2024-04-23T13:35:06.289Z

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Den niederbayerischen Pokal holten Karsten Wettberg (rechts) und sein "Co" Helmut Wirth (links). Die vollkommene Krönung blieb ihnen aber versagt.
Den niederbayerischen Pokal holten Karsten Wettberg (rechts) und sein "Co" Helmut Wirth (links). Die vollkommene Krönung blieb ihnen aber versagt. – Foto: Archiv SpVgg Landshut

Keine Lizenz, keine 2. Liga: Der Landshut-"SKANDAL" 1986

In der Saison 1985/86 wurde die SpVgg Landshut Meister der Bayernliga, durfte aber dennoch nicht an der Aufstiegsrunde zur 2. Liga teilnehmen, weil die Lizenz nicht eingereicht wurde. Warum? Ist bis heute offen...

Wie es bei Ereignissen, die lange zurückliegen, sich aber ins Gedächtnis eingebrannt haben, so ist, kann Reinhard „Timex“ Treimer inzwischen über die Geschehnisse im Sommer 1986 zumindest etwas schmunzeln. Aber wirklich nur ganz kurz. Denn auch knapp 40 Jahre später überwiegt dann doch noch immer die Enttäuschung. Die damals von Karsten Wettberg trainierte SpVgg Landshut wurde überraschend Bayernliga-Meister, qualifizierte sich somit für die Aufstiegsrunde zur 2. Bundesliga. Eigentlich. Denn aufgrund einer fehlenden Lizenz blieb Viehbeck, Hainer & Co. die Chance in den Profifußball vorzustoßen verwehrt. Eine Geschichte, die heute noch nicht vollends aufgeklärt ist....

Zunächst das Erfreuliche: Mitte der 80er erlebte die „Spiele“, so wird das Fußballteam aus der niederbayerischen Bezirkshauptstadt im Volksmund genannt, ihren Nachkriegs-Höhepunkt. Mit Spielern wie Horst Schmidbauer und Walter Hainer, die allesamt aus dem Umland von Landshut stammten und von denen später einige Profis wurden, spielte sich die SpVgg Landshut während der Spielzeit 85/86 in einen regelrechten Rausch. Nach 34 Spieltag standen 22 Siege in der Bilanz, dazu fünf Remis und nur sieben Niederlagen. Die vor der Saison als Underdog ausgerufene Truppe (Wettberg: "Unser Ziel war der Klassenerhalt") ließ selbst klanghafte Vereine wie den TSV 1860 München, den FC Augsburg, die SpVgg Fürth oder den SSV Jahn Regensburg hinter sich.

Eine Anekdote dazu von "Timex" Treimer: "Vor dem Rückspiel gegen Augsburg boten uns die Löwen bei einem Sieg eine Kiste voll Schampus. Sie dachten, dass ihnen eher der FCA als wir die Meisterschaft streitig machen." Das Ende vom Lied: Landshut siegte am fünfletzen Spieltag (25. April 1986) vor 2.500 Zuschauern furios mit 4:2 und landete in der Endabrechnung vor 60 - und dem FCA. Doppelter Torschütze gegen die Schwaben war übrigens Hans Viehbeck, der mit 15 Toren auf Rang 8 der Torschützenliste landete. Auf Platz 2: Ein gewisser Karl-Heinz Riedle, der vier Jahre später in Italien Weltmeister wurde.

Die "Spiele" vor vier Jahrzehnten war nicht nur eine Ansammlung von Akteuren mit außergewöhnlicher Qualität, sondern auch eine Truppe mit großer Kameradschaft. Dieses Zusammenspiel machte den Erfolg erst überhaupt möglich. "Das Geheimnis war, dass sich die Männer hervorragend verstanden haben - auf und neben dem Platz", blickt Trainer-Legende Karsten Wettberg zurück. Reinhard Treimer sieht es ähnlich: "Die Kameradschaft war ausgezeichnet. Auch, weil es Karsten Wettberg verstanden hat, diese zu fördern." Norbert Herrmann, damals wie heute für die SpVgg-Pressearbeit zuständig berichtet: "Das war kein Glück, kein Zufall. Maßgeblich war der Trainer, der in allen Bereichen die richtige Mischung gefunden hat."

Prominenter Besuch: Die Löwen um den damaligen Trainer Wenzel Halama (rechts) kamen u.a nach Landshut - das Spiel endete vor 7.000 Zuschauern ohne Sieger (0:0).
Prominenter Besuch: Die Löwen um den damaligen Trainer Wenzel Halama (rechts) kamen u.a nach Landshut - das Spiel endete vor 7.000 Zuschauern ohne Sieger (0:0). – Foto: Archiv SpVgg Landshut


Das alles führte dazu, dass die "Spiele" bereits nach dem 1:0-Sieg in Fürstenfeldbruck am vorletzten Spieltag bei gleichzeitiger Niederlage des TSV 1860 München in Weiden den Meistersekt kaltstellen konnte (den der Löwen?). Denn bei einem Punkt Vorsprung auf die Giesinger wartete am letzten Spieltag der bereits feststehende Absteiger 1. FC Bamberg, der dann auch - standesgemäß könnte man fast schreiben - mit 7:0 vom Platz gefegt wurde. "Aber bereits vor der Partie meldete sich ein Münchener Journalist bei uns und sagte: 'Ihr könnt spielen, wie ihr wollt. Ihr habt's ja keine Lizenz.'" (Reinhard Treimer)

Das Unheil nahm seinen Lauf. Die Ereignisse überschlugen sich regelrecht. Aus dem Gerücht wurde im Laufe des Mai 1986 nach und nach traurige Realität. Die Verantwortlichen der SpVgg Landshut hatten die entsprechenden Aufnahmeunterlagen für die damals bereits eingleisige 2. Bundesliga nicht eingereicht. Die „Spiele“ wurde zwar Meister, aber dann doch um die Belohnung gebracht. Gerade für Sportler die wohl grausamste Niederlage überhaupt. "Im ersten Moment dachten wir an einen Witz, der von der Sechziger-Seite gestreut worden ist. Wir hatten ja die Aufstiegsspiele gegen Kickers Offenbach schon fest eingeplant", blickt Reinhard Treimer zurück. Karsten Wettberg: "Wir wurden - auch wenn es vielleicht ein hartes Wort ist - schlicht und einfach betrogen."

Allen voran die Trainerlegende versuchte, nachdem das Kind bereits in den Brunnen gefallen war, noch einmal alles. Wettberg, so erzählt er gegenüber FuPa, reiste sogar extra nach Frankfurt zum DFB; um vielleicht doch noch das Feld zu bestellen. Doch vergebens. Und in Landshut schlug die Stimmung um. Vom sportlichen Hochgefühl zur aggressiven Ernüchterung - geschürt von den lokalen Medien. So schrieb das Landshuter Wochenblatt unter dem Titel "SKANDAL!" davon, dass "Spieler, Trainer, Fans in ohnmächtiger Wut" seien. Vor allem dem damaligen "Spiele"-Präsidenten Hans Mieslinger wurde der schwarze Peter zugeschoben.

Der seinerzeit 1. Vorsitzende der SpVgg Landshut wurde regelrecht angefeindet in der niederbayerische Bezirkshaupstadt. Die Schaufenster des Kaufhauses, für das er damals arbeite, wurden mit Plakaten zugeklebt. "Darauf stand 'betrogen' oder 'wanted'", weiß Karsten Wettberg noch heute, der aber eine Lanze bricht für seinen damaligen Chef: "Die Art und Weise hatte er nicht verdient. Er wusste zwar wahrscheinlich die Hintergründe, war aber nicht der Hauptschuldige." Norbert Herrmann ergänzt: "Die Spieler und Fans waren bitter, bitter enttäuscht. Und es gibt noch heute Leute, die wegen dieser Sache seitdem nicht mehr ins Stadion gekommen sind."

Die Ursachenforschung indes gestaltete sich schwierig. Auch gut 40 Jahre später ist noch immer nicht geklärt, warum denn nun wirklich keine Lizenz eingereicht worden ist. Zwei Theorien stehen im Raum, wie Herrmann, Treimer und Wettberg unisono deutlich machen. "Es wurde immer gesagt, dass Landshut eine Eishockey-Stadt sei und zwei Profivereine nicht vertrage. Deshalb hätten die Fußballer in den sauren Apfel beißen müssen." (Norbert Herrmann).

Neben der Variante der bewussten Zweitliga-Abfuhr gibt es auch eine unbewusst: Wurde es schlicht und einfach versäumt die Unterlagen einzureichen? Gegen diese Vermutung spricht, dass die Verantwortlichen dann schon sehr nachlässig agiert - und einige Erinnerungen des Fußballverbandes diesbezüglich einfach übersehen haben müssten. Spekulationen. "So richtig geklärt ist die Angelegenheit heute noch nicht. Und das wird sie auch nie werden", spricht Norbert Herrmann das aus, was viele denken.

Der Bayernliga-Meisterkader der SpVgg Landshut 1985/86: Elmar Streifeneder (vorne v.l.), Hans Viehbeck, Julius Georgens, Oliver Kapser, Horst Oehl, Manfred Lobmeier, (Mitte v.l.) Trainer Karsten Wettberg, Franz Jäger, Robert Kleeberger, Wolfgang Oberndorfer, Robert Viehbeck, Walter Hainer, Reinhard Miethaner, Andreas Schwaiger, Co-Trainer Helmut Wirth, Theo Floares (hinten v.l.), Sebastian Gerlsbeck, Horst Schmidbauer, Kurt Dworschak, Rainer Bauer, Reinhard Treimer und Richard Gerg.
Der Bayernliga-Meisterkader der SpVgg Landshut 1985/86: Elmar Streifeneder (vorne v.l.), Hans Viehbeck, Julius Georgens, Oliver Kapser, Horst Oehl, Manfred Lobmeier, (Mitte v.l.) Trainer Karsten Wettberg, Franz Jäger, Robert Kleeberger, Wolfgang Oberndorfer, Robert Viehbeck, Walter Hainer, Reinhard Miethaner, Andreas Schwaiger, Co-Trainer Helmut Wirth, Theo Floares (hinten v.l.), Sebastian Gerlsbeck, Horst Schmidbauer, Kurt Dworschak, Rainer Bauer, Reinhard Treimer und Richard Gerg. – Foto: Archiv SpVgg Landshut

"Das war natürlich eine riesen Enttäuschung, dass einem als Amateurfußballer die Möglichkeit verwehrt wird, möglicherweise in den Profifußball vorzustoßen", sagt Reinhard Treimer dazu. "Das wäre schon eine super Sache gewesen", ergänzt er noch einmal, um das Ausmaß der vermaleideten Angelegenheit zu betonen. Glücklicherweise hatten Timex, Georgens und Kameraden die Möglichkeit, nur kurze Zeit später mit sportlichen Nachrichten die sportpolitischen zu übertünchen.

Denn praktisch als Entschädigung für die verpasste Aufstiegsrunde durfte die "Spiele" an der damals noch ausgespielten Amateurmeisterschaft teilnehmen. Dort setzen sich die Niederbayern in der 1. Runde gegen den 1. Traber FC Mariendorf (2:0/2:1) durch, ehe der VfR Bürstadt, der letztlich dem BVL 08 Remscheid im Finale unterlag, eine Nummer zu groß war (2:2/0:2).

Was bleibt von dieser Geschichte ohne Aufklärung ist ein gemeinsames Erlebnis, das Wettberg, Viehbeck, Treimer, Herrmann & Co. bis heute in einer gewissen Art und Weise verbindet. Mal mit einem Schmunzeln, mal mit tiefster Enttäuschung. "Man kann die Zeit nicht zurückdrehen", zeigt sich Karsten Wettberg realistisch. Und letztlich, sind wir uns doch ehrlich, sind es diese Anekdoten, die den Fußball zu dem machen, was er ist - die schönste, oftmals aber auch bitterste Nebensächlichkeit überhaupt...

Aufrufe: 015.1.2023, 12:00 Uhr
Helmut WeigerstorferAutor