2024-05-10T08:19:16.237Z

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Ein Fußballplatz neben dem anderen: Der FC Evergrande verfügt über die größte Fußball-Akademie der Welt. Foto: Imago
Ein Fußballplatz neben dem anderen: Der FC Evergrande verfügt über die größte Fußball-Akademie der Welt. Foto: Imago

Aus Südhessen in die größte Akademie der Welt

Der Rohrbacher Bernd Jayme über seine ersten Eindrücke in China / Torwarttrainer bei Guangzhou Evergrande

Der aus dem südhessischen Rohrbach stammende Bernd Jayme ist seit einigen Monaten Torwarttrainer beim chinesischen Spitzenclub FC Evergrande. Der 40-Jährige arbeitet damit in der größten Fußball-Akademie der Welt.

Ein Deutscher als Fußball-Torwarttrainer in China – das klingt exotisch. Bernd Jayme übt diesen Job seit einigen Wochen aus. „Als ich das Angebot bekam, dachte ich zunächst, ich werde verarscht“, erinnert sich der 40 Jahre alte Südhesse, der auch schon beim SV Darmstadt 98 spielte und Torhüter trainierte. Spielerberater Ingo Haspel, der unter anderem Andre Schürrle managt, schickte Jayme per SMS die Offerte des chinesischen Spitzenclubs Guangzhou Evergrande. „Ich schickte ihm kommentarlos einen Smiley zurück“, sagt Jayme, bis ihm Haspel in einem Telefonat Details erläuterte.

Der FC Bayern München Asiens

Jayme nahm das Angebot an und tauchte ein in die fast märchenhaft anmutende asiatische Fußballwelt. Der FC Evergrande gilt als der „FC Bayern München Asiens“. Fünf nationale Titel in Folge, zudem 2015 den Gewinn der AFC Champions League – asiatisches Pendant der europäischen Königsklasse – hat der Club der Zwölf-Millionen-Stadt Guangzhou im Süden Chinas vorzuweisen. Hier wird nicht gekleckert, hier wird (wie in vielen chinesischen Vereinen) mächtig geklotzt. Selbst in der englischen Premier League, der reichsten Liga Europas, beginnt nach und nach das Zittern vor den finanzkräftigen Chinesen.


Bernd Jayme (Mitte) mit dem brasilianischen Stürmer Alan (links) und dem ehemaligen brasilianischen Nationaltrainer Luiz Felipe Scolari, die ebenfalls beim FC Evergrande unter Vertrag stehen. Foto: FC Evergrande

Denn Geld spielt keine Rolle. Jüngst sorgte der FC Evergrande mit dem Transfer von Jackson Martinez für Schlagzeilen. 42 Millionen Euro überwies der chinesische Club für den 29 Jahre alten Kolumbianer an Atlético Madrid. Nur eine von vielen Investitionen, die die Chinesen in der Wintertransferperiode tätigten. Umgerechnet 269 Millionen Euro gaben die chinesischen Erstligisten aus, selbst die Zweitligisten investierten mehr (49 Millionen) als die 18 deutschen Bundesligisten (47). Um die Liga zu professionalisieren, locken die Chinesen nicht nur Spieler, sondern auch renommierte Trainer ins Reich der Mitte. Der FC Evergrande wird vom früheren brasilianischen Nationaltrainer Luiz Felipe Scolari trainiert, der Ex-Hoffenheimer Marco Pezzaiuoli ist Sportlicher Direktor und verantwortet den Jugendbereich, zu dem nun auch Bernd Jayme als Torwarttrainer gehört.

„Das ist schon sensationell. Die Fußball-Akademie des FC Evergrande hat über 50 Trainingsplätze, das Gelände ist fünf Mal so groß wie mein Heimatort Rohrbach“, schildert Jayme die ersten Eindrücke der weltweit größten Fußball-Akademie, in die auch Real Madrid jährlich 24 Millionen Euro investiert. Denn China gilt als der Wachstumsmarkt im Fußball schlechthin.

Jaymes Fernziel ist die Bundesliga

Jayme, der in Deutschland seine erste Torwarttrainer-Station beim SV Darmstadt 98 (2003 bis 2007 für die U19 und U23 sowie unter Trainer Bruno Labbadia auch für die erste Mannschaft verantwortlich) angetreten hatte, macht keinen Hehl daraus, dass das Angebot aus China finanziell lukrativ ist. Und er diesen Job nach diversen Tätigkeiten in Deutschland (Wormatia Worms, SV Sandhausen, 1899 Hoffenheim) als berufliches Sprungbrett ansieht. „Mein Ziel ist es, irgendwann bei einem deutschen Bundesligaverein die Torhüter zu trainieren.“

Jetzt aber nimmt er sich beim FC Evergrande als hauptverantwortlicher Nachwuchs-Trainer die Torhüter vor. Insgesamt werden 3500 Nachwuchskicker in der Akademie trainiert und gefördert. Allerdings ist es alleine mit Training nicht getan. Jayme: „Aufgrund der großen Entfernungen gibt es in China bis zur U19 keinen geregelten Spielbetrieb. Die Spieler können sich nicht mit anderen im Konkurrenzkampf messen. Das ist schon problematisch.“

Bis diese Strukturen, mit Hilfe renommierter Trainer aus Europa und Südamerika aufgebaut sind, gehen die Chinesen auch andere Wege. Der FC Evergrande beispielsweise schickte Ende vergangenen Jahres seine U19 auf Europareise, wo die Mannschaft an diversen Turnieren teilnahm. „Wir waren mit einem Tross von 25 Mann sieben Wochen unterwegs“, sagt Jayme. Kosten: Rund 250000 Euro. Für den FC Evergrande, der jährlich rund 250 Millionen Euro investiert, ein Pappenstiel.

Drogba, Anelka und Barrios in China

Jayme arbeitet täglich sechs Stunden mit den Torhütern des chinesischen Topclubs, dessen Name in Europa nur Insidern bekannt ist. Er räumt freimütig ein: „Mir hatte der Name des Vereins zuvor auch nichts gesagt.“ Auch wenn viele gestandene Profis aus Europa und Südamerika wie Didier Drogba, Nicolas Anelka oder Lucas Barrios das Niveau hoben und Jayme den chinesischen Spitzenclubs zutrauen würde, in der Bundesliga mithalten zu können, sieht der Rohrbacher noch großen Nachholbedarf. „China hinkt der Entwicklung rund zehn Jahre hinterher.“ Kein geregelter Spielbetrieb im Nachwuchsbereich, fehlende taktische Schulung und die großen Entfernungen geraten zum Nachteil. „Das Potenzial ist da, die Spieler haben Biss. Da wird auch nicht lange diskutiert“, schildert Jayme seine Eindrücke.

Speziell bei den Torhütern sieht er aber noch großen Nachholbedarf. Auch dass viele gestandene Profis aus dem Ausland in den Mannschaften den Ton angeben, sieht er kritisch – denn für das Fernziel, eine konkurrenzfähige chinesische Nationalmannschaft aufzubauen, sei das nicht gerade förderlich.
Und er erlebt ständig neue Faszinationen. „Jüngst wurde ein neues Fitness-Studio auf dem Trainingsgelände gebaut. Da kannst du nicht von einer Seite bis zur nächsten schauen, so groß ist das. Top ausgestattet – aber kaum einer weiß, wie man damit umgehen soll.“

Jaymes Vertrag in Evergrande läuft bis 2017. Er ist einer der vielen ausländischen Trainer, die den schlafenden Fußballriesen China wecken sollen.

Hintergrund:

Der 1954 gegründete Verein „Guangzhou Evergrande Football-Club“ dominiert seit Jahren die chinesische Fußball-Liga. In den vergangenen fünf Jahren wurde Evergrande chinesischer Meister und gewann 2015 die Champions League in Asien. Der Verein ist im Besitz des größten chinesischen IT-Unternehmens Alibaba sowie der Immobiliengruppe Evergrande Real Estate.

Anfang Februar tätigte der FC Evergrande, der vom früheren brasilianischen Nationaltrainer Luiz Felipe Scolari trainiert wird, einen der bislang teuersten Transfers in der chinesischen Fußballgeschichte. Für 42 Millionen Euro wurde der Kolumbianer Jackson Martinez von Atlético Madrid verpflichtet. Im vergangenen Jahr hatte Evergrande bereits drei Brasilianer unter Vertrag genommen: Für Alan, Paulinho und Ricardo Goulart wurden insgesamt 40 Millionen Euro Ablöse fällig. Insgesamt 37 Profis stehen beim FC Evergrande unter Vertrag, der Marktwert des Kaders wird auf 64 Millionen Euro taxiert. Wobei die fünf unter Vertrag stehenden Ausländer mit 55 Millionen Euro den Löwenanteil ausmachen. Der Martkwert des teuersten Chinesen im Kader (der Verteidiger Limpong Zhang) beträgt 1,2 Millionen Euro.

Der FC Evergrande investiert aber nicht nur in ausländische Spieler. In Guangzhou entstand die größte Fußball-Akademie der Welt. Rund 3500 Talente werden hier gefördert. Die Anlage besteht aus über 50 Fußballfeldern und modernsten Fitness-Einrichtungen. Unterstützt wird der FC Evergrande vom spanischen Spitzenclub Real Madrid. Die Verantwortung für den Nachwuchsbereich trägt der ehemalige Bundesligatrainer Marco Pezzaiuoli (früher 1899 Hoffenheim).

Aufrufe: 018.2.2016, 11:34 Uhr
Jens-Jörg WannemacherAutor