2024-04-24T07:17:49.752Z

Allgemeines
In Dietramszell hat Siggi Niedergesäß seine letzte Ruhe gefunden.
In Dietramszell hat Siggi Niedergesäß seine letzte Ruhe gefunden. – Foto: pir

In memoriam Siggi Niedergesäß: Erdinger Sportler erinnern sich an

DAS SPORTGEFLÜSTER

Er stand um 5 Uhr morgens am Flughafen, ließ sich auf der Eisstockbahn festfrieren und tat so, als würde er den Weltstar nicht kennen: In meinem Sportgeflüster zum Wochenende erinnere ich mich gemeinsam mit vielen Sportlern aus dem Landkreis an den Reporter mit den ganz besonderen Recherchetricks, der vor wenigen Wochen gestorben ist.

„Ob Freddie Mercury oder ein A-Klassen-Trainer – beim Interview ist jeder gleich wichtig.“

Nein, das ist jetzt kein Leitsatz aus der Journalistenschule. Vielmehr hat das Siggi Niedergesäß gesagt. Also jener Journalist, der genau das praktiziert hat. Ob er im Wohnzimmer des Queen-Sängers saß oder von unserer Redaktion aus mit dem Coach des SV Zustorf telefonierte – er tat dies mit demselben Witz, derselben Wucht und Wichtigkeit. Vor wenigen Wochen verstarb unser Kollege, wir erinnerten bereits mit einem Nachruf an ihn. Doch als ich diesen Mittwoch ein Bild von seiner Beisetzung im Dietramszeller Friedwald über die sozialen Medien mit den Worten „Servus Siggi“ postete, passierte folgendes: Innerhalb weniger Minuten meldeten sich ehemalige Sportler, drückten ihre Trauer aus. Die allgemeine Botschaft: „Er war ein feiner Kerl.“ Erinnerungen kamen wieder hoch.

„Siggi war mein Glücksbringer“, sagt Susie Falkenstein. „Wenn er über mich geschrieben hat, habe ich auch gewonnen“, erzählt die Sportlehrerin. „Bevor wir zur WM nach Puerto Rico flogen, stand Siggi am Flughafen und hat mir viel Glück gewünscht – um fünf Uhr morgens.“ Die Mittelstrecklerin gewann Gold über 800 Meter und in der 4 x 400-Meter-Staffel. „Bei der Rückkehr hat mich dann meine Familie empfangen. Und wer war noch da? Natürlich der Siggi“, erzählt Falkenstein, die auch seine Fragetechnik bewunderte, „denn er kitzelte auch viele Kleinigkeiten raus. Deshalb waren seine Berichte einfach mehr als nur Zahlen und Platzierungen.“

Der rasende Reporter Siggi Niedergesäß. In Dietramszell hat er nun seine letzte Ruhe gefunden.
Der rasende Reporter Siggi Niedergesäß. In Dietramszell hat er nun seine letzte Ruhe gefunden. – Foto: pir

Vermutlich war es dann auch ein Kniff, als Siggi Niedergesäß eines Tages vor der Tür von Oliver-Sven Buder stand. Der Kugelstoßer lebte in Eichenried in der gleichen Straße wie der Journalist. „Und da stand dann dieser Mann vor mir, mit zehn Kugelschreiben in der Hand, unterm Arm einen Block geklemmt, der sagte: ,Angeblich wohnt hier ein berühmter Mann‘. Er sei zwar Sportreporter, habe aber keine Ahnung, wer da vor ihm stehe.“ Naja, sowas überrascht dann auch einen Vizeweltmeister – und lockt ihn aus der Reserve. Letztlich sei es eine wunderbare Zusammenarbeit gewesen, schwärmt Buder und sagt. „Durch ihn habe ich vieles geebnet bekommen.“ Als Buder mit WM-Silber nachhause kam, war für ihn ein Dorffest organisiert. Auch da hatte Siggi seine Hände im Spiel.

Für Sigi war kein Weg zu weit, keine Fahrt zu beschwerlich – und das zu jeder Jahreszeit“, erzählt Bob- und Skeleton-Fahrer Tom Platzer. „Er besuchte mich bei Materialtests an der Kunsteisbahn am Königssee oder beim Weltcup in Innsbruck/Igls.“ Nur ein Interview-Ort sei ihm, dem überzeugten Pazifisten, sehr suspekt gewesen: die Jägerkaserne in Bischofswiesen. Aber auch das schaffte er. Nur zu einem konnte ihn Platzer nicht überzeugen: zu einer Fahrt durch den Eiskanal. „Egal ob mit dem Bob oder den Skeleton, da war der Recherche ein Riegel vorgeschoben“, sagt Platzer, der „die spitzfindigen Fragen und sein überdurchschnittliches Interesse an den Fakten hinter den Fakten“ des Reporters rühmt. „Ich sehe ihn heute noch vor mir sitzen mit Block und Stift, selbstgedrehter Zigarette und sein legendäres ,mmmhhhmmm‘ zwischen den Antworten.“

Dass es nicht nur der besondere Text, sondern auch das besondere Bild sein musste, weiß Thomas Elsenberger. Der Stockschützen-Weltmeister erinnert sich noch an eine ganz besondere Fotosession. „Dass er ein paar Mal ausgerutscht ist und auf dem Hosenboden landete“, habe den Reporter nicht in seinem Elan gebremst. Einmal habe er sich für die ganz besondere Perspektive bäuchlings aufs Eis gelegt „und dabei nicht beachtet, dass sich seine riesige Gürtelschnalle aus Metall schön ans Eis angesaugt hat, weil sie natürlich wärmer war. Als Siggi aufstehen wollte, hatte er mit allen Vieren rumgezottelt und wäre bald nicht mehr in die Höhe gekommen. Es hätte nicht viel gefehlt, und wir hätten ihn mit dem Pickel vom Eis hauen müssen“, erinnert sich Elsenberger lächelnd. Aber auch für ihn war der rasende und schlitternde Reporter wohl ein Glücksbringer – da muss man nur die WM- EM- und DM-Titel des Hörlkofeners betrachten.

Siggi, der Mann für die Erfolgsstory? „Er war auch beim Schulsport immer und überall da“, widerspricht Susie Falkenstein. Kein Kreiswettkampf ohne den Eichenrieder – und zwar vom Aufbau bis zum Abbau – was manchmal die Redaktion ins Schwitzen brachte, weil sich dann der Feierabend verzögerte, oder weil er nicht zwei oder drei Bilder zur Auswahl mitbrachte, sondern 200 oder 300. Und wir reden hier noch von der analogen Fotografie und Fotoabzügen.

Ähnlich viele Bilder schoss er einmal vom Ersatztorhüter der Erding Jets, den alle nur „Friesen“ nannten. Die Torwart-Legende nur Ersatz in Erding? Siggi witterte die Sensation – bis man ihn aufklärte, dass das nur der Spitzname für Fritz Rottenfußer war. Nur selten hat ihn sein Näschen im Stich gelassen. Eine Geschichte fällt uns da noch ein, als der dem SV Zustorf einen amerikanischen Trainer namens Dick Herman zutraute. Letztlich war es aber einfach nur der Urbayer Hermann Dick.

Ein bisserl stolz war er auf die Sportevents direkt vor der Haustür: das Motorsport-Spektakel im Birkenring-Stadion ode die Golf Open, die er die komplette Woche lang begleitete. Und wo ihn alle kannten. Keine fünf Minuten vom Parkplatz waren wir weg, als uns schon ein „Hallo Siggi“ entgegenschallte. Howard Carpendale hatte ihn entdeckt, freudig begrüßt und nach dem Befinden des ehemaligen Bravo-Reporters gefragt. „Ich bin jetzt beim Erdinger Anzeiger.“ – „So, so – beim Erdinger Anzeiger.“ Jawoll, beim Erdinger Anzeiger. Denn nicht nur bei den Interviewpartnern machte der Mann, der mit Jimi Hendrix sprach und dem Rod Stewart wegen einer Fußball-Wette noch heute 50 Pfund schuldet, keinen Unterschied. Auch nicht bei seinen Auftraggebern.

Aufrufe: 04.3.2023, 10:02 Uhr
Dieter PriglmeirAutor