2024-05-31T10:52:53.652Z

Interview
Benjamin Netz bleibt seinem FC Wohlen treu - auch wenn er nicht mehr offizieller Fanverantwortlicher ist.
Benjamin Netz bleibt seinem FC Wohlen treu - auch wenn er nicht mehr offizieller Fanverantwortlicher ist. – Foto: Noel Hauser

"Fast jeder kann jeden schlagen in der Erstliga-Gruppe 2"

Benjamin Netz vom FC Wohlen im Interview

Wegen eines "Polit-Eklats" stand Benjamin Netz*, Fanverantwortlicher des FC Wohlen, in jüngster Vergangenheit vermehrt im Rampenlicht. In unserem Interview spricht der Superfan und Groundhopper aber lieber über seinen FC Wohlen, die SFV-Ligareform und die Zürcher Teams in der Erstliga-Gruppe 2.

Benjamin Netz, der FC Wohlen überwintert als Leader der Erstliga-Gruppe 2. Steigt er am Ende auch wieder in die Promotion League auf, wie unsere Betty Böser in ihrem Vorrunden-Résumé prophezeit?

Das wäre natürlich wünschenswert. Wir waren in den letzten Jahren eigentlich immer oben dabei. Corona machte uns jeweils einen Strich durch die Rechnung. In dieser Saison überwintern wir sogar auf Rang 1. Leicht wird es dennoch nicht. Die Liga ist sehr ausgeglichen. Fast jeder kann jeden schlagen. Zuletzt holte der FCW ja auch nur einen Punkt bei Schlusslicht Zug. Die Aufstiegsspiele muss man dann auch noch überstehen. Die 1. Liga nach oben zu verlassen, ist also gar nicht so leicht.

Apropos Promotion League: Der SFV hat eben eine Ligareform verabschiedet. Wie stehst du dazu?

Zwiegespalten. Dass man die Promotion League von 16 auf 18 Teams aufstockt, befürworte ich. Vereine wie der FC Wohlen, aber vielleicht auch die eine oder andere Grösse aus vergangenen Tagen können davon profitieren. Die Liga hätte man so attraktiver machen können. Leider wurde die Beschränkung der U21-Teams aufgehoben und zwei U21-Mannschaften sollen schon für die kommende Saison eine "Wild Card" erhalten. Das sehe ich sehr kritisch, weil sich so Talente sehr wahrscheinlich häufiger in den U21-Mannschaften zusammenfinden werden. Die kleineren Vereine gehen dabei leer aus und werden in Sachen Spielstärke Einbussen hinnehmen müssen.

Weshalb überhaupt der FC Wohlen - was macht den Verein so besonders?

Der Verein ist gar nicht so besonders. Im Gegenteil. Ich glaube, man will auch gar nicht so recht aus der Masse herausstechen und lieber mit dem Strom schwimmen. Den FCW besonders macht die Fanszene. Diese engagiert sich schon lange auch im sozialen Bereich, gegen Rassismus, Sexismus, Homophobie oder Antisemitismus. Im unterklassigen Fussball sieht man das hierzulande selten. Das ist schon etwas Besonderes.

Die Fans des FC Wohlen engagieren sich auch im sozialen Bereich, etwa gegen Homophobie.
Die Fans des FC Wohlen engagieren sich auch im sozialen Bereich, etwa gegen Homophobie. – Foto: Noel Hauser

Hast du einen ewigen Lieblingsspieler beim FCW?

Ganz klar: Ronny Minkwitz. Der ist nicht nur auf dem Platz stark, sondern auch daneben ein ganz feiner Kerl und extrem engagiert. Ich durfte im letzten Jahr sogar mit ihm zusammen für den FCW arbeiten und viele tolle Projekte mit ihm lancieren. Ihn muss man unbedingt halten, als Spieler wie auch Leiter der Geschäftsstelle. Der Junge ist Gold wert für den Verein!

Gibt es Trainer, die dir besonders in Erinnerung geblieben sind?

Francesco Gabriele. Er war zwar nur ein knappes halbes Jahr beim FCW aktiv, mir ist aber seine klare, offene Art in Erinnerung geblieben. Francesco war immer emotional dabei und hatte auch stets ein offenes Ohr für die Anliegen der Fans.

Der FC Wohlen ist in der Gruppe 2 auch Gegner der Zürcher Teams Höngg, Kosova und GC U21. Welchen Eindruck hast du von diesen Teams gewonnen?

Drei Clubs, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Höngg hat natürlich nach dem Wechsel in der Sommerpause von der Gruppe 3 in die Gruppe 2 alle überrascht. Dort scheint es im Verein einfach zu stimmen und das Kollektiv funktioniert. Der FC Kosova ist ein besonderer Verein, der die Liga definitiv bereichert. Schade spielt man auf dem Juchhof. Auf einer vernünftigen Anlage könnten die Verantwortlichen dort sicher noch mehr aus dem Verein herausholen. Die U21 von GC ist eine typische Zweitvertretung. Man weiss letztlich nie, wer auf dem Platz steht. Spiele in Niederhasli sind immer eine Wundertüte.

Gibt es auch einen „Zürcher Spieler“, den du gerne im Trikot des FC Wohlen sehen würdest?

Ich finde es schade, dass Adijan Keranovic, der jetzt beim FC Kosova spielt, den FCW im Sommer verlassen musste. Die genauen Umstände, wieso es damals zur Trennung kam, sind mir zwar nicht bekannt und ich möchte auch nicht darüber urteilen. Aber er hat ins Mannschaftsgefüge gepasst und immer alles gegeben. So einen Spieler sollte man immer im Team haben.

Auf welche Partien in der Gruppe 2 freust du dich immer ganz besonders?

Delémont und Solothurn sind definitiv meine Highlightspiele. Beide Vereine haben eine tolle, spannende Fanszene.

Ausgerechnet Wohlens Lokalrivale Baden wurde auf diese Saison hin in die Gruppe 3 umgeteilt. Muss man das verstehen?

Verstehen nicht, aber akzeptieren. Ehrlich gesagt empfand ich die Spiele gegen Baden immer als äusserst anstrengend. Fussballfeste waren das selten und die Mehreinnahmen durch die höhere Zuschauerzahl gingen dann auch wieder durch das erhöhte Sicherheitsdispositiv verloren. Mir sind da Spiele in Delémont oder Solothurn lieber.

"Ein Aufstieg wäre wünschenswert, aber leicht wird es nicht", sagt Benjamin Netz.
"Ein Aufstieg wäre wünschenswert, aber leicht wird es nicht", sagt Benjamin Netz. – Foto: Noel Hauser

Du bist nicht nur Fan des FC Wohlen sondern auch Groundhopper. Verschlägt es dich auch in den Raum Zürich?

Ja, immer wieder. Zürich bietet sich an, wenn man zwei oder drei Spiele am Tag sehen möchte. Sonntagmorgens um 10 findet immer irgendein Kick statt, den man dann mit Spielen am Nachmittag kombinieren kann.

Wo hat's dir am besten gefallen - und wo weniger?

Der FC Kosova ist ein cooler Verein, aber der Juchhof ist einfach schrecklich. Eine grauenhafte Anlage! Der Utogrund ist natürlich ein Sahnehäubchen auf der Torte jedes Groundhoppers. Den sollte man mal besucht haben. Dank des SV Höngg geht das ja aktuell öfter. Ansonsten besticht Zürich eher durch Masse statt Klasse.

Und: Wo muss man schweizweit unbedingt mal hin?

Das Centre Sportif de la Charrière in La Chaux-de-Fonds ist für mich ohne Zweifel der schönste Ground in der Schweiz! Die Gegengerade mit den beiden Rängen ist imposant, aber auch die kleinere Haupttribüne hat ihren Charme. Ich war inzwischen dreimal dort, zweimal mit dem FC Wohlen. Schade, dass der FCC nur noch wenige Zuschauer anlockt. Alleine das Stadion hätte eine grössere Kulisse verdient.

*Benjamin Netz (33) war bis im November 2021 Fanverantwortlicher und Social-Media-Manager des FC Wohlen. Er erhielt die Kündigung, nachdem ein SVP-Anlass im Stadion Niedermatten im September bei den Wohler Fans für viel Unmut gesorgt und zu Protest-Plakaten geführt hatte. Dem FC Wohlen wird er trotzdem treu bleiben.

Seit 2014 lebt der Deutsche in die Schweiz. Zum FCW ist er damals eher zufällig durch seine Aktivität als Groundhopper gekommen - und geblieben, weil ihm die Atmosphäre beim damaligen Challenge-League-Verein so gut gefiel ("Ein Profiverein mit dem Flair eines Dorfklubs.").

Netz, der aus der Nähe der Stadt Koblenz stammt, spielte in Deutschland als Torhüter in der Verbandsliga. Während eines Austauschjahrs in den USA bekam er als 20-Jähriger einen "Rookie"-Vertrag für das Farmteam des Chicago Fire FC. In einem Testspiel kam er im Fanionteam gegen LA Galaxy zum Einsatz und stand plötzlich Stars wie David Beckham gegenüber. Eine Schulterverletzung setzte dem Traum vom Profifussball ein jähes Ende.

Auf Twitter und Instagram ist Netz als Lord_Fusseck unterwegs.

Aufrufe: 07.12.2021, 09:45 Uhr
David SchweizerAutor