2024-05-17T14:19:24.476Z

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Da geht?s lang: Stefan Hassler weist den Weg im Waldstadion, das er längst gegen den Bieberer Berg eingetauscht hat. Bald ein Jahr ist der Gießener nun beim OFC.	Foto: Archiv
Da geht?s lang: Stefan Hassler weist den Weg im Waldstadion, das er längst gegen den Bieberer Berg eingetauscht hat. Bald ein Jahr ist der Gießener nun beim OFC. Foto: Archiv

9000 Kilometer zum Auswärtsspiel

+++ Stefan Hassler ist fast ein Jahr bei den Offenbacher Kickers und leitet mittlerweile das Nachwuchszentrum +++ China-Reise steht an +++

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Offenbach/Giessen. 9000 Kilometer zum Auswärtsspiel sind eine ordentliche Ecke. Stefan Hassler müsste mit seiner U 19 kurz nach dem Frühstück losfahren, um pünktlich zum Anpfiff zu kommen. Könnte trotzdem eng werden.

Der Gießener schrubbt seit einem Jahr Kilometer ohne Ende, um an seinen Arbeitsplatz zu kommen, aber 9000 Kilometer für die einfache Fahrt sind auch für den Fußball-Lehrer ein singuläres Ereignis. Um die Sache aufzulösen: Stefan Hassler, seit 15. Januar 2015 in Diensten der Offenbacher Kickers und im Sommer zum Leiter des Nachwuchsleistungszentrums befördert, wird mit einem Tross von 23 Spielern und Betreuern der U 19-Kicker(s) am 8. Januar nach Gulin in China reisen.

In der Stadt am Chinesischen Meer findet dann ein internationales Turnier statt, das die Sportagentur des ehemaligen Offenbach-Profis ,,Bubu" Knecht betreut. Ziel: Kontakte, Verbindungen, gegenseitiger Austausch und irgendwann auch mal Spielervermittlung von China nach Deutschland und umgekehrt.

Für Hassler steht allerdings im Fokus, seinen U 19-Junioren etwas Besonderes bieten zu können. In den zehn Tagen im Südosten der Volksrepublik werden die chinesische Nationalmannschaft, der chinesische Meister und der Pokalsieger sowie Betis Sevilla und Real Mallorca aus Spanien Gegner des Offenbacher Nachwuchses sein. Eine reizvolle Reise, die dem 46-Jährigen da bevorsteht.

Freilich ist das nur die zuckersüße Kirsche auf der ohnehin schmackhaften Torte, nach seinem zuletzt doch etwas unbefriedigenden Job als Trainer des VfB 1900 Gießen das Nachwuchsleistungszentrum eines solchen Traditionsvereins wie Offenbacher Kickers zu leiten. ,,Natürlich ist das nicht zu vergleichen", sagt Hassler, der aber auch betont, dass ,,ich ja nicht in der Bundesliga gelandet bin".

Das mag wohl stimmen. Leistungsnachwuchszentren sind für die Bundesliga und 2. Liga vorgeschrieben, von den Drittligisten hat bei Weitem nicht jeder eins. Und von Vereinen auf Regionalliga-Niveau sind es gerade einmal sechs, die der Bedeutung der Nachwuchsarbeit entsprechend professionell(er) Rechnung tragen. Kickers Offenbach, Rot-Weiß Essen und Alemannia Aachen sieht Hassler ,,aufgrund ihres ähnlichen Werdegangs, der Bedeutung der Clubs und den Problemen mit Insolvenzen und finanziellen Schieflagen" in einer ähnlichen Rolle. Bei Rot-Weiß Oberhausen sei es in etwas abgespeckter Form ähnlich, Carl-Zeiss Jena im Osten als traditionelle Talentschmiede und Elversberg fallen heraus aus dem NLZ-Raster, das in Offenbach nicht dazu führt, dass ,,ich nicht mehr in den Knast muss, aber es ist eine solide Basis." Was Hassler meint: Naturgemäß ist ein NLZ-Leiter in der Regionalliga nicht so bezahlt wie sein Pedant ,,in Wolfsburg oder Bayern". Deshalb steht in Hasslers Vertrag auch drin, dass er weiterhin dienstags und donnerstags in der JVA Butzbach den Gefangenen fußballerische Abwechslung vermitteln darf, um sich als freischaffender Fußball-Lehrer finanzieren zu können.

Stefan Hassler ist immer Realist geblieben, auch wenn er ,,seinen Traumjob" leben darf. Vor zehn Jahren hat er seine Fußball-Lehrerlizenz gemeinsam mit Jürgen Klopp, Andreas Möller oder auch Bernd Hollerbach gebaut, aber wenn man nicht den großen Fußballer-Namen hat, oder zumindest das Quäntchen Glück, wird es mit Jobs in der Eliteliga eng. Von daher bewertet er den ,,sehr abwechslungsreichen und hoch interessanten Job" bei den Kickers als sehr solide. ,,Man darf von den Vereinen aus der Bundesliga oder 2. Liga immer gerne was lernen und sich etwas abgucken, man sollte sich aber nicht vergleichen", lautet Hasslers Credo, das im übertragenen Sinne auch als Lebensmotto bei ihm durchgeht. Ein schönes OFC-Beispiel hat Hassler parat, der einem ,,hochtalentierten Juniorentrainer", der seinen Rücktritt anbot, den Rücken stärkte. ,,Wenn wir als Regionalligist mal hinter Darmstadt, der Eintracht und dem FSV Frankfurt liegen oder mal gegen Kaiserslautern verlieren, müssen wir nicht nervös werden. Nervös werde ich, wenn dauerhaft zum Beispiel Wieseck, Erlensee oder Eschborn vor uns stehen, denn dann würden wir etwas falsch machen und ändern müssen." Sprich: Auch hier ist alles eine Frage der Mittel - und wie man sie einsetzt.

Sechs Regionalliga-NLZ

In Offenbach trainiert Stefan Hassler - wie ehedem beim VfB 1900 - auch selbst, seine Hauptaufgaben aber sind die Koordination, das Überwachen der sportlichen Abläufe und der Einhaltung der Regeln, sowie den Trainern in den verschiedenen Altersklassen mit Rat, Tat und Feedback zur Seite zu stehen. ,,Sehr positiv" beurteilt er zudem die enge Vernetzung auch mit ,,den Profis", so hat er bei einer Tasse Kaffee Trainer Ricco Schmitt schon einmal ,,zwei Spieler empfohlen", die nun im neuen Jahr bei der 1. Mannschaft mittrainieren werden. Die gute Gesamtanbindung befördert auch, dass ,,der neue Vorstand sich vor der Wahl in der Jugendabteilung vorgestellt und einen top Eindruck hinterlassen hat." Und Hassler durfte bei der Jahreshauptversammlung eine Powerpoint-Präsentation über den Stand des Nachwuchsleistungszentrums vorstellen. Auch das eine Aufgabe für den Gießener, der auszog, Stück für Stück die Fußballwelt zu erobern. Die Faszination von Kickers Offenbach ,,ist einfach, was für eine riesige Identifikation mit diesem Verein herrscht", beschreibt Hassler die historisch gewachsene und vor allem gegen über den Fans kaum relativierbare Größe, die Traditionsvereine dieses Kalibers auch in der Viertklassigkeit noch haben. Eine gewisse Aura sozusagen.

Gefühlt ist Stefan Hassler also in der Bundesliga angekommen, könnte man schreiben, was bei ihm nur ein müdes Lächeln hervorrufen dürfte. Aber der Job macht ihm Spaß, das merkt man in jeder Sekunde des Gesprächs, auch wenn ,,ich verdammt viel Zeit im Auto verbringe, 60 000 Kilometer nur für den Fußball in einem Jahr kommen zusammen." Und im Januar kommen noch mal 18 000 Kilometer dazu, hin und zurück nach Gulin - immerhin mit dem Flugzeug.



Aufrufe: 010.12.2015, 11:30 Uhr
Rüdiger Dittrich (Gießener Anzeiger)Autor