2024-04-24T13:20:38.835Z

Allgemeines
Dehnen vor dem Spiel - oft praktiziert, selten sinnvoll.
Dehnen vor dem Spiel - oft praktiziert, selten sinnvoll. – Foto: Horst Wagner

Warum du vor dem Fußball nicht mehr Dehnen solltest

Ein Gastbeitrag unseres Experten Benni Heizmann +++ Vollständiges Mobility-Programm für euch als Video

Wahrscheinlich wird euer Mannschafts-Warm-Up so oder so ähnlich aussehen:

Lockeres Einlaufen oder Einspielen, Lauf ABC, Andehnen, intensivere Vorbereitung mit weiteren Laufeinheiten, Richtungswechseln, Pässen etc., erneut Andehnen.

Soweit, so gut. Aber was wollen wir mit dem Dehnen eigentlich erreichen?

Wir denken sofort an "verkürzte Muskeln", die wir länger machen wollen.

Daran, die Muskeln auf die Belastungen vorzubereiten.

Wir wollen "bereit" sein und keine Verletzungen riskieren.

Diese Wünsche sind alle legitim, richtig und wichtig, doch die ernüchternde Nachricht ist folgende:

Du wirst durch das Dehnen im Fußball keine der oben genannten Punkte erreichen. Und nicht nur das. Eventuell schadet dir das Andehnen sogar.

Doch zunächst ein kurzer Blick in die theoretischen Grundlagen zum Thema Dehnen im Fußball.

Bedeutung und Relevanz von Mobility-Training im Fußball

Was unterscheidet Mobility-Training im Fußball vom statischen Dehnen bzw. Stretching im Fußball?

Was ist Mobility-Training überhaupt?

Und welchen Nutzen bringt das Training der Beweglichkeit auf dem Fußballplatz?

Was ist Mobility-Training überhaupt?

Mobility befasst sich mit den folgenden Themen:

1. Muskuläre (Ver-)Spannungen

2. Beweglichkeitseinschränkungen von Gelenkkapseln und anderem körpereigenem Gewebe

3. Neuromuskuläre Koordination

4. Optimale biomechanische Positionierung des Körpers, der Gelenke und der Körperachsen bei Bewegungen (und in Ruhe)

5. Bewegungsspielraum von Gelenken (engl. „range of motion“ oder ROM)

6. Widerstandsfähigkeit des Körpers mit all seinen Strukturen gegen äußerer Reize

Kurz: Bei Mobility-Training handelt es sich um nichts anderes als Verletzungsprophylaxe

Das Thema "Mobility" sollte immer im Einklang mit dem Thema “Stability” gesehen werden. Neben Gelenkkapseln und Bändern werden Gelenke durch das Zusammenspiel verschiedener Muskeln stabilisiert.

Stability beschäftigt sich mit der Position von Gelenken (Wirbelsäule, Schulter, Hüfte, Knie etc.) und der Kraft, welche diese Stabilität bewahrt.

Grundsätzlich sollte zwischen den Begriffen Stretching und Mobility unterschieden werden:

Dr. Kelly Starrett (DPT und Bestselling Autor von “Werde ein geschmeidiger Leopard”) beschreibt Stretching oder besser gesagt statisches Dehnen im Fußball, als die “simple Verlängerung von verkürzten und verhärteten Muskeln” durch verschiedene Dehnmethoden.

Die Mobilisation hingegen ist ein “ganzheitlicher bewegungsgestützter Ansatz, der ALLE Bereiche anspricht, welche eine Beweglichkeitseinschränkungen zur Folge haben können” (eingeschränkte Gelenksbeweglichkeit, neuronale Schwächen, motorische Einschränkungen etc.).

Warum ist Mobility wichtig?

Hier eine Übersicht der wichtigsten Faktoren:

Mobility schafft einen Ausgleich zur Alltagsbelastung

Wir leben immer mehr den sogenannten “sedentären Lebensstil”. Vereinfacht gesagt: Wir sitzen zu viel. Beim Essen, im Auto, bei der Arbeit, beim Treffen mit Freunden. Sitzen gehört mittlerweile zu unseren häufigsten Aktivitäten.

Der sitzende Lebensstil kann allerdings zu großen Schäden an unserem Bewegungsapparat führen. Wir brauchen demnach einen Ausgleich. Und dieser Ausgleich kann durch Mobility-Training stattfinden.

Die Mobilisation der Hüftbeugemuskulatur und der Hamstrings (ischiocrurale Muskulatur) sorgt zum Beispiel für einen Gegenpol zum alltäglichen Sitzen.

Mobility verbessert die Bewegungseffizienz

Durch das Erlernen von sicheren Bewegungsmustern sowie das reibungslose und vor allem uneingeschränkte Zusammenspiel von Muskelketten, während Bewegungen erreichen wir eine gesteigerte Bewegungseffizienz.

Dadurch brauchen wir für die gleiche Bewegung weniger Energie und können somit mehr Leistung erzielen. Du lernst zum Beispiel wie du deine Hüfte beim Springen effektiver einsetzt oder wie du mit einer optimalen Schulterposition mehr Push-Ups absolvieren kannst.

Mobility verringert das Verletzungsrisiko

Mobility-Training im Fußball steht für eine gesteigerte Beweglichkeit. Das bedeutet nichts anderes, als dass wir unsere Bewegungen sicherer und über einen vergrößerten Bewegungsradius ausführen können.



Verletzungen entstehen meist durch suboptimale Gelenksstellungen oder durch ein Ungleichgewicht von Muskelgruppen. Wenn wir unsere Beweglichkeit verbessern, verhindern und beseitigen wir diese sogenannten “Dysbalancen” und können akute wie auch chronische Verletzungen verhindern.

Mobility vergrößert die aktive Beweglichkeit

Die aktive Beweglichkeit spielt in unserem Alltag eine wichtige Rolle. Durch die aktive Beweglichkeit verbessern wir unsere Haltung, unser Gangbild und die intermuskulären Widerstände werden verringert.

Die Verbesserung der passiven Beweglichkeit kann mit “Isolationsübungen” verglichen werden, bei denen meist nur ein Muskel gedehnt wird. Mobility-Training im Fußball befasst sich hauptsächlich mit Muskelketten und deren Zusammenspiel und bereitet so auf die Aufgaben und Belastungen des Ligaspiels vor.

Sicherheit zurückgewinnen nach Verletzungen

Durch das Mobility-Training im Fußball kannst du die Sicherheit nach Verletzungen wieder zurückgewinnen, in dem die Bewegungsspielräume angetestet werden, die nach einer Verletzung ein Unsicherheitsgefühl hervorrufen können.

Nach einer Schulterluxation (und anschließender Heilungsphase) kann zum Beispiel durch vorsichtige Außenrotationsmaßnahmen das Gelenk in Überkopfpositionen wieder belastet werden. Schrittweise kann dann die Belastung wieder gesteigert werden bis die Sicherheit zu 100% zurückgewonnen wird.

Das Mobility-Training im Fußball ist in vielerlei Hinsicht “Hilfe zur Selbsthilfe

Denn Mobility kombiniert im Fußball das Dehnen (=Flexibilität) mit der Kontrolle deines Nervensystems (=Kraft). Man kann demnach festhalten: Mobility = Flexibilität + Kraft.

Passives Dehnen vor dem Fußball:
Mehr Fluch als Segen

Das Hochlegen des gestreckten Beins bei gleichzeitigem nach vorne lehnen des Körpers fühlt sich zwar so an, als würden wir in irgendeiner Form spannungsregulierend arbeiten (gefühlt vor allem in der Oberschenkelrückseite).

Doch da gerade Fußballer hier große Einschränkungen aufzeigen, erreichen wir hier nur eins:

Die Aktivierung eines Schutzreflexes.



Dieser Schutzreflex, der den Muskel-Sehnen-Komplex vor Überdehnung schützt, wird dich in dieser "passiven" Form der Dehnung nicht beweglicher machen bzw. auf die Belastungen vorbereiten.

Das Stichwort ist hier passiv.

Denn dies bedeutet, dass du durch die Hinzunahme von externen Kräften (Schwerkraft, Schwung, Partner) versuchst "Länge" auf die Muskeln zu bekommen. Dein Gehirn versteht nicht wirklich, was du erreichen möchtest und macht... gar nichts.

Eventuell packt es sogar etwas zusätzliche Spannung ins System.

Dehnen im Fußball:
Ein Mobility-Programm von Benni Heizmann



Deshalb denk immer daran: Dich aktiv in einem größtmöglichen (und sicher kontrolliertem) Radius bewegen zu können ist deine Chance verletzungsfrei und mit Höchstleistung durch die Saison zu kommen.

Be Fearless.

Be Focused.

B42

Über den Autor

Benni Heizmann ist einer der erfolgreichsten Mobility-Trainer in Deutschland. Mit seinen „Reset“-Konzepten ist der Experte von „Perform Sports“ im ganzen Bundesgebiet unterwegs. Als Mobility-Coach bei B42 wird er auch dich dabei unterstützen, dein Spiel für immer zu verändern.

Literatur

Weepier, Magnusson (2010) Increasing Muscle Extensibility: A Matter of Increasing Length or Modifiying Sensation? Physical Therapy, March 2010, Vol. 90, No.3, 438-449. (Stretch Tolerance)
Tyler et. al (2001) The Association of Hip Strength and Flexibility With the Incidence of Adductor Muscle Strains in Professional Ice Hockey Players. American Journal of Sports Medicine, Vol. 29, No. 2 (Strength vs. Flexibility)
Bystrom, et al. (2013) Motor Control Exercises Reduces Pain and Disability in Chronic and Recurrent Low Back Pain: A Meta-Analysis. Spine: 15 March 2013, Vol. 38, Issue 6, E350-E358 (Aktiv > Passiv)
Makofsky (2007) Immediate effect of grade iv inferior hip joint mobilization on hip abductor torque: a pilot study. J Man Manip Ther. 2007; 15(2): 103-110 (Koordination & Mobility)

Aufrufe: 07.10.2020, 11:00 Uhr
B42 / Michael EderAutor