Der SV Raisting ist auf Rekordjagd und bislang ohne Punktverlust. Die Siegesserie in der Bezirksliga Süd hat handfeste Gründe.
Wer sich die Arbeit macht und in die Archive der Bezirksliga Süd hinabsteigt, stößt auf die legendäre Saison des SC Olching. Vor 16 Jahren stieg der mit 16 Punkten Vorsprung auf und meißelte einen Startrekord. Zumindest für die Zeit, in der Daten im Internet existieren. Die Olchinger gewannen zehn Spiele in Serie im Spätsommer 2008, verloren erst am 28. September gegen Gräfelfing.
„Zehn Siege ist eine Hausnummer, so weit zurück habe ich noch nicht geschaut“, sagt Johannes Franz. Er trainiert den SV Raisting in eben jener Bezirksliga Süd und hat gerade den erfolgreichsten Start seit acht Jahren hingelegt. Sieben Siege aus sieben Spielen gelangen zuletzt dem TSV Gilching 2015. Die Raistinger gehen auf Rekordjagd. Ohne das geplant zu haben.
„Ich hatte nie so richtig das Gefühl, dass wir unseren Start wiederholen können.“
Johannes Franz, Trainer vom SV Raisting
Es mutet seltsam an, aber über die Vorbereitung mit ausnahmslos durchwachsenen Ergebnissen sagt der Trainer heute: „Ich hatte nie so richtig das Gefühl, dass wir unseren Start wiederholen können.“ Vor ziemlich genau einem Jahr hatte der SVR sechs Partien in Serie gewonnen, das Abbruchspiel gegen Habach mal mit eingerechnet. In diesem Jahr gelang seinem Team bestenfalls eine „sehr, sehr durchschnittliche“ Testphase.
Doch seit dem ersten Spieltag, da gab's ein 2:1 über Neuhadern, bestimmt Raisting die Bezirksliga. Sie sind Serientäter im positiven Sinn. Ihre größte Waffe ist nicht die fußballerische Wucht wie bei Olching damals, sondern eine eiskalte, gnadenlose Präzision. Viermal gewannen sie mit nur einem Tor Vorsprung.
Alles beginnt und endet in Raisting mit der Defensive – das Werk der vielen. In 630 Minuten (exklusive Nachspielzeit) haben sie noch kein Gegentor aus dem Spiel heraus kassiert. Beide gegnerische Treffer fielen per Elfmeter. „Jeder fühlt sich verantwortlich, so lange wie möglich die Null zu halten“, erklärt Franz. Alle Spieler haben permanent die Hand am Schaltknüppel, um notfalls den Rückwärtsgang einzulegen. Selbst bei eignen Konterangriffen.
„Wir laufen nie blind und naiv nach vorne.“ Mittlerweile ist die Philosophie des Trainers in Fleisch und Blut übergegangen. Es ist Ehrensache, „zu Null“ zu spielen. Zur Hälfte liege das an der Mentalität der Spieler, zur anderen Hälfte habe man das eingefordert und gedrillt, erklärt der Coach. Das geht nicht in Monaten, seine Arbeit reicht Jahre zurück. „Die Leidenschaft wird von den meisten gelebt.“ Zudem hält ihnen mit Urban Schaidhauf der beste Torwart der Liga den Rücken frei, der aber auch schon dreimal fehlte (Sperre und Geburt des Kindes).
Gut verteidigt haben sie schon früher. Vielleicht lässt sich der neue Erfolg des SVR auf seine Unbeschwertheit zurückführen. Im Sommer, als sie zusammenkamen, sprachen sie nicht über den Aufstieg. „Es ging nicht um das große Ganze“, stellt Franz klar. Wie auch? Ein beträchtlicher Teil der offensiven Schaltzentrale – Vinzenz Wolf, Sinan Grgic und Maximilian Neufing – ist im Jahr 2004 geboren. „Da steht Entwicklung und Spielpraxis im Vordergrund, damit man die maximal fördert“, betont Coach Franz. Man hat das in Murnau gesehen vorige Saison, was erblühen kann, wenn ein Verein seine Talente wachsen lässt. Schnellstmöglich möchte er sie ein, zwei Klassen besser machen, damit sie entweder in höhere Ligen hüpfen – oder den SVR voranbringen. „Über andere Sachen haben wir nicht großartig nachgedacht“, sagt der Coach.
Nach sieben Spieltagen sieht jeder im Oberland, wohin einen das Prinzip Sorglosigkeit zu tragen vermag. Vinzenz Wolf führt die Torjägerliste mit neun Treffern an. Er harmoniert besonders prächtig mit Sturmpartner Benedikt Multerer. Was definitiv nicht zufällig passiert. Ihr verbindendes Element ist die Selbstlosigkeit. „Beide haben keine Egos. Die würden sich jederzeit die Bälle blind auflegen“, erklärt Franz. Vorige Saison trat eher Multerer als Vorstrecker auf, dieses Jahr gibt er den Gestalter (schon sieben Vorlagen). Besonders knifflig für Abwehrreihen ist die Variabilität des Duos.
Während Wolf klein und quirlig spielt, tritt sein Kollege kantig, robust und kopfballstark auf. „Das harmoniert gut“, hält der Coach fest. Im Prinzip legen sie aber keinen Wert darauf, wer die Tore schießt. Ihre Identität bleibt das Verteidigen – auch wenn das auf Kosten der Offensive geht. „Ich würde mir wünschen, dass wir in der einen oder anderen Situation gefährlicher und ein bissl spielstärker werden“, sagt Franz. Die Spitzenvergleiche mit Bad Heilbrunn, Wacker München und Aubing stehen allesamt erst noch an. Dort wird sich zeigen, ob Raistings Offensive gut genug ist für einen Spitzenplatz.
Bis dahin weiß auch der Trainer: „Wir haben so ein wenig die Zielscheibe auf dem Rücken. Das haben wir uns erarbeitet.“ In Planegg voriges Wochenende erlebten sie zum ersten Mal sehr deutlich, wie sich das anfühlt, als Attraktion an den Sportplatz zu kommen. „War unangenehm“, erinnert Franz. Am Ende gewannen sie trotzdem 1:0, Torschütze: Vinzenz Wolf. Danach gereichte der Coach seinen Mannen eine Botschaft, die praktisch als Überschrift für die ganze Spielzeit steht. „Immer demütig, immer bodenständig bleiben. Der Lauf fliegt einem nicht zu.“ Die Raistinger sind nicht der SC Olching von 2008, der mit 90 Toren die Bezirksliga Süd kurz und klein ballerte. Sie sind und bleiben Malocher. Wenn sie vom Gas gehen, werden sie in der Liga schnell auch wieder überholt.