2024-04-25T14:35:39.956Z

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Löchriger Trend: Immer wieder schneiden Profi-Fußballer ihre Stutzen kaputt.
Löchriger Trend: Immer wieder schneiden Profi-Fußballer ihre Stutzen kaputt. – Foto: Imago

Profis schneiden Löcher in Stutzen: Was soll das? Und bringt es überhaupt etwas?

Sportwissenschaftler klärt auf

Immer wieder sind sie im TV zu sehen: Löcher in den Stutzen der Fußballprofis. Mutwillig reingeschnitten. Aber warum? Ein Sportwissenschaftler klärt auf.

München – Hat da der Zeugwart nicht aufgepasst? Kann ja eigentlich nicht sein, dass Fußballprofis mit kaputten Stutzen auf den Platz gehen. Aber trotzdem sieht man es im TV immer wieder. An den Waden klaffen große Löcher aus den Fußballer-Socken.

Neymar tut es. Jude Bellingham, Leroy Sané, Giorgio Chiellini und viele mehr haben es auch schon getan: Vor dem Spiel sind sie mit der Schere auf ihre Stutzen losgegangen. Aber warum?

Löcher gegen Krämpfe: Am 8. Spieltag lief Karim Adeyemi in Köln mit zerschnittenen Stutzen auf.
Löcher gegen Krämpfe: Am 8. Spieltag lief Karim Adeyemi in Köln mit zerschnittenen Stutzen auf. – Foto: Imago/Juergen Schwarz

„Ich hatte viele Probleme mit Wadenkrämpfen und gedacht: Das machst du auch mal“, erklärte Union-Profi Michel nach einem Spiel der Bild: „Es ist echt so, dass der Druck sich verringert und du nicht ganz so schnell Krämpfe bekommst, auch wenn du es nicht zu 100 Prozent verringern kannst.“

Keine Krämpfe dank zerschnittener Stutzen? Industrie empfiehlt eigentlich enge Strümpfe

Den Kniff hat sich Michel von anderen Spielern abgeschaut. Steckt da wirklich etwas dahinter? Sportwissenschaftler Prof. Dr. Veit Senner klärt im Gespräch mit Fussball Vorort / FuPa-Oberbayern auf.

Senner arbeitet an der Technischen Universität München. Sein Forschungsschwerpunkt ist die Interaktion zwischen Mensch, Sportgerät und Umwelt unter Betrachtung von Biomechanik, Nutzergonomie, Sicherheit und subjektivem Erleben.

Viele Sportartikelhersteller vertreiben Kompressionsbekleidung, speziell für den Laufsport. Die engen Strümpfe sollen Ermüdung verhindern. Jetzt schneiden sich Profis aber die Stutzen auf: Das Gegenteil von Kompression. Trotzdem erhoffen sie sich den gleichen Effekt. Waren die Studien der Industrie alle falsch?

„Letztlich ist es Unsinn“: Schneller Blutkreislauf durch Kompression bringt nichts

Auch am Lehrstuhl von Dr. Senner wurde bereits zur Wirkung von Kompressionsbekleidung geforscht. Heute sagt der Wissenschaftler: „Der Hype ist vorbei.“

Die Theorie damals: Durch Kompression wird der Blutkreislauf beschleunigt. Entweder durch den Druck auf die Gefäße, der die „Rohre“ im Kreislauf-System verengt oder durch eine Art Pump-Wirkung, den sogenannten Liebau-Effekt. Der Gedanke: Fließt das Blut schneller, ermüden die Muskeln langsamer.

Ist das wirklich so? „Letztlich ist es Unsinn“, sagt Senner: „Der Sauerstoffaustausch findet in der Lunge statt. Weil das Blut schneller fließt, kommt aber nicht mehr Sauerstoff am Muskel an.“

Kompression ist nicht völlig sinnlos: Stabilisierung der Muskeln hat einen kleinen Effekt

Bringt Kompression also nichts? Doch. Ein Team der Universität von Calgary hat erstmals einen anderen Effekt nachgewiesen, merkt Senner an. Die Beobachtung: „Beim Laufen fängt der Muskel an zu schwingen. Ein Teil der Muskulatur wird gebraucht, um diese Schwingungen abzudämpfen. Bei Probanden mit Kompressionsbekleidung waren die Hämoglobinwerte bei Tests auf einer Wackelplatte besser.“ Sprich: Sie waren weniger ausgelastet als die Probanden ohne Ausrüstung.

Das zeigt: „Die mechanische Stabilisierung kann einen kleinen Einfluss haben“, erläutert Senner. Aber: „Dieser Einfluss bewegt sich im Promill-Bereich.“

Löcher in den Stutzen: Negative Aspekte behoben, positive erhalten – Wissenschaftler lobt die Profi-Lösung

Die Kompression an der Wade hat also doch eine positive Wirkung. Unfug, Löcher in die Stutzen zu schneiden? „Das kann man schon machen“, wendet Senner ein, „die Löcher haben kaum negative Aspekte bei der mechanischen Stabilisierung. Außerdem wird die Belüftung besser.“ Senner lobt den Einfallsreichtum: „Die Fußballer haben aus ihrer Erfahrung eine Lösung optimiert.“

Bekanntes Phänomen in der Bundesliga: Benjamin Stambouli löcherte seine Socken schon 2018 vor dem Spiel gegen Eintracht Frankfurt.
Bekanntes Phänomen in der Bundesliga: Benjamin Stambouli löcherte seine Socken schon 2018 vor dem Spiel gegen Eintracht Frankfurt. – Foto: Imago

Löcher-Trend im Profifußball: Sieht der Stutzen der Zukunft anders aus?

Schaden können die zerfetzten Strümpfe zumindest nicht. Der minimale positive Aspekt der Stutzen bleibt. Ob die Löcher aber tatsächlich etwas nutzen ...

„Am Ende schaut’s halt cool aus, für sie. Wenn man daran glaubt, hat es eine Wirkung, das hilft manchmal mehr als alles andere“, hält Senner fest. Dass Fußballer oft sehr abergläubisch sind, könnte dabei helfen. Zu eng sollten die Stutzen außerdem sowieso auch nicht sein. Was komfortabel ist, ist immer besser, sagt Senner.

Der Lochfraß hat sich im Profifußball mittlerweile fast zu einem Trend ausgewachsen. Sehen die Stutzen der Zukunft etwa anders aus? „Vielleicht hilft ein anderes Material, eine Art Gitterstrumpf“, sagt Senner. Optisch wäre das aber gefährlich nah an Reizwäsche, also vermutlich eher kein Zukunftstrend für die Bundesliga und den Amateursport. (moe)

Aufrufe: 03.2.2023, 13:03 Uhr
Moritz BletzingerAutor