2024-04-25T14:35:39.956Z

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Geht in seiner Rolle als "Türöffner" voll auf: Mansur Faqiryar,  ehemaliger Torwart des VfB Oldenburg Horst Hollmann
Geht in seiner Rolle als "Türöffner" voll auf: Mansur Faqiryar, ehemaliger Torwart des VfB Oldenburg Horst Hollmann

Ein Torwart öffnet Tore und Türen

Können Sie eine typische Handbewegung zu Ihrem Beruf machen? Mansur Faqiryar steht vor dem Oldenburger Schloss, zögert einen Moment. Dann lacht ...
er, greift in eins der schmiedeeisernen Eingangstore und zieht es auf. "Ich öffne Türen und Tore", sagt er. Sofort fügt er an: "Das ist natürlich nicht mein Beruf, aber meine derzeit wichtigste Tätigkeit."

Formell ist Mansur Faqiryar Student. Der 30-jährige Afghane wohnt in Bremen. Zum Studium im Wirtschafts- und Ingenieurwesen pendelt er nach Darmstadt. Mit seiner Masterarbeit steuert er an der TU gerade auf die abrundende Schlusspassage zu.

Doch die Besonderheit seiner Geschichte beginnt damit, dass er bisher Tore mit Wendigkeit und Mut dicht gehalten hat. Bis vor zwei Jahren stand der Mann, der kurz nach seiner Geburt 1986 mit den Eltern aus Afghanistan nach Deutschland übergesiedelt war, nämlich im Tor des Fußball-Regionalligisten VfB Oldenburg. Über fünf Jahre genoss er als Mannschaftsführer bei Mitspielern und Fans hohes Ansehen.

Auch Mohammed Saber Rohparwar wurde auf ihn aufmerksam. In Afghanistan war der Stürmer als Torschütze eine Legende. In Hamburg fährt er jetzt Taxi und sucht nebenbei Talente für den afghanischen Fußballverband. Anruf bei Landsmann Mansur: "Wir bauen bei uns etwas Großes auf. Machst du mit?"

2009 fliegt Faqiryar nach Malaysia, um den afghanischen Kader kennenzulernen. Eine Erkrankung verhindert noch seinen Einsatz. Aber der Funke ist schon übergesprungen. Er horcht in sich hinein und stellt fest: "Ich fühle mich als Deutscher aber auch als Afghane." Die Kriege hatten die Familie auseinandergerissen. Die Großmutter lebt noch in Kabul, viele Verwandte verstreut im Lande, seine beiden Schwestern und der Bruder in Bremen. "Familie bedeutet mir alles", beschreibt er den afghanischen Gefühlsteil seines Lebens.

Beim Südasien-Cup in Nepal ist der Oldenburger Torwart dann aktiv dabei. Außenseiter Afghanistan erreicht das Halbfinale, schon sensationell genug. Ohne den Mann vom VfB wäre dort Schluss gewesen. Doch der hält zwei Elfmeter. Afghanistan gewinnt 1:0. Im Finale gegen Indien spricht die Statistik der 90 Minuten eindeutig gegen die Afghanen: 30 Torschüsse der Inder, nur fünf des Gegners. Aber Afghanistan gewinnt 2:0 weil 14 Mann für ein Land kämpfen, weil niemand an diesem Torwart vorbeikommt.

Am Flughafen in Kabul empfängt Staatspräsident Hamid Karsai die Fußballer. Er ruft den Tag zum Feiertag aus, nennt Faqiryar einen "Volkshelden" und sagt in die Fernsehkameras: "Was du mit deinen Leistungen geschafft hast, haben wir Politiker in zwölf Jahren nicht geschafft!"

Zum heroischen Ausdruck geht Faqiryar bei allem Stolz innerlich auf Distanz. Hehre Worte sind ihm nicht nachhaltig genug. Aber bei der folgenden Jubelfahrt durch die Hauptstadt wird ihm klar, was der Präsident gemeint hat. Zehntausende Menschen, verbittert durch Leid und Elend, jubeln den Spielern zu, hängen sich an die Fahrzeuge. "Nie zuvor ist in diesem Vielvölkerstaat ein solcher Zusammenhalt offenkundig geworden. Ich habe mich zum ersten Mal auch mit dem Herzen als Afghane gefühlt."

Faqiryar genießt den Ruhm, zweifellos. Aber in sein auch von deutscher Zweckmäßigkeit und Zielstrebigkeit geprägtes Leben zieht eine auf die Zukunft gerichtete Idee ein: "Ich muss diesem Land, meinem Land, noch mehr geben. Das darf nicht einmalig sein." Am Ende oder auch erst am Anfang aller Überlegungen steht seit 2015 eine Stiftung, die "Mansur Faqiryar Foundation".

Ihr Nahziel: Kinder und Jugendliche, besonders auch Mädchen, sollen in speziellen Arbeitsgemeinschaften über die Freude am Sport Selbstwert, Fairplay und Zusammenhalt erfahren. Ihr Fernziel: Der Bau einer modernen Sportschule in Kabul. Schulen gelten in Afghanistan als relativ sicheres Umfeld.

Seit einer Hüft-Operation 2014 schirmt Faqiryar keine Tore mehr ab, er öffnet sie. In Deutschland und in Afghanistan. Seine Vorbildfunktion als Sportsmann erleichtert das in beiden Ländern. Sportwissenschaftler, die Integrationsprogramme erarbeiten, steigen ebenso ins Boot wie Funktionäre. Das Entwicklungsministerium unterstützt das Projekt. Es kommt eine Zusammenarbeit auf den Weg, die den Zahlen nach einfach klingt: Zu den 450000 Euro des nachhaltig angelegten Projekts steuert der Bund 350000 Euro bei. Den Rest muss die Stiftung aufbringen.

Doch das Projekt braucht im komplexen System eines nicht gefestigten Landes eine ausgewogene Balance. "Es darf kein Spielball bestimmter politischer Gruppen oder Clans werden", stellt Faqiryar heraus. So fußt die Stiftung auf deutschem Recht. Die Finanzen laufen über den Ehrenpräsidenten des VfB Oldenburg, Klaus Berster, als Treuhänder. Der hat unlängst anlässlich seines 80. Geburtstages persönlich und charmant um Spenden geworben. Als Kurator fungiert Alexander Nouri, früher Trainer beim VfB, jetzt bei Drittligist Werder Bremen II.

Vom finanziellen Ziel liegt die Stiftung zunächst noch einige Fußballplatzlängen entfernt. "Es braucht viel Motivation und Überzeugungskraft", sagt der Namensgeber. So haben Faqiryar und Studienkollegen eine ganze Ladung Ideen in eine "Gala of Hope" investiert. Sie haben für diesen Sonnabend in die Bremenhalle im Bremer Flughafen eingeladen. Dort kommen Prominente, Förderer und Freunde zusammen, natürlich mit der Absicht, das Konto für das Projekt der Hoffnung aufzufüllen. "Es wird ein toller deutsch-afganischer Abend werden", verspricht Faqiryar.

Als Moderatorin hat er eine der prominentesten afghanischen Künstlerinnen gewonnen, ehrenamtlich. Den Botschafter seines Landes hat er persönlich in Berlin eingeladen, die Botschafterin in Oslo ebenso. Alle kommen. Einem wie Mansur Faqiryar schlägt niemand die Tür zu.

Aufrufe: 023.4.2016, 13:30 Uhr
Horst HollmannAutor