2024-04-30T13:48:59.170Z

Ligabericht
Eine Spielszene aus den 60er-Jahren. Der zweite Spieler von rechts ist Georg Braun. Hinten steht Horst Eberl. Viele Zuschauer kamen im Anzug. Foto: Privatarchiv Eberl
Eine Spielszene aus den 60er-Jahren. Der zweite Spieler von rechts ist Georg Braun. Hinten steht Horst Eberl. Viele Zuschauer kamen im Anzug. Foto: Privatarchiv Eberl

Abschiedsbesuch in der „zweiten Heimat“

Vor dem Abbruch des Stadions blicken vier ehemalige Spieler der Regensburger Jahnelf für uns zurück.

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Ein bisschen sieht das Jahnstadion aus wie ganz früher. Die alten Holzbänke auf der Haupttribüne liegen frei, jetzt, nachdem die roten Kunststoffsitze weg sind. Aber der Rasen ist nicht mehr da. Aus dem sandigen Boden, in dem die Rasenheizung verlief, wächst Unkraut. Die besten Tage der Sportstätte sind lange her. Die ehemaligen Jahn-Spieler Horst Eberl, Hans Meichel, Georg Braun und Karl Weiß haben sie erlebt. Sie spielten in den 1960ern und 70ern in dem Stadion in Prüfening, das zuletzt arg marode war. Vor dem nächste Woche beginnenden Abbruch haben sie ihm einen letzten Besuch abgestattet, um ihre Erinnerungen mit uns zu teilen.

„Am 20. kommt die Abbruchfirma“, erklärt Christian Hartung vom städtischen Hochbauamt, der aufsperrt. Der Putz im Kassenhäuschen bröckelt. Im Zaun daneben ist ein Loch, auf dem Weg zum Platz liegen Scherben, auch von Bierflaschen. Die ehemaligen Jahnspieler gehen ohne viele Worte darüber hinweg. Sie haben schöne Bilder vor Augen.

Karl Weiß erinnert sich an 1963, „als ich das erste Mal auf der Tribüne stand“. „Ich habe mich gefreut, dass ich da spielen darf“, sagt der 75-Jährige mit feinrandiger Metallbrille, der vor seinem Ruhestand die Sparkassenfiliale Kumpfmühl leitete. Damals, als junger Stürmer, wechselte er vom FC Augsburg zum Jahn. Von da an galt: „Hundert Tage im Jahr war ich schon heraußen.“ Auch trainiert wurde hier.

„Das Jahnstadion war wie eine zweite Heimat“, sagt Horst Eberl. Der 73-Jährige mit sportlichem Auftritt im Daunenanorak, ehemaliger rechter Verteidiger und Funktionär – unter anderem war er drei Monate „Notpräsident“ und immer wieder mehrere Jahre Sportchef – ist auch Geschäftsmann im Ruhestand. Lange hatte er einen Lottoladen am Dom, doch das Stadion gehörte viel länger zu seinem Leben. Schon mit 12, 13 rannte er hier dem Leder hinterher, als Ballbub. Als er als Jugendlicher seine Eltern verlor, fing der Verein ihn auf. Damals lief er vor den Sonntagsspielen der ersten Mannschaft mit der Jugend auf. „Schon um halb drei waren 25000 Zuschauer da. Das war sensationell.“


„SSV-Schlachtrufe pausenlos“

Hans Meichel kann diese Zahl noch toppen. Der 69-Jährige, einst Mittelfeld- und Abwehrspieler, später Funktionär, erzählt: 28000 schauten 1968 beim Spiel gegen den FC Bayern zu. „Da haben’s Bänke in die Aschebahn reingestellt.“ Auch direkt hinter dem Tor standen Zuschauer. Die Spieler mochten die Nähe zu den Fans. Sie seien disziplinierter gewesen als heute üblich. Zugleich fanatischer. Meichel, der heute weniger Haare hat als auf den Fotos von damals, aber in Sportschuhen flott unterwegs ist, erinnert sich an „SSV-Schlachtrufe pausenlos. Da waren schon beim Aufwärmen 10000 Leute da.“

Auch für die Spieler war Fußball vor allem ein Hobby, erzählt der 76-jährige Georg Braun. Der ehemalige kaufmännische Angestellte geht beim Abschiedsbesuch wegen Problemen mit den Knien etwas langsamer über den Platz. „Damals war der Beruf wichtiger“, sagt Braun, der in den 60ern als Verteidiger so viele Tore schoss, dass er dann auch als Mittelstürmer eingesetzt wurde.

Meichel, früher bei der Arbeitsagentur, heute Teammanager beim SV Fortuna, erzählt vor der Gegengerade, der Heimkurve: „Ich war schon mit zehn, zwölf da, mit meinem Onkel. Ich war begeistert. Mein Traum war, einmal für die Rothosen zu spielen.“ 1966 wurde er wahr. „In diesem Jahr habe ich entscheidende Tore geschossen gegen Weiden.“ 2:2 hieß es am Ende des Heimspiels auf der Anzeigetafel im Uhrturm. Ein Schritt zum Aufstieg aus der Bayernliga, damals der höchsten Amateurklasse, in die Regionalliga Süd, die zweithöchste Spielklasse.

Der Turm wird das Jahnstadion überdauern, wird in das Gelände der neuen Kreuzschule integriert. „Es ist fünf nach zwölf“, so liest Weiß die Uhr ab. Nur ein Zeiger ist zu sehen, er ist auf eins oder fünf nach stehengeblieben, je nach Sichtweise. Zwei alte Werbebanden, zuvor vielfach überklebt, sind jetzt wieder zu sehen, fleckig vom Rost. Rechts geht’s um Geld, links um die Wurst vom Fabrikanten Ostermeier. „Das war oft die Siegprämie, ein paar Knackwürste“, sagt Weiß.

Verlor die Elf, schimpften die Fans am Stammtisch in den Katakomben der Haupttribüne aus den 1930ern, damals ein fortschrittlicher Bau. Jetzt wölbt sich drinnen der Boden an manchen Stellen und die Luft in den Kabinen riecht nicht mehr nach Fußball, sondern ist staubig und kalt.


Schweinebraten nach dem Training

In der Wirtsstube entfährt es Weiß: „Das schaut noch so aus, wie es in den 50er Jahren ausgesehen hat.“ Die hellen Möbel von zuletzt hat die Brauerei ausgeräumt, auf den alten Einbaubänken aus Holz könnte man noch sitzen. „Da hat’s Schweinebraten gegeben, von der Frau Sturm“, sagt Weiß. Auch nach dem Training wurde er serviert.

„A bissl Wehmut ist schon da“, sagt Weiß. Braun lässt das nicht so stehen. „Wir sind alle schon drüber hinweg. Wir gehen jetzt ins neue Stadion.“ Ab und an sind die vier in der Arena in Oberisling, auch mit den Enkeln.

Das alte Stadion wird so abgebrochen, wie es in den vergangenen Jahrzehnten ausgebaut wurde – Schritt für Schritt. Zunächst werden die Zäune demontiert, dann das Gebäude entkernt, „dann wird die Tribüne Stück für Stück abgetragen“, sagt Hartung vom Hochbauamt. Dann wird in die Tiefe gegraben, werden die Fundamente aus der Erde geholt. In etwa drei Monaten ist die Sportstätte Geschichte.

Aufrufe: 019.2.2017, 00:05 Uhr
Julia Ried, MZAutor