2024-04-25T14:35:39.956Z

Analyse
Kümmert sich beim Jahn um alles: Sportchef Christian Keller  Foto: Nickl
Kümmert sich beim Jahn um alles: Sportchef Christian Keller Foto: Nickl

Der Alleinherrscher steht in der Kritik

Christian Keller hat beim SSV Jahn alle Macht inne +++ Deswegen ist er nun auch der Sündenbock +++ Im Sattel sitzt er dennoch weiter fest

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Die drei Silben gehen den Fans des SSV Jahn derzeit locker über die Lippen: ,,Keller raus!" Immer und immer wieder war der Sportchef zuletzt die Zielscheibe der unzufriedenen Anhänger. Der Jahn steht in der 3. Liga auf dem letzten Platz, da muss ein Sündenbock her. Und Keller eignet sich dafür auch ganz gut. Ist es doch schon lange kein Geheimnis mehr, dass beim Jahn nur einer entscheidet: Christian Keller. Daraus macht er auch selbst kein Hehl. Nun kriegt er den vollen Zorn des Jahn-Volkes ab.

Keller, ein Baden-Württemberger, ist 35 und hat in seinen jungen Jahren schon einiges erreicht. Er wurde Professor für Sportmanagement, veröffentlichte mehrere Bücher, unter anderem über Strategien zur Führung von Fußballvereinen, und zwischendurch war er auch für Sportberatungsfirmen tätig. Vor mehreren Jahren sollte er in dieser Funktion auch den SSV Jahn beraten, fand damals aber wenig Gehör. Allerdings erlosch der Kontakt zwischen dem Verein und Keller nie ganz. Als im Sommer 2013 Sportchef Franz Gerber gehen musste, zauberte der damalige Klubchef Ulrich Weber Keller als Nachfolger aus dem Hut. Mit großen Vorschusslorbeeren: ,,Für diesen Posten gibt's keinen Besseren als ihn."

Große Ziele zum Start
Beschwingt startete Keller in den neuen Job und setzte sich große Ziele: Spätestens in zwei Jahren müsse der Jahn um den Aufstieg in die 2. Liga mitspielen. Das Ganze ließ sich gut an. Vergangene Saison gefiel die Mannschaft mit eleganten Kombinationen und großer Leidenschaft. Da wurde auch die eine oder andere Niederlage verziehen. Am Ende wurde sowieso alles gut, und der Klub sicherte sich frühzeitig den Klassenerhalt.

Friede, Freude, Eierkuchen? Mitnichten. Keller schritt zur Tat. Der Klub trennte sich von dem beliebten Trainer Thomas Stratos. Über diese Entscheidung des Sportchefs gab es obskurste Gerüchte, auch deswegen, weil Keller öffentlich nicht darüber reden wollte. Die simple Wahrheit ist aber wohl, dass Keller Stratos für einen ordentlichen Coach hielt, er aber der festen Überzeugung war, für dasselbe Geld einen besseren zu bekommen: Er verpflichtete Alexander Schmidt.

Nun ist fast ein Drittel der neuen Saison gespielt und die Zwischenbilanz niederschmetternd. Tabellenletzter, verunsicherte Spieler, wütende Fans. Keller wird als Hauptverantwortlicher ausgemacht. Der, das ehrt ihn, stellt sich der Kritik und blieb dabei bislang ruhig und sachlich. Seine Befürworter loben dies. Da sei einer, der auch im Sturm einen klaren Kopf behält. Seine Kritiker werfen es ihm vor und sagen, er sei einer, der das Emotionsgeschäft Fußball nicht an die Fans vermitteln könne.

Die Wahrheit liegt auf dem Platz, sagt man im Fußball. Selbst die größten Treueschwüre sind nach ein paar Niederlagen Schnee von gestern und leitende Angestellte plötzlich arbeitslos. Keller kann sich seines Postens aber in der Tat noch sicher sein. In den Aufsichtsratsgremien des Klubs, so heißt es, wird die durchdachte Vorgehensweise des eloquenten Akademikers geschätzt. Hier muss er regelmäßig Managementberichte abliefern. Diese scheinen gut anzukommen. Der Vorstandsvorsitzende Hans Rothammer verkündete jüngst: ,,Christian Kellers Entscheidungen sind auch meine Entscheidungen."Ist das ein Freibrief im Wissen, dass da einer gut arbeitet? Oder eine Bankrotterklärung in Sachen Kontrollfunktion? Die Aufsichtsräte müssen letztlich wohl auf Gedeih und Verderb an Keller glauben. In den Gremien sitzen einige Wirtschaftsexperten, Erfahrungen im Fußball-Geschäft hat keiner. Keller bleibt fast nichts anderes übrig, als zu schalten und walten, wie er es für richtig hält. Nach eigener Aussage werde er aber sehr wohl an Leistung gemessen: ,,Auch ich bin vertraglich an sportliche Zielsetzungen gebunden. Wenn wir nicht gewinnen, verdiene auch ich schlechter."

Gespräch mit OB Wolbergs
Der Sportchef sitzt also fest im Sattel. Wann angesichts des Stadionneubaus dennoch das Ende der Fahnenstange erreicht wäre, weiß keiner. Zu Wochenbeginn gab es ein Gespräch mit Oberbürgermeister Joachim Wolbergs. ,,Da ging es ums Stadion, nicht um Fußball. Auch wenn wir am Rande natürlich über die sportliche Situation gesprochen haben", erzählt Keller. Wolbergs gilt ebenfalls als großer Unterstützer des Sportchefs. Zur Nibelungentreue wird er sich angesichts der 53 Millionen Euro, die die Kommune für die neue Arena ausgibt, aber auch nicht verpflichtet fühlen.

Wenn der Jahn weiter verliert, werden die ,,Keller raus"-Rufe immer lauter werden. Im Groll über das nackte Ergebnis wird untergehen, was dieser hinter den Kulissen alles bewegt hat - zum Positiven. Der Alleinherrscher hat beim Jahn mittlerweile alle Fäden in der Hand. Wie es heißt, kümmert er sich aber auch um alles. Von Einstellungsgesprächen mit Physiotherapeuten bis hin zur Vorbereitung von Gerichtsverhandlungen, in denen sich der Jahn mit gekündigten Mitarbeitern streitet, ist Keller bei allem an vorderster Front dabei. In nicht einmal eineinhalb Jahren hat er es geschafft, den Jahn zu einem seriös geführten Unternehmen umzugestalten. Bei Gesprächen mit Sponsoren oder Medien beeindruckt er mit seinem Faktenwissen und seiner Geistesgegenwart.

Unterm Strich ist von den vielen Plänen Kellers bislang nur einer nicht aufgegangen, allerdings ausgerechnet der wichtigste: der Aufbau einer tollen Fußballmannschaft. Noch am ersten Spieltag, beim beeindruckenden 3:1-Sieg gegen Duisburg, schien alles perfekt. Der Erfolg war letztlich süßes Gift, fortan ging es nach unten. Nach dem Spiel in Osnabrück will Keller die zwei Wochen Länderspielpause nutzen, um neue Spieler zu holen. Er weiß, dass diese Schüsse sitzen müssen. Wenn im Fußball die Punkte ausbleiben, haben schon die stabilsten Stühle angefangen zu wackeln.

Aufrufe: 01.10.2014, 20:09 Uhr
Jürgen ScharfAutor