2024-05-10T08:19:16.237Z

Ligabericht
Beim SSV Jahn ist endgültig Schluss mit lustig: Sportchef Christian Keller liest seinen Schützlingen nun öffentlich die Leviten.  Foto: Nickl
Beim SSV Jahn ist endgültig Schluss mit lustig: Sportchef Christian Keller liest seinen Schützlingen nun öffentlich die Leviten. Foto: Nickl
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,,Desaströs": Jahn-Sportchef teilt aus

Christian Keller erklärt die Schonzeit für beendet und nimmt die Spieler in die Pflicht +++ Auch beim Trainer sieht er Verbesserungspotenzial

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Beim SSV Jahn Regensburg wird der Ton schärfer. Christian Keller, Sportchef des Tabellenletzten der 3. Liga, spricht nun Klartext und nimmt Spieler und Trainer öffentlich in die Pflicht. In Bezug auf sein eigenes Handeln räumt er ein, dass er mit der Bekanntgabe eines ehrgeizigen Saisonziels bei den Fans eine Erwartungshaltung geschürt habe, die bislang nicht erfüllt werden konnte.

Nach dem bitteren Aus im BFV-Pokal bei der SpVgg SV Weiden vor zwei Wochen hatte sich Keller in einer spontanen Aussprache mit Jahn-Fans noch schützend vor Spieler und Coach gestellt. ,,Dann ruft lieber meinen Namen, wenn es schlecht läuft, ich stelle mich dem." Danach gab es aber in der Liga weitere vier Niederlagen am Stück - und die Schonzeit fürs Team ist offensichtlich abgelaufen. Keller fällt ein knüppelhartes Urteil: ,,Einige rufen ihr Leistungsvermögen nicht ab. Wir haben in jeder Partie vielleicht fünf bis acht leistungsfähige Spieler, das ist natürlich zu wenig." Dass mancher Kicker sein Talent verschludere, will er sich nicht länger anschauen: ,,Jeder Spieler hier hat die gottverdammte Pflicht, alles zu tun, damit die Leistung stimmt. Da braucht er auch nicht auf den Trainer zu schimpfen, sondern muss auf sich selbst schauen."

Keine Streicheleinheiten mehr

Der Sportchef, der vor der Saison noch begeistert und selbstbewusst davon gesprochen hatte, neue Spieler mit Siegermentalität an Land gezogen zu haben, muss nun scheinbar erkennen, dass einige dem Druck nicht gewachsen sind. Statt Streicheleinheiten gibt es aber eine klare Ansage: ,,Das hier ist Profi-Fußball. Wenn ein Spieler, auch wenn er erst um die 20 ist, mit dem Druck des Gewinnen-müssens nicht umgehen kann, oder es nicht schnell lernt, wird er seinen Weg in diesem Geschäft nicht gehen." Keller hatte lange Zeit darauf verwiesen, wie schnell es im Fußball gehen kann und dass in der Tabelle noch alles eng beieinander ist. Nun hat er seine Meinung geändert. ,,Unsere aktuelle sportliche Situation ist natürlich desaströs." Auch ein Sieg am Samstag in Osnabrück würde da nichts grundsätzlich ändern. Die Leistungen der vergangenen Wochen geben ohnehin wenig Anlass zur Hoffnung auf eine schnelle Wende. Dabei sei die Stimmung im Team immer noch ,,grundsätzlich positiv", meint Keller, ,,leider aber nur solange, bis der Schiedsrichter das Spiel anpfeift, dann rutscht zwei Drittel der Mannschaft das Herz in die Hose". Trainer Alexander Schmidt hatte Keller bislang vorbehaltlos den Rücken gestärkt. Nun gibt es auch hier erstmals ein differenziertes Urteil: ,,Er bleibt, hier gilt meine Aussage weiterhin, selbst in dem Wissen, dass es bei uns wie in jeder Fußballmannschaft Spieler gibt, die mit dem Trainer unzufrieden sind, weil sie nicht spielen." Keller setzt aber hinzu, dass er auch bei Schmidt ,,Optimierungsbedarf" erkenne: ,,Vielleicht war nicht jede seiner öffentlichen Aussagen glücklich. Er muss da gegenüber Fans und Medien mehr Souveränität zeigen. Das gehört zu diesem Geschäft dazu, das muss er vielleicht noch lernen."

,,Da werden Grenzen überschritten"
In der Öffentlichkeit stand bislang vor allem Keller selbst in der Kritik. Das hat er natürlich mitbekommen - und sieht die Situation professionell: ,,Mit Keller-raus-Rufen muss ich umgehen können, da ich hier in der Verantwortung stehe. Das kann ich auch." Persönliche Beleidigungen, das merkt er an, seien aber etwas anderes: ,,Da werden schon Grenzen überschritten. Das sind dann eben die unschönen Seiten des Fußball-Geschäfts." Derzeit fliegt dem Sportchef das von ihm ausgegebene Saisonziel, ein einstelliger Tabellenplatz, um die Ohren: ,,Ich will hier nicht von einem Fehler sprechen und bereue es nicht, denn man muss sich auch Ziele setzen. Dass es jetzt eine Enttäuschung gibt, verstehe ich aber, da ich damit eine Erwartungshaltung geschaffen habe, die nicht erfüllt wurde." Im Verein habe man sich von solchen Zielen ohnehin bereits verabschiedet: ,,Bei uns redet seit drei Wochen keiner mehr von einem einstelligen Tabellenplatz. Wir wissen, dass wir im Abstiegskampf sind, nur hat die Mannschaft den noch nicht angenommen. Das muss sich schleunigst ändern." Klare Ansagen an Spieler und Coach - das scheint der neue Kurs von Keller, um im Abstiegskampf zu bestehen. Er selbst will sich dem stellen. An einen Rücktritt habe noch nicht gedacht, sagt er. Kritikern, die ihm vorhalten, dass er als Branchenneuling mit der schwierigen Situation beim Jahn überfordert sei, gibt er eine selbstbewusste Antwort: ,,Wenn ich mit dieser Aufgabe überfordert wäre, wäre ich in Aktionismus verfallen. Das bin ich nicht. Es ist sehr wichtig, auch in kritischen Situationen rational zu handeln und sich nicht von der Kritik im Umfeld anstecken zu lassen."

Neuer Verteidiger kommt

Auf dem Platz war der Jahn zuletzt die Schießbude der 3. Liga. Das kam nicht von ungefähr: ,,Durch die Verletzungen sind wir im Abwehrzentrum derzeit nicht wettbewerbsfähig, deswegen werden wir hier handeln", sagt Keller. Ein neuer Innenverteidiger stehe ganz oben auf der Einkaufsliste und soll spätestens beim Spiel gegen Großaspach in zweieinhalb Wochen dabei sein. Zwei mögliche Neuzugänge trainieren diese Woche bereits zur Probe mit. Der eine ist Michael Laletin, ein 25 Jahre alte Verteidiger, der zuletzt bei Rot-Weiß Essen spielte. Derzeit ist Laletin vereinslos und könnte deswegen auch nach Ende des Transferfensters sofort verpflichtet werden. Der 1,93 Meter große Defensivmann fiel den Zaungästen am Kaulbachweg beim Training am Dienstagvormittag alleine schon wegen seines muskulösen Körperbaus auf. Der zweite Testspieler, Cem Atan, ist ein Mann für vorne. Keller sagt, dass er sich auch eine Verstärkung für die offensive Außenbahn, wahlweise rechts oder links, vorstellen könnte. Hier würde Atan ins Konzept passen. Der 29 Jahre alte Österreicher mit türkischen Wurzeln ist derzeit ebenfalls vereinslos. Atan absolvierte 2007 zwei Länderspiele für die österreichische Nationalmannschaft, zuletzt war seine Karriere aber ins Stocken geraten. Seine letzte Station war Gümüshanespor in der dritten türkischen Liga.

Azur Velagic begnadigt

Positive Nachrichten gibt es beim Jahn auf der Torhüterposition. Der zuletzt verletzt ausgefallene Stephan Loboue trainiert wieder mit. Ebenfalls an der Übungseinheit am Dienstag nahm durchaus überraschend Verteidiger Azur Velagic teil. Am Montagabend hatte Keller noch bekannt gegeben, dass Velagic vorerst weiter suspendiert bleibe. Der Sportchef hatte ihm vor zwei Wochen unprofessionelles Verhalten vorgeworfen und Velagic deswegen aus dem Profikader verbannt. Wenn er seinen Pflichten nachkomme, sei eine Rückkehr für Velagic aber prinzipiell möglich, meinte Keller noch zu Wochenbeginn. Jetzt ging es rasend schnell. Velagic habe am Montagabend noch um ein Gespräch gebeten, sagt Keller. Am Dienstag habe er sich dann vor dem Training vor versammelter Mannschaft für sein Verhalten entschuldigt - und darf nun wieder mittrainieren. Damit ist er sogar bereits eine mögliche Alternative fürs Auswärtsspiel am kommenden Samstag in Osnabrück.

Aufrufe: 01.10.2014, 04:00 Uhr
Von Jürgen Scharf, MZAutor