Fußball-Amateur des Jahres 2022, Stammspieler in der U17 vom VfB Grün-Weiss 1990 Erfurt, unzählige nationale Erfolge in der Para-Leichtathletik und der große Traum der Paralympischen Spiele in Paris 2024: Simon Seyfarth (16) leidet seit seiner frühen Kindheit unter einem schweren Handicap, trainiert mittlerweile sogar dennoch als unfassbar ehrgeiziger junger Mann am Olympiastützpunkt Erfurt und hat seine Ziele genau im Blick. Seine Geschichte ist eine ganz besondere, mit der er andere Menschen inspirieren und ihnen Mut zusprechen möchte.
Dem mittlerweile 16-Jährigen wurde im Alter von 15 Monaten aufgrund einer Meningokokken-Sepsis im Endstadium, einer schweren oft innerhalb weniger Stunden lebensbedrohlichen Krankheit mit einer Überlebenschance von 5 Prozent, der linke Fuß amputiert. Noch heute ist er einer der wenigen Überlebenden einer solchen Blutstrominfektion. Es folgten schwere Jahre, in denen er sich seither über 80 Operationen unterziehen musste. Dennoch lässt sich trotz vieler Rückschläge in seinem noch jungen Leben seine Lebensfreude nicht nehmen und fungiert als Vorbild für viele junge Menschen.
Im Alter von 11 Jahren war es dann endlich soweit: Der schon immer sportbegeisterte, heute noch große BVB-Fan durfte es endlich mit dem Fußball versuchen. Er holte sich von verschiedenen Ärzten, die seinen Gesundheitszustand bis ins Detail kannten, fachkundige Experteneinschätzungen ein und bekam schließlich die Erlaubnis - als erster Handicap-Sportler - mit einer Prothese seiner Leidenschaft nachzugehen. Auch, wenn die Beantragung des Spielerpasses sich lange als sehr schwierig gestaltete bekam er beim VfB Grün-Weiss 1990 Erfurt sofort seine Chance bei einer einwöchigen Probephase, nutzte diese, etablierte sich dort zum Stammspieler, ist seither nicht mehr aus dem Kreise der Mannschaft wegzudenken und wurde im Jahr 2022 sogar als erster Handicap-Sportler zu Deutschlands Amateur des Jahres - eine jährliche Auszeichnung von fussball.de, dem Amateurportal des Deutschen Fußball-Bundes. Die offizielle Ehrung durch den DFB wird dabei am 28. März in der Halbzeit des Länderspiels zwischen Deutschland und Belgien vorgenommen.
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Mitte Januar startete Simon Seyfarth allerdings ein neues Kapitel in seinem Leben. Er wechselte, um seinem großen Traum von den Paralympischen Spielen 2024 in Paris ein Stück näher zu kommen, nach Cottbus in einer Sport-Internat, wo der 18-fache deutsche Meister aus diversen paralympischen Lauf-, Sprung- und Wurfdisziplinen täglich trainieren und die Grundlage für seine weitere sportliche Karriere legen kann. Doch trotz großer Ambitionen kehrt er am Wochenende immer in die Heimat zurück, um beim VfB Grün-Weiss Erfurt mit seinen Freunden auf dem Fußballplatz stehen zu können. Ein wahrer Kämpfer, der seine Ziele immer im Auge behält: Einmal Profi-Sportler zu werden!
Wir haben uns mit Simon Seyfarth und seinem Vater Sven unterhalten:
FuPa: Du befindest dich gerade in Cottbus auf der Eliteschule des Sports. Seit wann bist du dort, was machst du da genau und wie läuft das alles dort ab?
Simon Seyfarth: Ich bin jetzt seit Mitte Januar dort und kann mich neben meinem angestrebten Abitur in 14 Jahren perfekt auf die Paralympics konzentrieren. Wir trainieren täglich einmal und eigentlich hätte ich auch am Wochenende Training, aber da fahre ich nach Erfurt und habe dementsprechend frei bekommen.
Sven Seyfarth: Man muss sich das so vorstellen, dass Simon dort den Sport direkt mit der Schule und seinen Einheiten mit Ergo- und Physiotherapeuten, was er alles braucht, verbinden kann. Das ist dort alles in einem Gesamtpaket und zusätzlich an einem Standort, an dem er sich von Sonntag bis Freitag befindet. Viele Teile laufen über die Begabtenförderung, aber natürlich bleibt ein Teil der Kosten an uns hängen.
FuPa: Du hast mit 11 Jahren die Erlaubnis bekommen mit Prothese Fußball zu spielen. Wie lief das genau ab?
Simon Seyfarth: Ich war auf jeden Fall froh, dass meine Eltern nach jahrelangem betteln irgendwann endlich ja gesagt haben (schmunzelt). Ich hatte damals meine Ärztin in Eisenberg gefragt, ob ich überhaupt mit Prothese Fußball spielen darf. Sie hat mir direkt die Erlaubnis gegeben, auch wenn meine Eltern lange unsicher und skeptisch waren. Wir mussten in der Folge leider lange auf meinen Spielerpass und die Genehmigung warten, ich konnte dann aber sofort loslegen.
Sven Seyfarth: Man muss mit dazu sagen, dass natürlich durch die Schwierigkeit der Genehmigung durch die Prothese gegeben. Man hat für den Spielerpass eine sogenannte Unbedenklichkeitsbescheinigung gefordert und bis wir diese ganzen Fragen klären konnten, hat es fast ein ganzes Jahr gedauert. Es war auch für den Thüringer Fußballverband schwierig da ad hoc eine Entscheidung zu treffen und wir haben dann über die Ärzte, die Simon über Jahre mit betreuen. Eine solche Bescheinigung kann man ja eigentlich gar nicht ausstellen, das bedarf es ja bei einem gesunden Menschen auch nicht. Am Ende haben wir sogar Schaumstoff um die Prothese gebastelt, was es eigentlich überhaupt nicht gebraucht hätte. Dadurch wurde er zu Thüringens erstem Inklusionsfußballer.
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FuPa: Wahrscheinlich war diese Entscheidung auch so schwierig, eben weil er der erste Inklusionsfußballer war, oder?
Sven Seyfarth: Definitiv! Man ist diese Thematik auch im inklusiven Bereich bisher gar nicht groß angegangen. Da ist eben dieser inklusive Gedanke in Thüringen noch nicht so ausgeprägt gewesen und auch heute ist das noch eine Schwierigkeit - vor allem bei diversen Themen über Kinder mit Handicap. Da stößt man an bestimmte Grenzen. Natürlich sind sowohl der DFB mit der Sepp-Herberger-Stiftung und der Deutsche Amputierten-Fußball aus Hoffenheim auf uns aufmerksam geworden, aber Simon hat sich als Ziel gesetzt, dass er einfach zeigen möchte, was möglich ist. Simon ist ein super Beispiel dafür, dass es funktionieren kann!
FuPa: Wie hat sich dann der Prozess der Vereinssuche gestaltet? Wurdet ihr direkt mit offenen Armen empfangen?
Sven Seyfarth: Da unsere Familie in der Vergangenheit sehr aktiv beim VfB Grün-Weiss Erfurt aktiv war, haben wir direkt den Kontakt zum Verein gesucht. Wir dachten, wir treten einfach Mal an die Verantwortlichen heran, tragen es ihnen einfach vor und schauen, wie sich das Ganze entwickelt. Auch an den FC Rot-Weiß Erfurt sind wir herangetreten, da haben wir auch einige Kontakte, die Simon dann während des Votings zum Amateurfußballer des Jahres 2022 sehr gepusht haben. Simon hat dann ein einwöchiges Probetraining bei Grün-Weiss absolviert und am Ende haben wir uns mit dem Trainerteam sowie dem Verein unterhalten. Sie haben sich tatsächlich dafür geöffnet und uns dann auch in den entscheidenden Situationen unterstützt. In gemeinsamer Absprache dachten wir einfach wir probieren es und sehen, wo es letztlich hinführt.
FuPa: Hast du in deiner gesamten Zeit im Fußball bisher Negativerlebnisse aufgrund des Handicaps erfahren müssen?
Simon Seyfarth: Nein, das gab es auf jeden Fall nicht. In einem Freundschaftsspiel hat mir mein Gegenspieler nach meiner Einwechslung direkt gesagt, wie stark er es findet, was ich mache. Es überwiegen definitiv die positiven Erlebnisse. Auch, wenn ich - wie wohl jeder Fußballer - von einem Zuschauer, aber nicht wegen meiner Beinprothese, schon einmal was anhören musste. Aber denen hab ich's dann im Spiel gezeigt (schmunzelt).
FuPa: Du hast erst begonnen Fußball zu spielen und dann auch damit, dich aktiv mit der Para-Leichtathletik zu beschäftigen. Wie kam das zustande?
Simon Seyfarth: Genau, über die Leichtathletik wusste ich eigentlich noch gar nichts. Da wurden wir damals von Birgit Kober, Weltmeisterin und Olympiasiegerin in paralympischen Disziplinen, angeschrieben, ob ich nicht die Leichtathletik ausprobieren will. Das habe ich dann bei meiner alten Trainerin Marion Peters, die gleichzeitig auch meine Bundestrainerin war, auch gemacht. Jetzt trainiere ich weiter an der Eliteschule des Sports im Para-Bereich.
FuPa: Die Paralympics in Paris 2024 sind ja das große Ziel und du trainierst dafür ja seit Januar bereits fleißig in Cottbus. Auf welche Disziplinen hast du dich genau spezialisiert?
Simon Seyfarth: Im Wurf mache ich Kugelstoßen und Diskus. Neben dem Weitsprung trainiere ich in den Laufdisziplinen die 60m, die 100m, 200m, 400m und 800m.
Sven Seyfarth: Aktuell befindet sich Simon in der internationalen Klasse, wo er im Mai - neben der Klassifizierung - bei seinem ersten internationalen Grand Prix starten wird. Zu diesem Zeitpunkt wissen wir dann, in welche Startklasse er international gewertet wird. Da sind dann auch die Möglichkeiten gegeben. Im Kugelstoßen liegt er in seiner Altersklasse mit zuletzt 1.000 Punkten bereits auf Weltrekordniveau.
FuPa: Was möchtest oder kannst du Menschen mit einer ähnlichen Beeinträchtigung zum Abschluss mit auf den Weg geben?
Simon Seyfarth: Ich möchte jedem nur mit auf den Weg geben, dass man die Hoffnung niemals aufgeben sollte und immer weitermachen soll. Auch, wenn oft Steine im Weg liegen oder die Situation ausweglos erscheint - man schafft alles und kann mit seinem Willen alles erreichen!
Wir wünschen dir für die Zukunft sportlich sowie persönlich ganz viel Erfolg!