2024-05-10T08:19:16.237Z

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Paul-Andrei Fizesan stupst den Ausgleich ein und taucht ein in den Jubel (Foto: Michael Müller).
Paul-Andrei Fizesan stupst den Ausgleich ein und taucht ein in den Jubel (Foto: Michael Müller).

"Eins versprech` ich Dir: Dann ist nur noch Party"

Alltag in der A-Klasse 6 - Folge 31: Eine lange Saison hat die A-Klasse 6 für große Unterhaltung gesorgt, am Ende überrascht sie sogar noch mit einem echten Spitzenspiel

Ein holpriger Sandplatz, in der Kabine eine Kiste Bier, das Trikot riecht nach Zigaretten. Ja, man erzählt sich viel über die A-Klasse. Aber auch, dass man dort den Fußball noch so erleben kann, wie er ursprünglich war. Wir wol­len herausfinden, wie es wirklich ist, in den Niederungen des Amateurfuß­balls und begleiten die A-Klasse Nürn­berg 6 bis zum Höhepunkt.

Wir drei, sagt Jürgen Neubauer, wir waren immer da. Auch, als alle ande­ren sagten, dass das nichts werden würde, mit der, nun ja, „Türkenmann­schaft“. Aber nach diesem Gespräch mit Muarrem Demir, sagt Neubauer, da haben wir drei uns gedacht: Lasst es uns doch probieren. „Was war denn unsere Alternative?“

Die erste Mann­schaft war drauf und dran sich aufzu­lösen, die Sportanlage war verwaist, wenn am Sonntag die DJK Eintracht Süd in der B-Klasse im Niemandsland vor sich hin kickte. „Eintracht Süd war schon fast tot“, sagt Neubauer. Dann brachte Muarrem Demir, der neue Trainer, eine ganz neue Mann­schaft mit in die Kettelersiedlung, hauptsächlich Landsleute mit Wur­zeln in die Türkei. „Wir kannten nie­manden“, sagt Jürgen Neubauer, „aber die Jungs waren vom ersten Tag an sehr höflich und freundlich“. Auch heute noch vergeht kein Spieltag, kein Training, an dem ihm und seiner Frau Monika, die in der Vereinsführung tä­tig ist, jeder Spieler und die Trainer die Hand schütteln, bevor es auf den Platz geht.

„Die Jungs“, sagt Neubau­er, „sind schwer in Ordnung, deshalb machen wir auch fast alles für sie.“ Für diese Einsicht haben die anderen ein paar Monate gebraucht. Ein paar Monate und den Aufstieg in die A-Klasse 6. „Jetzt“, sagt Jürgen Neu­bauer und guckt über die gut gefüllte Steintribüne, über den rauchenden Grill, zu dem von Kindern und Famili­en bevölkerten Bratwursthüttchen, „herrscht hier endlich wieder Leben.“ Das mache ihn besonders stolz, ihn, seine Frau und den dritten im Bunde, der gerade in der kleinen Hütte Ge­tränke verkauft, die eben, die damals gesagt haben: Lasst es uns doch ein­fach probieren. „Ja, man kann das so sagen“, findet Jürgen Neubauer: „der Türkenmannschaft sei Dank.“

Zwei Spiele sind es noch in dieser Saison, die DJK Eintracht Süd und der TV Glaishammer stehen auf Rang zwei und drei der Tabelle. Die Relega­tion zur Kreisklasse haben beide Teams sicher, jetzt geht es im Drei­kampf mit Vatanspor, dem Tabellen­führer, um den direkten Aufstieg. „Wenn alles schiefläuft“, sagt Muar­rem Demir, „spielen wir hier noch bis in die nächste Saison hinein den Auf­stieg aus.“ Es könnte ja, wenn es ganz wild läuft, am Ende drei punktgleiche Teams auf den ersten drei Plätzen ge­ben. Dann, das haben sie vom Kreis­spielleiter erfahren, gäbe es ein Halbfi­nale, ein Freilos und ein Endspiel um den direkten Aufstieg. Die Verlierer hätten auch noch eine Chance: die Relegation. Hochspannung in der A-Klasse 6.

Oder, wie Manfred Schrei­ber sagt: „der absolute Wahnsinn“. Seit 22 Jahren ist der Angreifer vom TV Glaishammer in Deutschland, ge­boren wurde er in Rumänien. Auch sein Trainer, Adrian Buortesch, kommt aus Rumänien. „Ich kenne ihn gut, deshalb spiele ich hier“, sagt Schreiber, viele seiner Mitspieler haben die gleichen Wurzeln, halten es mit dem Coach genauso. Deshalb spielt Manfred Schreiber überhaupt in der A-Klasse. Früher war er in Zirn­dorf, beim VfL Nürnberg – Bezirksli­ga, Kreisliga, „höherklassig halt“. Heute geht es gegen die DJK Ein­tracht Süd im vorletzten Saisonspiel, eine erste Vorentscheidung in Sachen Meisterschaft. Holt Glaishammer einen Punkt, haben sie den Aufstieg am letzten Spieltag in der eigenen Hand. „Man hat schon gemerkt, dass die Anspannung gestiegen ist“, sagt Schreiber, „aber wir gehen da gemein­sam durch, wir helfen uns, wir sind ein Team.“ Den vielen Mannschafts­abenden sei Dank: Pokerrunde, Grill­fest, Kabinenfest, Bowling – Adrian Buortesch setzt auf Teamgeist. Es könnte sich jetzt auszahlen.

Muarrem Demir hat seine Jungs nicht großartig motivieren müssen vor diesem Spiel. Draußen auf dem Rasen, über dem nun die sengende Sonne steht, liegt heute die Wahrheit, das wissen sie von alleine. „Ich habe nur gesagt: Geht raus und zeigt was ihr könnt.“ Ein besonderes Spiel, ja, das schon, auch weil Fatih Köseoglu sich unter die gut 200 Zuschauer gemischt hat, der auf der Dergahspor-Website unter dem Begriff „Hauptmanager“ geführt wird. Wer ihm auffällt, den holt er vielleicht heraus aus dieser A-Klasse und bringt ihn bis in die Lan­desliga, vier Ligen auf einen Schlag. So wie Süleyman Yilmaz, der in der Vorrunde 19 Tore für Eintracht Süd schoss und jetzt bei Dergah spielt. Zwar behauptet Köseoglu, er beobach­te heute nur Sahin Turan, für den es im Winter in die andere Richtung ging, von Dergah zu Eintracht Süd, schlagartig vier Ligen nach unten. „Er ist aber nur ausgeliehen“, beru­higt der Hauptmanager.

Nach dem Spiel wird er Hakan Aydogdu ansprechen. Der besorgt das 1:0, es ist sein 29. Tor in dieser Saison. Niemand hat öfter getroffen in der A-Klasse 6. „Ich schaue da nicht drauf“, behauptet Aydogdu erst, „mich interessiert nur, ob wir gewin­nen.“ Später dann sagt er aber auch: „Wenn ich mal nicht getroffen habe, schaue ich, dass ich im nächsten Spiel eben mindestens zwei Buden mache.“ Der 20-Jährige hatte in der C-Jugend Angebote von der Spielver­einigung Greuther Fürth und vom 1.FC Nürnberg. Erst sagte er beim Kleeblatt zu, dann ging er doch lieber zum Club, träumte von einer großen Karriere, „Süperlig oder Bundesliga oder so“. Solange, bis der Fürther Trai­ner nach Nürnberg wechselte. „Er war wohl noch sauer auf mich“, sagt Aydogdu, jedenfalls wurde er als einer der ersten beim FCN aussortiert: nicht gut genug. Das hat dem 16-Jähri­gen sehr wehgetan, „ich habe doch so hart trainiert für den Traum“. Erst ein­mal hatte er gar keine Lust mehr auf Fußball, dann hat ihn Muarrem De­mir angesprochen. Jetzt hofft Hakan Aydogdu, dass diese Tür doch noch einmal aufgeht: Süperlig oder Bundes­liga oder so. „Ich möchte am liebsten vom Fußball leben können, dafür reiß’ ich mir den Arsch auf“, sagt er. Bis es vielleicht so weit ist, muss er sein Geld noch im Büromanagement verdienen. Sein Chef dort: Muarrem Demir.

Das Spiel ist intensiv und gut, nein, hervorragend für die zweitunterste Liga. Blitzschnell geht es rauf und run­ter, in den Zweikämpfen kracht es, es wird aber nie unfair. Immer wieder helfen sich die Spieler gegenseitig auf die Beine, ein Klaps hier, eine Umar­mung da. An der Auslinie helfen sie sich mit den Wassereimern, die zur Erfrischung aufgestellt wurden. Auch die beiden Torhüter haben viel zu tun, verblüffen mit starken Reflexen. Einen verdeckten Freistoß von Aydog­du fischt der Schlussmann Glaisham­mers irgendwie noch aus der Ecke, auf der Gegenseite klärt der Keeper von Eintracht Süd einen schnellen Konter mit wuchtigem Abschluss aus elf Me­tern mit dem Oberarm noch zur Ecke. Sogar die Halbstarken schauen irgend­wann von ihren Smartphones auf und klatschen begeistert, das Mundstück der gurgelnden Wasserpfeife zwi­schen den Zähnen. „Dinamo, Dinamo“, rufen die An­hänger von Glaishammer aufs Feld und lachen, dabei spielt hier Glais­hammer und nicht Bukarest oder der AC Mailand, dessen Logo einer stolz auf seinen Turnschuhen trägt. Dann eine Flanke von rechts, Muarrem Demir, diesmal nicht Torwart, son­dern Hakan trainiert für einen Traum: Süperlig oder Bundesliga oder so. Abwehrchef, will klären, doch der Ball rutscht ihm über die nasse Stirn. Eigentor. 1:1.

„Als Fußballer werde ich an die Sze­ne noch lange denken“, sagt er später traurig. Ausgerechnet in diesem Spiel passiert ihm das, das will nicht so recht in den Kopf hinein. Von der Tri­büne kommt sofort Aufmunterung: „Weiter Murri, weiter“, ruft Jürgen Neubauer. „Hadi, hadi, Muarrem“ – auf, auf Muarrem –, ein Verwandter. Demir schüttelt sich, dann macht er weiter. Noch ist ja genügend Zeit. Zweimal erkämpft sich Eintracht Süd mit viel Leidenschaft, viel Herz, viel Aufwand die Führung. Es geht ja um die Meisterschaft, nur mit einem Sieg ziehen sie an Glaishammer vor­bei. Das Spiel wird hitziger, die Kraft lässt nach – keine gute Kombination! Immer wieder Unterbrechungen, im­mer wieder Diskussionen mit dem Schiedsrichter. „Man muss von An­fang an zeigen, wer der Chef ist“, sagt Selahattin Boz, „dann hast du deine Ruhe.“ Er pfeift eigentlich Kreisliga, heute ist er zwei Ligen weiter unten eingeteilt, es steht ja viel auf dem Spiel. Da braucht es qualifizierte Schiedsrichter. „A-Klasse“, sagt Boz und seufzt, „ist Schwerstarbeit.“ Im Notfall, sagt er, hilft nur noch Tür­kisch. Dann, hat Boz beobachtet, zucken die Spieler kurz zusammen und entschuldigen sich sofort bei ihm. Die Schatten der Bäume werden bereits länger, die ersten Kleinkinder auf der Tribüne quengelig, die Beine immer schwerer. Der wichtige 2:1-Sieg wird greifbar, ein paar Minu­ten noch durchhalten ist die Devise, das spürt man und das sieht man lei­der auch: Immer wieder fliegt der Ball jetzt hoch und weit über die Sportan­lage, Glaishammer würde gern die letzten Kräfte mobilisieren, aber da sind keine mehr, die man an diesem brütend heißen Sonntagnachmittag nun in die Waagschale werfen könnte. Die Energie, die manche um die Hüf­ten mit sich herumtragen, ist träge.

Adrian Buortesch, der Gästecoach, wechselt verzweifelt aus, aber auch die Ersatzspieler sind längst leer geschwitzt. Dabei haben sie ihre Halb­zeitbesprechung extra im Schatten gemacht, während Eintracht Süd in der Sonne stand und warmes Mineral­wasser aus Plastikflaschen trank. Das wird ihnen jetzt vielleicht zum Ver­hängnis: Spielaufbau durchs Mittel­feld, einer möchte noch ein paar Minu­ten von der Uhr nehmen, vielleicht auf Nummer sicher gehen, einfach keinen Fehler mehr machen. Doch er ist unkonzentriert. Der Pass über vierzig Meter aus dem Mittelkreis zurück zum eigenen Torwart ist scharf, plat­ziert und flach – doch dort, wo er hin­rollt, steht Paul-Andrei Fizesan. Der ist Angreifer bei Glaishammer. Fizesan nimmt den Ball auf, dreht sich. Es sieht nicht besonders elegant aus, Fizesan hat nicht regelmäßig ge­spielt in dieser Saison, aber er weiß, wie es geht, sie haben es ihm beige­bracht in der Jugend von Gaz Metan Medias, dem rumänischen Erstligis­ten. Dort war er auf dem Sprung zum Profi, doch dann bekam er ein merk­würdiges Stechen in der Brust. Der Arzt, erzählt er, habe ihn vor die Wahl gestellt: Gesundheit oder Karriere.

Vor vier Jahren kam er dann nach Deutschland, er tut sich noch schwer mit der Sprache, Manfred Schreiber übersetzt. Und jetzt ist er beim TV Glaishammer, stupst den Ball an, ganz vorsichtig, ganz kurz, aber unheimlich brillant. Fizesan hat plötzlich an die­sem Sonntagnachmittag in der Kette­lersiedlung, wo der Grill unaufhörlich raucht und die Wasserpfeifen, wo die Eimer mit dem Erfrischungswasser längst leer sind, den alles entscheiden­den Ball auf dem Fuß. Außen, auf der Steintribüne, erheben sie sich alle in diesem Augenblick. Der Torhüter von Eintracht Süd stürmt wild aus seinem Kasten, im Mittelkreis schlägt der Spieler, der diesen haarsträubenden Fehlpass losschickte, entsetzt die Hän­de über dem Kopf zusammen. Er weiß: Jetzt, in diesem Moment, wird sich die Saison entscheiden. Paul-Andrei Fizesan legt sich den Ball vor, ein wenig zu weit vielleicht, das merkt er jetzt, als er antritt, ein wenig schwer, ein wenig behäbig. Er hat jetzt mehr Kilos auf den Rippen als noch in der Jugend von Gaz Metan Medias. Um das zu bereuen in diesem Bruchteil einer Sekunde, dafür hat er aber keine Zeit. Der Ball rollt, der Tor­wart rennt, Fizesan rennt. Die Zeit scheint stehen zu bleiben in diesen Sekunden. Dann ist Glaishammer einen Tick eher am Ball, eine Zehen­breite vielleicht oder nicht einmal. Tick! Fizesan stupst den Ball nur an, ganz vorsichtig, ganz kurz – aber doch unheimlich brillant.

Der größte Mo­ment, die schönste Aktion dieses Spiels, die sich irgendwie verirrt hat in diese A-Klasse, die da gar nicht reingehört, nein, auch nicht in die Lan­desliga zu Hauptmanager Köseoglu. Der Ball rollt jetzt Richtung Tor, hüpft noch einmal über eine Uneben­heit, kommt im Netz zum Liegen: 2:2. Eintracht Süd ist entsetzt, „viel­leicht“, sagt Muarrem Demir später auf dem Parkplatz, „tut es heute gera­de so weh, weil wir zweimal solche Fehler gemacht haben“. Dafür explodieren die Anhänger der Gäste, die lange ganz am Rand im Schatten saßen und etwas trotzig ihre Sonnenblumenkerne naschten. Alle stürmen sie jetzt auf das Feld, Fizesan taucht hinein in diese Menge, wird gedrückt, geherzt. „Dinamo, Dina­mo“, ruft wieder irgendwer, dann schlüpft Fizesan heraus aus dem Pulk, sucht etwas im Publikum. Dann, noch­mal ein kurzer Sprint in die zweite Rei­he, links unten. Ein Kuss für die Freundin. Wenig später ist Schluss. „Wir werden im letzten Heimspiel gegen Zabo alles herausholen“, ver­spricht Manfred Schreiber auf dem Weg in die Kabine, „jeder wird sich zerreißen, jeder wird sich optimal vor­bereiten“. Ein Sieg nur noch bis zum großen Ziel. „Dann“, sagt Schreiber und grinst, „verspreche ich Dir eins: Dann ist nur noch Party.“

Aufrufe: 011.6.2015, 11:47 Uhr
Christoph BeneschAutor