2024-04-25T14:35:39.956Z

Interview
Wegweiser Stefan Hassler: Der Gießener Fußball-Lehrer kehrt als Sportlicher Leiter aus Offenbach nach Mittelhessen zurück.	Archivfoto: Ben
Wegweiser Stefan Hassler: Der Gießener Fußball-Lehrer kehrt als Sportlicher Leiter aus Offenbach nach Mittelhessen zurück. Archivfoto: Ben

"Auf Dauer geht es nur mit Vollprofitum"

RL SÜDWEST/INTERVIEW: +++ Im Gespräch mit dem neuen Sportlichen Leiter des SC Watzenborn-Steinberg: Stefan Hassler +++

Watzenborn-steinberg. Offiziell geht es für Stefan Hassler am 1. Januar 2017 los mit seiner Tätigkeit als Sportlicher Leiter beim Fußball-Regionalligisten SC Teutonia Watzenborn-Steinberg (siehe auch nebenstehenden Bericht). Gedanklich ist er freilich schon längst ein Teutone und mit den Grundsatzfragen personeller und struktureller Entscheidungen befasst, wie er im Exklusiv-Interview mit dem Gießener Anzeiger erzählt.

Herr Hassler, die Teutonen sind vor 20 Jahren schon einmal mit Ihnen marschiert. Von der A- in die Bezirksliga, von der Bezirks- in die Gruppenliga…

... ja und dann sind wir mit einem Tor in der Relegation zur Verbandsliga gescheitert. Danach bin ich zum VfB Gießen.

Und jetzt kehren Sie zurück nach Watzenborn in die Regionalliga, wie kam der Kontakt zustande?

Ich hatte zunächst gar keinen Kontakt, habe dann aber über meine berufliche Situation nachgedacht. Ich hatte beschlossen, die Kickers zum 30. Juni 2017 zu verlassen, hätte mir aber auch vorstellen können, mal etwas ganz Anderes zu machen. Und wenn es doch wieder Fußball sein sollte, dann wollte ich in den Seniorenbereich. Als Leiter des Nachwuchsförderzentrums hatte ich mit 22-jährigen Trainern zu tun, die eine Lizenz machen und mit jungen Spielern, die sich weiterentwickeln wollen. Ich bin aber nicht mehr jung, habe alle Lizenzen und will wieder in den Bereich, wo die Leistung eine noch größere Rolle spielt. Ich habe dann mit Gino gesprochen, hatte aber Hemmungen auf den Verein zuzugehen, weil das in der Branche nicht üblich ist. Habe es dann aber doch getan.

Mit welcher Idee?

Ich will mein Wissen und meine Erfahrung in Watzenborn einbringen, weil oft die Gefahr besteht, dass bei so raschen Aufstiegen der sportliche Erfolg schneller wächst als das Umfeld. Deshalb der Gedanke, als Sportlicher Leiter einzusteigen, allerdings war da nicht absehbar, dass Copado so schnell weg sein würde.

Wie definieren Sie das Aufgabenfeld des Sportlichen Leiters?

Das Schöne an diesem Job ist, dass er sehr umfangreich und vielfältig ist. Ich versuche dem Verein zu helfen, professioneller zu werden. Und zwar in Bereichen wie Scouting, Datenbank, Leistungsdiagnostik, sportmedizinischen Tests und Medizinchecks vor der Verpflichtung eines Spielers, will aber auch den ein oder anderen Vertrag modifizieren. Das ist nicht als Vorwurf gemeint, aber als Aufsteiger ist man einerseits euphorisch, andererseits ängstlich, will den ein oder anderen Spieler auf Teufel komm raus holen, damit er nicht weg ist. Da kann ich helfen, weil ich den Markt ganz gut kenne, bei Vertragsverhandlungen etwas distanzierter, das heißt ruhig und refektiert vorgehe.

Ist die Spielersuche jetzt vordringlich?

Die Situation ist ja, dass der Verein signalisiert hat, in Sachen Spieler noch einmal tätig zu werden. Das wird auch bedeuten, dass wir den Kader im Umkehrschluss reduzieren müssen. Egal, wer am 9. Januar Trainer sein wird, können wir da nicht mit 36 Spielern auflaufen. Das macht keinen Sinn. Es wird also meine Aufgabe sein, sich mit Spielern zusammenzusetzen und die Situation zu analysieren. Um dann, wenn die betreffenden Akteure keine Spielmöglichkeit bekommen, eine Lösung zu finden. Es hat ja keiner was davon, wenn ein Spieler unzufrieden ist, weil er auf der Bank sitzt. Ich sage immer, die Ersatzbank von Blau-Weiß Gießen ist genauso hart wie die von Real Madrid.

An welchen Umfang des Kader-Austauschs ist gedacht? Soweit sind wir noch nicht. Wir haben das vorbesprochen, dass etwas passieren muss, aber noch nicht entschieden, acht gehen und sechs kommen. Es wird sicher nicht im Umfang wie beim TSV Steinbach im letzten Jahr geschehen, aber um sich auf Dauer als feste Größe zu etablieren beziehungsweise die Liga erst einmal zu halten, dafür sind ein paar punktuelle Verstärkungen nötig.

Was gilt es noch anzupacken?

Fernziele sind es, neben den schon genannten Punkten, die 2. Mannschaft voranzutreiben, dass die irgendwann als U23 in der Verbandsliga spielt, aber auch die U17 und U19 voranzubringen. Das ist natürlich nicht in einem halben Jahr zu erreichen, aber da sollte schon was passieren, um unterhalb der Regionalliga eine gewisse Durchlässigkeit zu schaffen und den Verein langfristig auf solide Füße zu stellen. Zunächst muss der Klub aber eine feste Größe in der Regionalliga werden. Mit den Ausschlägen nach oben und unten, aber eben schon so, dass man sicher im Hafen einläuft. Was mich besonders überzeugt hat bei Watzenborn, war die Antwort auf meine Frage, was im Falle eines Abstiegs passiert. Da haben alle Beteiligten wie aus der Pistole geschossen gesagt: Dann versuchen wir wieder aufzusteigen. Das war für mich ein wichtiges Signal zu sagen, da will ich ein Teil von sein.

Im Interview hat Jörg Fischer auf die Frage, wo er sich im Sommer 2018 sieht, gesagt: Hoffentlich in der Regionalliga und dann in einem kleinen kompakten Fußballstadion in oder um Gießen. Wie sehen Sie das?

Genauso. Watzenborn gehört zum Fußballkreis Gießen und spielt jetzt in einem fremden Fußballkreis und dieser Fußballkreis ist kein Fußballkreis, sondern ein Handballkreis. Das macht es nicht gerade attraktiver. Aber wenn wir schon an der Infrastruktur sind, dann muss sich in Sachen Trainingsstätte auch was tun. Denn die Bedingungen in Watzenborn sind nicht so, dass man sagen kann, hier kannst du zu hundert Prozent professionell arbeiten. Das hat mit dem kleinen Sportheim zu tun, mit den Kabinen, mit dem Rasenplatz, aber auch mit dem harten Kunstrasen. Sicherlich muss der Verein, wenn er professioneller werden will, da etwas bewegen. Ich komme nicht nach Watzenborn, um Architekt zu werden, sondern Innenarchitekt. Ich kann das Haus nicht bauen, sehe mich eher für das Innenleben zuständig, sozusagen für die Seele des Vereins.

Was war oder ist die Schwierigkeit bei der Umstellung von der Hessen- in die Regionalliga? Warum tun sich die Teutonen so schwer?

Bei einem Aufsteiger wie Watzenborn-Steinberg ergeben sich andere Probleme als bei Vereinen der Güteklasse Alemannia Aachen oder Kickers Offenbach, wo sowieso alle Vollprofis sind, alle nur Fußball spielen. Wenn eine Mannschaft wie Watzenborn sich in der Regionalliga wiederfindet, hat sie in der Hessenliga keinen Vollprofi gehabt. Demzufolge bekommst du Probleme in der Binnenstruktur, weil du ja die Spieler, die dich hochgeschossen haben, halten willst. Die haben eine gewisse Klasse, sonst hätten sie dich nicht hochschießen können. Aber das Spieler in ihrem ersten Regionalligajahr nicht sofort ihre Jobs kündigen, aufhören zu arbeiten und zu studieren, liegt auf der Hand. Wenn man aber in der Regionalliga ist und sieht, wie groß die Anforderungen da sind, wird einem schnell klar, dass man mehr machen muss. Und wenn man dann Spieler aus der Regionalliga holt, hat man erst einmal ein Problem. Diese Diskrepanz zwischen Vollprofis und semiprofessionellen Akteuren ist ganz schwierig aufzulösen, schließlich will man ja auch nicht die Spieler, die einen hochgebracht haben, dafür bestrafen, dass sie arbeiten. Aber zusehen, dass sich andere Vereine professionalisieren und du aus Solidarität zu deinen Spielern absteigst, ist natürlich auch keine Lösung. Das ist eine ganz komplexe Geschichte.

Und was ist die Lösung?

Fakt ist, wenn du dich auf Dauer in der Regionalliga etablieren willst, musst du irgendwann auf Vollprofitum umstellen, sonst hast du keine Chance.

Wie hoch beziffern Sie die Chancen, die Klasse zu halten, drittletzter Platz, 19 Punkte, bis zu sechs Absteiger…

Ich sage mal so, die Situation ist schwierig, aber keinesfalls aussichtslos. Denn eines muss man sehen: Die Mannschaft hat 19 Punkte geholt, 19. Die bekommt man auch nicht geschenkt in der Regionalliga. Sie haben zuhause gegen Kickers Offenbach gewonnen, gegen Saarbrücken, gegen Steinbach und in Homburg, das zeigt schon, dass die Mannschaft etwas hat, was punktuell auch starke Gegner richtig ärgern kann. Das zeigt doch, dass da nicht Volleyballer auf dem Fußballfeld stehen. Ich glaube, dass eine Wechselflut wie letztes Jahr in Steinbach deshalb gar nicht nötig ist, denn die Mannschaft hat die 19 Punkte erspielt. Wenn wir uns punktuell verstärken mit Spielern, die zünden, kannst du das auch schaffen. Und ein Kollektiv ist im Abstiegskampf wichtiger als wenn du drei Spieler aus der 2. Liga holst, die vielleicht nicht wollen. Eine Garantie gibt es aber nicht.

Wichtigste Frage ist die nach dem Trainer. Ist Gino Parson eine Option? Gerade auch unter dem Aspekt, dass Sie alle Lizenzen haben und als Sportlicher Leiter dann der Vorgesetzte des Trainers sind und dabei als ziemlich beste Freunde sicher auch Interessenüberschneidungen entstehen können

Das ist kein Poblem, denn das Härteste, was Gino widerfahren konnte, hat er schon hinter sich. Ich war sein Trainer bei Watzenborn und dem VfB Gießen, als er so Anfang 20 war, da hat er selten gespielt. Ich war Spielertrainer habe gespielt, er hat draußen gesessen. Ich war zu Gino immer wesentlich kritischer und härter als zu anderen Spielern, weil wir uns so nahestanden. Das ist alles kein Problem. Wir sind ja jetzt älter und reifer, können das alles reflektieren. Da können wir das Private und Fußballerische trennen. Aber meine Aufgabe ist es ja jetzt nicht, den beliebtesten Trainer zu suchen, sondern den geeignetsten. Wer das sein wird, kann ich hier und jetzt allerdings wirklich noch nicht sagen.

Aufrufe: 017.12.2016, 06:00 Uhr
Rüdiger Dittrich (Gießener Anzeiger)Autor