2024-05-14T11:23:26.213Z

Interview der Woche
Zwei Männer, eine Liebe: Rico Noack (links) und Jens Batzdorf haben ihrem Verein jeweils eine Fußbalfibel geschrieben Fotos: Privat/Obuchoff
Zwei Männer, eine Liebe: Rico Noack (links) und Jens Batzdorf haben ihrem Verein jeweils eine Fußbalfibel geschrieben Fotos: Privat/Obuchoff

"Das Interesse am Fußball erlischt nie"

Mit Energie Cottbus und dem SV Babelsberg 03 treffen diese Saison zwei sehr unterschiedliche Brandenburger Vereine in der Regionalliga aufeinander. Zu beiden Klubs ist eine Fan-Fibel erschienen. Wir haben die Autoren interviewt.

Auf den ersten Blick haben Jens Batzdorf und Rico Noack nur wenig gemeinsam. Der eine ist Fan von Energie Cottbus, der andere Babelsberg-Anhänger. Der eine unterstützt seit Jahren einen Verein, der einmal das Aushängeschild des Brandenburger Fußballs war. Der andere einen Klub, der – nicht zuletzt wegen seiner Fans – zu einem Viertliga-Mythos geworden ist.

Auf den zweiten Blick sind die beiden Männer, die mit ihren „Fußballfibeln“ die Wege von Energie und 03 von Anfang an bis heute nachgezeichnet haben, aber doch gar nicht so verschieden. Sie haben alles gesehen: die Höhen, die Tiefen; das Gute, das Schlechte. Ihr Verhältnis zum Profifußball ist dementsprechend gespalten. Bundesliga und Europameisterschaft? Halten sie für „vollkommen uninteressant“ (Jens) oder für „aseptische, sterile Massenunterhaltung“ (Rico). Aus der vierten Liga würden beide dennoch gern heraus. Jens mit Energie „so schnell wie möglich“, Rico und Babelsberg „irgendwann“ einmal.

Die Fußballfibeln: "Fans schreiben für Fans und erkunden die Seele ihres Vereins", schreibt der Verlag über die Enzyklopädie. Rico Noack hat den Band für den SV Babelsberg 03 verfasst. Jens Batzdorf über den FC Energie Cottbus geschrieben. Entstanden sind zwei Bücher über "Lieben, Leiden, Kampf, Gänsehaut und Momente für die Ewigkeit." Marc Schütz mit den beiden Autoren gesprochen:

Rico, wann hast Du als waschechter Babelsberger das letzte Mal „Energie Cottbus“ in die Suchmaschine Deines Vertrauens eingetippt?

Rico (SVB): Als mir mitgeteilt wurde, dass Cottbus abgestiegen sein soll, konnte ich es nicht glauben. Freunde neigen manchmal zu allerlei Scherzen. Und was musste mir Google mitteilen? 89. Minute: bumm. 91. Minute: bumm. Die Übermannschaft von Mainz II hatte das Spiel gedreht und uns in der nächsten Saison zwei neue Derbys beschert – danke dafür.

Eure Clubs schauen auf zwei völlig unterschiedliche Spielzeiten zurück: Wie sieht Dein persönliches Saisonfazit aus, Jens?

Jens (FCE): Eine absolute Katastrophe. Energie hat sich in einem Kreis gedreht, dessen Umfang 25 Jahre betragen hat. Wir sind wieder dort angekommen, wo wir 1991 nach der letzten Oberliga-Saison angefangen haben. Und das ist Mist, weil die gesamte Infrastruktur des Vereins – das Stadion, die Trainingsplätze – und so weiter, in der vierten Liga kaum wirtschaftlich darstellbar ist. Wenn es denn überhaupt einen Vorteil gibt, dann den, dass jetzt nur noch die Leute zum Verein gehen, die auch tatsächlich hinter ihm stehen. Deine Freunde erkennst Du eben immer erst dann, wenn Dir das Wasser bis Oberkante Unterlippe steht.


Das waren noch Zeiten: Die BSG Energie fährt im Oktober 1989 nach Bischofswerda. Der Auswärtsblock beim 4:1-Sieg der Cottbuser ist voll. Foto: Danilo Helbig

Bei Babelsberg lief es hingegen ganz anständig.

Rico: Wir haben den Landespokal gewonnen, wurden dabei Zeugen und Opfer massiver Polizeigewalt, haben die Saison aber okay abgeschlossen. Ein gemischtes Fazit an dieser Stelle, was aber nichts daran ändert, dass wir irgendwann aus dieser nervigen Liga raus müssen.

…in der es in dieser Saison allerdings auch ein paar mehr Brandenburger Derbys gibt. Beim letzten Aufeinandertreffen zwischen Cottbus und Babelsberg im Karl-Liebknecht-Stadion musste das Spiel unterbrochen werden, weil auf den Rängen Pyrotechnik brannte und aufgebrachte Fans auf einmal auf dem Rasen standen…

Rico: Es müsste schon eine Heirat oder ein Trauerfall anstehen, um sich diese Partie entgehen zu lassen. Tatsächlich ging es beim letzten Mal in Richtung Trauerfall, was Teile des Gästeblocks vor und während des Spieles veranstaltet haben. Auch schade für die korrekten Energie-Fans – von denen es einige geben soll – verrückterweise auch in meinem Freundeskreis.

Jens: Naja, im Grunde genommen nehmen sich beide nichts. Während sich die Fanszene aus Babelsberg Verstärkung aus der linken Szene von Berlin und Umland holt, tauchen eben in Cottbus bei derartigen Spielen gern mal die Leute aus dem rechten Spektrum auf. Wer nun wen am Ende provoziert, ist vermutlich genauso leicht zu beantworten wie die Frage, ob nun Henne oder Ei zuerst da gewesen wären. Letztlich wird dabei der Fußball leider nur als Bühne für das Darstellen unterschiedlicher Weltanschauungen benutzt. Was auf dem Platz passiert, spielt maximal eine untergeordnete Rolle und Tore werden eher dazu genutzt, um dem Gegenüber zu zeigen, wie doof er ist.

Wenn ich nicht ganz falsch liege, gab es noch nie ein Liga-Aufeinandertreffen beider Mannschaften, wenn man mal von der DDR-Liga mit den Spielen von Motor Babelsberg und der BSG Energie Cottbus absieht. Jetzt wird es soweit sein.

Rico: Mögen es zwei spannende Spiele mit dem richtigen Sieger werden. Übrigens hätte ich damit gerechnet, Cottbus bereits zum Brandenburger Landespokalfinale wiederzusehen. Nun ja, Energie hatte da wohl andere Pläne. Nach einem Heimsieg im KarLi bist Du auf ein "Potsdamer Rex Pils“ eingeladen, Jens. Versprochen.

Jens: „Potsdamer Rex Pils“? Wenn es ein gutes polnisches wäre! Energie in Babelsberg wird bei mir so laufen: Hinfahren, Spiel gucken und wieder nach Hause fahren. Babelsberg ruft bei mir irgendwie so gar keine Emotionen hervor, sprechen mich weder positiv noch negativ an. Es gibt aber auch genügend Leute, die das anders sehen. Vermutlich wird es eh wieder so ein Fasching wie im Pokal, darauf habe ich keinen Bock. Also nur schnell hin, hoffentlich gewinnen und wieder nach Hause. Ein gemeinsames Bier können wir dann lieber ein anderes Mal trinken – wäre wohl eh kein gemütliches bei dem ganzen Theater drum herum.

Die Klubs, über die Ihr schreibt, sind auf den ersten Blick grundverschieden: Potsdam liegt im prosperierenden Speckgürtel von Berlin, Cottbus eher in der strukturschwachen Peripherie. Energie will so schnell wie möglich zurück in den Profifußball, beim SVB hat man den Eindruck, dass sich der Verein in der Regionalliga eingelebt hat. Muss man nur genauer hinsehen, um die Gemeinsamkeiten zu erkennen?

Rico: Wir treten in der gleichen Liga an, können spielerisch mit dem jeweils anderen Verein mithalten und unterliegen denselben Vorgaben des smarten NOFV. Viele weitere Gemeinsamkeiten wollen mir nicht einfallen. Braucht es die denn eigentlich? Da beide Vereine nicht vorhaben, zum FC Brandenburg zu fusionieren, dürfen die Unterschiede ruhig gepflegt und kultiviert werden. Hauptsache, der RBB liebt uns natürlich beide. Bezogen auf das Einleben: Ich hoffe doch nicht, dass dies eine neue Gemeinsamkeit werden könnte. Beide Clubs in der Viertklassigkeit dauerhaft versauern zu sehen, kann keiner wollen. Irgendwann ist es dann auch einmal genug mit Auerbach und Co.

Jens: Kohle haben, glaube ich, beide Verein nicht. Ansonsten ist es schon verwunderlich, dass ausgerechnet der Fußball in Potsdam nicht so richtig auf die Beine kommt, wo doch durch die Politik gerade Potsdam und das Berliner Umland so richtig schön den Hintern gepudert bekommen. Weitere Gemeinsamkeiten? Sehe ich so wie Rico: Muss es denn welche geben? Ich denke, gerade in den Unterschieden liegt der Reiz des Ganzen.

Was könnte der eine Verein vom anderen lernen?

Jens: Keine Ahnung, vielleicht hat Rico ja eine Idee?

Rico: Wie man es in das DFB-Pokalfinale schafft.

Gäbe es ein Szenario, in dem Du, Rico, Fan des FCE und Du, Jens, Babelsberg-Anhänger werden könntest? Wie müsste das aussehen?

Rico: Ich habe tatsächlich vor einigen Jahren eine Wette verloren und müsste immer noch einmal mit einem Energietrikot an einer Auswärtsfahrt der Cottbuser teilnehmen. Bleibt zu hoffen, dass das Erinnerungsvermögen meines Cottbuser Wettpartners, sich auch weiterhin im Abstiegskampf befindet. Aber wirklich Fan werden? Ich wüsste nicht, um welchen Preis es gehen sollte, dass ich solch einen exorbitant hohen Einsatz eingehen müsste. Ich glaube, dass der FCE mich auch gar nicht als Fan haben möchte.

Jens: Da gibt es kein Szenario. Nur Energie! Jetzt erst recht!


Vor 26 Jahren: Energie-Fans beim UI-Cup in Offenbach 1990. Gegner war damals der 1. FC Kaiserslautern. Foto: Danilo Helbig

Gehen wir mal noch einen Schritt weiter: Was müsste passieren, dass Euer Interesse bei am Fußball erlischt?

Rico: Die Eventisierung müsste meinen Verein in einer Art erfassen, wie ich es in mehr und weniger starken Ausprägungen in den ersten beiden Ligen bereits jetzt sehen kann. Der neue sächsische Bundesligist steht dabei für sehr vieles, was ich in meiner Fußball-Welt nicht brauche. Ich gönne den Kids dort, dass sie Profi-Fußball vor Ort sehen können. Für mich selbst wäre dies keine Option. Die Subkultur, das Politische, das Unkontrollierbare, möglicherweise auch die temporären Grenzüberschreitungen machen meiner Meinung nach eine lebendige Fankultur aus. Wenn ich aseptische, sterile Massenunterhaltung haben möchte, schaue ich mir David Guetta bei der EM-Eröffnungszeremonie an. Auch einen noch stärkeren Einfluss von Fußballverbänden und Polizei könnte die Fußballbegeisterung merklich dämpfen. Eine Vereinsführung, die sich bei Konflikten, automatisch zugunsten der Funktionsträger positioniert, ebenso wie eine völlige Nichtachtung der eigenen Fanbasis, würden weitere Zuneigungen auch nicht gerade befördern.

Jens: Das Interesse am Fußball erlischt nie, es beschränkt sich mittlerweile aber auf Energie und ein wenig durch die Gegend fahren im Ausland. Die Bundesliga ist vollkommen uninteressant – jedes Jahr wird Bayern Meister.

Die Fußballfibeln lassen sich in jedem gut sortierten Buchladen kaufen oder bestellen. Außerdem sind die Bände der Reihe, die stetig erweitert wird, auch über den Verlag Culturcon zu beziehen. Der Preis beträgt jeweils 9,99 Euro.

www.culturcon.de

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Aufrufe: 025.8.2016, 10:08 Uhr
Marc SchützAutor