-Jährigen diskutieren muss, das muss einen ja prägen.

Linhardt: Wobei man als Einteilerschon drauf achtet, dass kein 16-Jähriger in ein Spiel geschickt wird, in dem Hölle und Feuer herrschen. Trotzdem muss jeder Schiedsrichter immer auf alles eingestellt sein – bis hin zum Spielabbruch. Bei meinem Sohn Robin, der ist 16 und seit zwei Jahren Schiedsrichter, habe ich beobachtet, dass er sehr an Selbstvertrauen gewonnen hat durch das Pfeifen.

Stadelmann: Wir arbeiten nicht nur mit den Jungen intensiv, auch mit Älteren: Wie verhalte ich mich wann, was kann ich besser machen?

Eine häufige Beobachtung ist, dass gerade sehr junge Linienrichter von Zuschauern, nun ja, bearbeitet werden. Wie kann man als Hauptschiedsrichter dem armen Kind helfen?

Stadelmann: Da schicken wir erfahrene Hauptschiedsrichter mit. Er muss eingreifen und bereinigen. Also selber dazwischenspringen oder zum Trainer sagen, dass er drauf achten soll, dass der in Ruhe gelassen wird.

...und wenn der arme Bub offensichtlich Fehlentscheidungen trifft?

Stadelmann: Dann muss man die Schuld auf sich nehmen.

Herr Stadelmann, Herr Linhardt, welcher der hiesigen Fußballkreise hat denn keine Nachwuchssorgen?

Stadelmann: Keiner. Wir sind da überall am Limit, ehrlich gesagt. Und obendrein stark überaltert, vor allem im Kreis Erlangen. Da wird es bald massiv knallen, wenn da nicht bald etwas passiert. Mehr Junge haben wir in Forchheim und in Pegnitz.

Werden die Vereine nicht gezwungen, Schiedsrichter abzustellen?

Stadelmann: Doch, jeder Verein muss für jede erste Mannschaft, jede zweite – Herren oder Damen – sowie für jede A- und B-Jugend je einen Schiedsrichter stellen.

Und wenn er das nicht kann?

Stadelmann: Dann muss er Ausfallgebühren zahlen, je nach Spielklasse. In der A-Klasse sind es 50 Euro im ersten Jahr, nach dem dritten erhöht es sich um 25 Prozent. In der Kreisliga, Bayernliga steigt der Preis.

Pro Spiel?

Stadelmann: Pro Kalenderjahr.

Linhardt: Der FC Pegnitz mit seinen vielen Damenmannschaften zum Beispiel, der musste zuletzt eine vierstellige Summe zahlen. Daher hat der Verein am Schwarzen Brett geworben: Wer Schiedsrichter wird, bekommt eine Belohnung von 100 Euro.

Gibt es eine Art Transfermarkt wie bei Fußballspielern, auf dem Schiedsrichter regelrecht abgeworben werden, um diese Kosten zu sparen?

Stadelmann: Es kommt vor, dass Schiedsrichter den Verein wechseln, ja. Ob die Mitgliedschaft dafür erlassen, das Trikot gestellt wird, oder Schuhe, weiß ich nicht. Sowas kann man aber annehmen, ja.

Linhardt: Mein Sohn, der bekommt alle vier Trikots gestellt, einen Trainingsanzug und die Schuhe.

Tun die Vereine genug, um für Nachwuchszu sorgen?

Stadelmann: Manche schon, ja. Aber manche interessiert es auch gar nicht. Ich habe das Gefühl, viele sind so beschäftigt, Betreuer und Spielleiter zu finden, die können sich gar nicht um die Schiedsrichterei auch noch kümmern.

Kümmert sich denn der Fußballverband ausreichend darum?

Stadelmann: Da fehlen an der Basis die Unterstützung und die Rückendeckung, finde ich.

Haben Sie Ideen, wie man das ändern kann, dass es wieder mehr Schiedsrichter gibt?

Stadelmann: Die Vereine müssten sich viel mehr damit beschäftigen. Und auf dem Sportplatz das positive Bild transportieren, nicht immer nur alle angiften, das würde schon helfen.

Sind Prämien, wie kostenloser Eintritt bei den Profis des 1. FC Nürnberg, der richtige Weg?

Stadelmann: Das wird massiv missbraucht: In Augsburg gibt es einen Schiedsrichterboom, seitdem der FC Augsburg in der ersten Liga spielt – nur pfeifen tun deshalb nicht mehr als vorher.

Also muss der Club wieder in die Bundesliga.

Linhardt: Naja, da gibt es wieder viele, die nie pfeifen, wenn der Club ein Heimspiel hat.

Welche Benefiz bekommt man als Schiedsrichter denn?

Stadelmann: Bei der U15 und U13 erhält man 15 Euro plus 30 Cent pro Kilometer pro Spiel. Für A- und BJugend gibt es 17 Euro, für Bezirksliga- Damen 17 Euro, für Kreisliga und drunter auch 17. 30 Euro für die Bezirksliga-Herren, 44 für Landesliga und für Bayernliga 60. Dafür ist man aber den ganzen Tag unterwegs. Eine kleine Aufwandsentschädigung, mehr ist es nicht, fürs Hobby.

Haben wir das richtig verstanden: Für Herren-Bezirksliga bekommt man fast doppelt so viel Lohn wie für Frauen-Bezirksliga?

Stadelmann: Das ist damals so gewachsen irgendwie, ja. Das legt der Verband fest. In Ordnung ist das nicht, Gleichberechtigung sieht sicher anders aus.

Darf man beim Verband so etwas ansprechen?

Stadelmann: Kann man. Aber ich glaube nicht, dass sich das deshalb ändert. Es ist insgesamt so, dass der Bayerische Fußball-Verband im Vergleich mit anderen Landesverbänden ziemlich schlecht zahlt.

Warum wehren Sie sich dagegen denn nicht?

Stadelmann: Tun wir ja, aber wir haben da keine Chance. Eigenartig ist obendrein, dass alle Gebühren erhöht werden, der Verband aber sagt: Da können wir nicht auch noch die Spesen erhöhen, die Vereine zahlen ja schon so genug. Irgendeiner muss drunter leiden, das sind in diesem Fall die Schiedsrichter.

Wenn man die Zahlen sieht, was in der Bundesliga allein verdient wird, wundert man sich nicht, warum dann so wenig an der Basis ankommt?

Linhardt: Ein Schiedsrichter-Obmann müsste für den immensen Aufwand eigentlich eine Entschädigung bekommen. Da geht es ja nicht ums Geld, sondern um eine Anerkennung, dass man sich engagiert.

Wie viele Stunden Arbeit stecken Sie denn in die Organisation des Schiedsrichterwesens im Spielkreis, Herr Stadelmann?

Stadelmann: Das kann ich kaum beziffern, das ist beinahe rund um die Uhr. Sobald ich von der Arbeit komme, geht die Einteilung los. Was dann an Veranstaltungen auf uns zukommt, Tagungen, Sitzungen... puh!

Haben Sie Familie?

Stadelmann: Ja, zwei Kinder. Mein Schwiegervater war mein Vorgänger, deshalb macht das meine Frau vermutlich überhaupt mit: Sie kennt das nicht anders, ist so aufgewachsen...

Was zahlt Ihnen der Verband?

Stadelmann: Jeder Funktionär bekommt 30 Euro Telefonpauschale. Das wird ab 2020 aber auf 20 Euro reduziert, weil das Telefonieren ja günstiger geworden ist.

„Wir leiden massiv unter Nachwuchsproblemen und Überalterung“

Keine große Wertschätzung, oder?

Stadelmann: Nein.

Es gibt auch eine Internetpauschale für die Vereine. Ist der Eindruck falsch, dem Verband ist es wichtiger, dass von den Spielen getickert wird, als dass Schiedsrichter da sind, die die Spiele pfeifen?

Stadelmann: Das könnte man so sehen, ja. Wichtiger sind offenbar die Werbeeinnahmen.

Tut das nicht weh, gerade als Schiedsrichter?

Stadelmann: Ja, ganz ehrlich: Das tut sogar sehr weh.

Aufrufe: 018.2.2017, 12:06 Uhr
Marcel Staudt (NN Pegnitz) / Christoph Benesch (ENAutor