2024-04-25T14:35:39.956Z

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Blick ins Leere: Carlinhos (rechts) mit seiner Mutter nach der Rückkehr zur Familie in Sao Paulo Alle Fotos: F24 Film GmbH
Blick ins Leere: Carlinhos (rechts) mit seiner Mutter nach der Rückkehr zur Familie in Sao Paulo Alle Fotos: F24 Film GmbH

Bitteres Ende eines Fußballtraums

Ein Jahr spielte der 18 Jahre alte Carlinhos in Deutschland - auch beim SSV Jahn Regensburg +++ Danach kehrt er gescheitert nach Brasilien zurück

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Vor ziemlich genau einem Jahr sitzt ein junger Brasilianer in einem Flugzeug und reist von Deutschland zurück in seine Heimat. Für Carlos Vinicius Santos de Jesus, genannt Carlinhos, geht ein Ausflug nach Europa zu Ende, in dessen Verlauf sein großer Traum zerplatzt ist. Gerade mal 18 Jahre alt geworden, zog er aus, um Profi-Fußballer zu werden und viel Geld zu verdienen - jetzt kehrt er gescheitert und verzweifelt nach Hause zurück.

Jedes Jahr gehen etwa 1200 brasilianische Fußballer ins Ausland, um Geld zu verdienen. Aber nur jeder Vierte packt es. 900 kehren jedes Jahr, zumeist tief enttäuscht, wieder heim. Calinhos ist einer von ihnen, und der Münchner Regisseur Jens Hoffmann hat seine Fußball-Reise fast zwei Jahre lang begleitet - auch innerhalb der vier Monate, die Carlinhos beim SSV Jahn Regensburg in der Oberpfalz verbrachte. Für seinem Film “Mata Mata” - mit dem Ausdruck wird in Brasilien ein K.o.-Spiel bezeichnet - beobachtete Hoffmann mehrere brasilianische Fußball-Talente. Er zeigt einen wie Dante, der beim FC Bayern zum Weltstar und Multi-Millionär wurde. Und er zeigt einen wie Carlinhos, auf dem die Hoffnungen der ganzen Familie ruhen und der diese nicht erfüllen kann.

Carlinhos kommt am 22. Juni 1994 zur Welt. Er wächst in einem Armenviertel von Sao Paulo auf. Auf Schule oder Ausbildung legt hier niemand Wert. An jeder Ecke steht dafür ein Drogendealer. Carlinhos will aus diesem Umfeld ausbrechen und dafür sorgen, dass es seiner Familie bessergeht. Am Ende wird ihn dieses Umfeld aber in Europa wieder einholen.


Abschied unter Tränen in Brasilien.

Abschied unter Tränen

“Er ist ein sehr sensibler Mensch, eigentlich auch sehr intelligent, doch die Bildung fehlt eben komplett”, beschreibt Hoffmann im MZ-Gespräch Carlinhos. Der Münchner Regisseur lernte den jungen Fußballer bereits vor dessen Wechsel nach Europa kennen. Er war auch dabei, als Carlinhos einen Tag vor seinem 18. Geburtstag eröffnet wurde, dass es in der kommenden Woche nach Deutschland geht. Das große Bayer o4 Leverkusen, ehemaliger Champions-League-Finalist, hatte ihn unter Vertrag genommen. Mit Tränen verabschiedet sich Carlinhos von seiner Familie am Flughafen- und er weiß, er darf nicht versagen, er muss es schaffen. “Wir haben ja nicht nur den Fußballer, sondern separat auch dessen Umfeld weiterbegleitet”, erzählt Hoffmann. Ein paar Monate nach Carlinhos Abflug besucht Hoffmann wieder die Familie in Sao Paulo. Die Zweiraumwohnung, wo Hoffmanns Erzählungen zufolge vorher überall der Schimmel hauste, ist nun frisch renoviert und auf drei Stockwerke plus Terrasse erweitert. In den Zimmern von Carlinhos bei den jüngeren Geschwistern steht nun “allerlei digitales Gerät”, wie Hoffmann erzählt. Der älteste Sohn verdient in Leverkusen zwar keine Millionen, die paar tausend Euro, die er pro Monat bekommt, überweist er aber fast komplett nach Hause - und für seine Familie ist das ein kleines Vermögen.

Zu Hause in Brasilien wird renoviert - bei Carlinhos geht es abwärts. Kurz vor der Saison verpflichtet Leverkusen den Spanier Daniel Carvajal, der auf derselben Position spielt. Carlinhos weiß, dass es nun fast unmöglich wird, regelmäßig zum Einsatz zu kommen. Und dann kommt die Nachricht von zu Hause, dass drei seiner besten Freunde kurz nacheinander gestorben sind. Zwei an einer Überdosis Drogen, einer bei einem Autounfall mit einem gestohlenen Wagen.

“Er war völlig am Ende”

Hoffmann ist dabei, als Carlinhos davon erfährt: “Er war völlig am Ende.” Carlinhos ist jetzt nicht mehr der selbstbewusste junge Mann, der die Fußball-Welt erobern will - er hat einfach nur noch Heimweh. Er skypt mit seiner Familie, doch die sagt unmissverständlich: Halt durch, kämpfe - wir brauchen das Geld! Als deutlich wird, dass Carlinhos den schnellen Sprung in die Fußball-Bundesliga nicht schafft, reagiert Bayer Leverkusen. In der Winterpause wird der Brasilianer für die Rückrunde an den SSV Jahn Regensburg in die 2.Liga ausgeliehen. Regensburg steht auf dem letzten Tabellenplatz. Carlinhos ist einer der großen Hoffnungsträger, dass die Klasse doch noch gehalten werden kann. Viel Druck für einen 18-Jährigen - und Carlinhos ist dem Druck nicht gewachsen.

Sein Trainer ist der Pole Franz Smuda. “Ein autoritärer Typ”, erinnert sich Hoffmann, “das war genau das Falsche für Carlinhos”. Der sitzt Abend für Abend deprimiert in seinem Hotelzimmer. “Es ging ihm sehr, sehr schlecht. Da wurde einem fast Angst, aber ich will da nicht ins Detail gehen”, sagt Hoffmann. Carlinhos findet keinen Anschluss, auch mit den zwei anderen Brasilianern im Team freundet er sich nicht richtig an. Mit der neuen Sprache tut er sich sowieso schwer. “Er wusste ja gar nicht, wie er einkaufen soll und hat das gleich gelassen”, erzählt der Regisseur. Stattdessen geht Carlinhos jeden Tag ins Fastfood-Restaurant gegenüber vom Hotel, weil er da nur “Super-Menü” sagen muss, um etwas zu essen zu bekommen. Vier Monate spielt Carlinhos für den SSV Jahn Regensburg. Er trägt die Rückennummer 32, läuft 13 Mal auf und schießt zwei Tore. Das ist eigentlich alles, was von ihm bekannt ist, als er kurz vorm letzten Saisonspiel fluchtartig nach Hause abreist. “Wir wollten ihn noch umstimmen”, erzählt Hoffmann. Er habe sogar die Aussicht auf ein Probetraining bei der zweiten Mannschaft des 1. FC Köln gegeben. Doch Carlinhos kann nicht mehr. Er hat große Angst vor daheim, doch noch größer ist die Angst vor der Einsamkeit in Deutschland.

Warm verpackt im kalten Regensburg.

“Deutsche sind wie das Wetter”

“Die Deutschen sind wie das Wetter”, sagt Carlinhos im Film, als er durch eine Fußgängerzone spaziert. In Brasilien, so erzählt er, wäre er bei solch einem Spaziergang schon mehrere Male angesprochen und dies und das gefragt worden. Wenn in Deutschland schönes Wetter sei, dann passiere das auch manchmal, meint er. Bei schlechtem Wetter habe aber jeder schlechte Laune und sage gar nichts. Carlinhos hat dann selbst auch nichts mehr gesagt. Er ist wieder nach Hause geflogen. Als er in Sao Paulo ankommt, treibt er sich erst ein paar Tage herum, erzählt Hoffmann: “Erst dann traute er sich, zu seiner Familie zurückzukehren.” Vor drei Monaten hat Hoffmann Carlinhos in Brasilien wieder besucht. Der ist nun 19 Jahre alt und am gesamten Körper tätowiert. Seine Agentur hat ihn bei der zweiten Mannschaft von Internacional Porto Alegre untergebracht. Ob er es vielleicht doch noch einmal zum Fußball-Star schaffen wird? “Man weiß das nie”, sagt Hoffmann, “aber ich habe schon das Gefühl, das er an seiner Zeit in Europa noch sehr zu knabbern hat.”

Regisseur Jens Hoffmann .








Aufrufe: 025.5.2014, 07:31 Uhr
Jürgen ScharfAutor