2025-12-03T05:51:34.672Z

Allgemeines
Nach 55 Jahren immer noch alles präsent - Ebi Gräfs Holsteiner gewannen 1970 gegen den VfB Stuttgart 2:1.l
Nach 55 Jahren immer noch alles präsent - Ebi Gräfs Holsteiner gewannen 1970 gegen den VfB Stuttgart 2:1.l – Foto: Stadtarchiv Kiel

History DFB-Pokal: Déjà-vu für Holstein Kiel gegen VfB Stuttgart?

Verlinkte Inhalte

Aller guten Dinge sind drei? Mit dem VfL Wolfsburg (1:0-Sieg) und Hamburger SV (4:2 i. E.) hat Holstein Kiel zuletzt zwei Bundesligisten aus dem DFB-Pokal gekegelt. Im vierten Pokalspiel treffen die Störche nun erstmals vor heimischem Publikum auf den nächsten Erstligisten mit dem VfB Stuttgart. Geht da auch was für den Zweitligisten am 4. Februar 2026? Das Halbfinale im DFB-Pokal vor den Augen sollte genug Motivation freimachen.

Genau wie vor 55 Jahren: Der Regionalligist Holstein Kiel besiegte sensationell den Bundesligavierten VfB Stuttgart auf dem Holsteinplatz mit 2:1. Der hieß zwar offiziell schon „Holsteinstadion“, aber alle redeten damals vom „Holsteinplatz“. So wie heute mit der Ostseehalle, die ja offiziell auch anders heißt. Helwig Pfalzgraf war beim 2:1-Erfolg live dabei und traf auf dem Blücherplatz einen Pokalhelden von damals. Unser Autor hat sich in die Zeitmaschine gesetzt und bringt Wissenswertes dem jüngeren Publikum näher.

Holstein im Jahre 1970

Eigentlich befanden sich die Störche zu der Zeit seit 1965 im langsamen Sinkflug. Im Vergleich zu alten Oberligazeiten gingen auch die Zuschauerzahlen deutlich zurück. Doch 1969 und 1970 sorgte Holstein unerwartet noch einmal für positive Schlagzeilen.

VfR Neumünster 1963 Nr. 1 in Schleswig-Holstein

Bei der Einführung der Bundesliga 1963 war der Deutsche Meister von 1912 nicht dabei. Aus dem Norden waren der HSV, Werder Bremen und Eintracht Braunschweig vertreten. Auch Holstein hatte sich eigentlich gute Chancen ausgerechnet, belegte aber im letzten Oberligaspieljahr 1962/63 in der Oberliga Nord nur Platz fünf und war damit nicht einmal beste schleswig-holsteinische Mannschaft: Der VfR Neumünster landete als Vierter noch vor Holstein.

Aus den Oberligen wurden 1963 Regionalligen, und Holstein war erstmals in seiner Geschichte zweitklassig. In jedem Sommer nach Punktspielschluss spielten dann die jeweils ersten beiden Teams der fünf Regionalligastaffeln (Nord, West, Süd, Südwest und Westberlin (!)) zwei Bundesliga-Aufsteiger aus. Normalerweise in zwei Fünferstaffeln, nur der Erste stieg auf. Holstein qualifizierte sich 1965 als Nordzweiter, wurde aber in seiner Vierergruppe (nur vier (?) – längere Geschichte, aber Tasmania Berlin durfte ohne Aufstiegsrunde hoch) nur Dritter hinter Gladbach und dem heute oft übersehenen SSV Reutlingen.

Danach ging es langsam abwärts. 1969 wurde man dann aber überraschend Dritter, einige lokale Neuzugänge erwiesen sich als Volltreffer.

Eigentlich abgeschrieben

Für die Saison 1970/71 „gab aber niemand einen Pfifferling für uns“, so Eberhard Gräf, Stamm-Rechtsverteidiger der Dekade 1965 bis 1975. Die talentierten Baumanns-Zwillinge wechselten 1970 zum VfL Osnabrück. Außer Emil Kirchner gab es mit Keeper Friedemann Paulick 1970/71 nur noch einen einzigen weiteren Nicht-Schleswig-Holsteiner im Team.

Ständiger Aderlass in den späten 60ern

Das Team war nominell ständig schwächer geworden. 1969 waren die Stammspieler Benno Beiroth (Düsseldorf), Peppi Pistauer (Hessen Kassel) und Winnie Schülke (Villingen 08) zu zahlungskräftigeren Vereinen abgewandert, Holsteins Rekordtorjäger aller Zeiten, Gerd Koll, hörte auf. Bereits 1968 war der beim Polizei SV auf dem Eichhof groß gewordene, schussgewaltige und überaus talentierte Hanjo Weller abgewandert, zunächst zu Göttingen 05, dann unter anderem zu Hannover 96, 1860 München, dem VfB Stuttgart und dem FC Zürich. „Die härteste Klebe, die ich je erlebt habe. Ein Riesentalent“, so Gräf. Und ein Jahr zuvor wechselte Bubi Hönig zum HSV, um dort ein Jahrzehnt in der Bundesliga zu glänzen.

Holstein 1970: Eine Bezirksauswahl-Elf

Die Stammspieler dieser Zeit, Siggi Saborrosch (von Villingen 08, aber zuvor TSV Plön), Ulrich Schulz (ebenfalls aus Plön), Rudi Christiansen (VfB Kiel, zuvor Holstein Amateure), Manfred Medler (Eckernförde), Horst „Moppel“ Mißfeld (SV Friedrichsort), Lothar Kanieß, der Schönberger Uwe Krüger sowie der Dänischenhagener Libero Uli Hoffmann (alle drei aus den eigenen Amateuren), gingen 1970 erst in ihr zweites Vertragsspielerjahr. Dazu kamen im Sommer 1970 mit Sönke Koch und Keeper Klaus Hansen-Kohlmorgen zwei weitere Eigengewächse aus der Amateurmannschaft. Führungsfigur „Ebi“ Gräf war bereits Mitte der 1950er Jahre zur KSV Holstein gewechselt. Zuvor spielte er beim rot-weiß berdersten Kieler SV, der ohne eigenen Platz auf dem Norder seine Heimspiele austrug.

Trainer: Holstein-Rekordspieler Peter Ehlers

Trainiert wurde diese junge Holstein-Elf von Holstein-Rekordspieler Peter Ehlers, der mit seiner Roten Karte die tragische Figur im Aufstiegsspiel 1965 in Mönchengladbach war. Er war 1969 den nicht weiten Weg aus Friedrichsort, in den sechziger Jahren Nummer zwei in Kiel mit drei Regionalligaspielzeiten, zu Holstein zurückgekehrt und hatte dabei nach Gräfs Worten den „genialen“ Horst Mißfeld mitgebracht. „Moppel war nicht in den Griff zu kriegen. Du wusstest nie, was kommt, einer der wenigen wirklich komplett beidfüßigen Fußballer.“

Horst Mißfeld.
Horst Mißfeld. – Foto: Stadtarchiv Kiel

In der Saison 1970/71 harmonierten Uli Schulz und Rudi Christiansen im Sturm hervorragend, trotzdem war der Regionalliga-Alltag durchwachsen. Zum Zeitpunkt des Duells gegen Stuttgart lag man auf Rang acht. Entsprechend waren die meisten Holstein-Anhänger, Stuttgarter waren kaum mitgereist, vor dem Spiel eher gebremst optimistisch.

Holstein spielt auf Augenhöhe

Diese Elf, die meisten erst im zweiten gemeinsamen Jahr in dieser Liga, spielte auf ihrem höchstmöglichen Niveau. Rechtsaußen Uwe Krüger, der Schönberger, tauchte plötzlich auf rechts auf und nutzte die erste Schusschance zum 1:0 (8.). Lothar Kanieß als Vorstopper, damals spielten die beiden Innenverteidiger eher hinter- als nebeneinander, meldete Stuttgarts Bundesliga-Tormaschine Hartmut Weiß komplett ab. Und im direkten Duell der Mittelfeldstrategen war Mißfeld gegen den Star des VfB, den französischen Nationalspieler Gilbert Gress, klar der Stärkere. „Moppel hat den komplett aus dem Spiel genommen. Wir selbst kamen immer wieder über Manni Medler und Moppel“, so Gräf.

Gräf prallt Handschuh aus dem Spiel

Neben Weiß galt der 23-jährige Karl-Heinz Handschuh als brandgefährlich. „Ein unglücklicher Zusammenprall“, so Gräf zu seinem Einsatz gegen Handschuh, der zu dessen Auswechslung führte (21.). Eine echte Schwächung für die Schwaben, denn doppelt gleichwertige Positionsspieler gab es in diesen Zeiten selbst in der Bundesliga kaum.

Auch Gräf erwischt es

Doch auch „Ebi“ musste noch in der ersten Hälfte verletzt raus. Eine alte Verletzung, die ihn schon 1968 zu einem halben Jahr Pause gezwungen hatte, machte sich wieder bemerkbar. „Der Fuß verdrehte sich, ich konnte nicht mehr laufen. Das hat mich auch später immer wieder behindert. Deshalb bin ich 1971 auch nicht zum FC St. Pauli gegangen.“

Hartmut Weiß gleicht aus

Zwar konnte die Elf von Branko Zebec nach der Pause vorübergehend mehr Druck aufbauen und Goalgetter Weiß traf zum 1:1 (54.), doch auch danach blieb Holstein präsent. Selbst als Manni Medler ungeplant gegen Amateur Klaus Schröder getauscht werden musste, hielt Holstein mit. Und als VfB-Keeper Gerd Heinze, mit 1,72 Metern der kleinste Bundesliga-Stammkeeper aller Zeiten, wenn auch einer der besten seiner Epoche, gegen Uli Schulz zu spät kam, gab es Elfmeter für Holstein. Auf das Tor Richtung geplanter Autobahn, die Holstein-Kurve war damals gerade im Bau. „Mir flatterten beim Elfmeter die Hosen“, zitierte die Schlagzeile der KN am nächsten Tag den Holstein-Libero. Doch der Dänischenhagener blieb cool und netzte ein. Souverän brachte Holstein den Sieg nach Hause.

Ort der Holstein-Weihnachtsfeier 1970  - die Florida-Bar in der Dänischen Straße.
Ort der Holstein-Weihnachtsfeier 1970 - die Florida-Bar in der Dänischen Straße. – Foto: Stadtarchiv Kiel

Für Gräf war es ein durchwachsener Tag. Zwar gab es für „Ebi“, der zu dieser Zeit auch gelegentlich Tresenmann im „Anyway“ in der Holtenauer Straße war, mit 400 DM die höchste Siegprämie seiner Holstein-Zeit. Aufgrund seiner Verletzung konnte er bei der abendlichen Weihnachtsfeier Holsteins in der Florida-Bar in der Dänischen Straße seiner weiteren großen Leidenschaft neben dem Fußball jedoch nicht nachgehen: Er konnte nicht tanzen.

Die nächste Runde im Februar 1971 verlor Holstein gegen den Bundesligisten RW Oberhausen unter Flutlicht mit 2:5 nach Verlängerung. Lange hatte es auch hier nach einem Sieg ausgesehen. Am Ende der Saison wurde Holstein Vierter, nur zwei Punkte hinter Meister Osnabrück und einen Punkt hinter St. Pauli. Punktgleicher Dritter wurde der VfB Lübeck. Bis zum nächsten Höhenflug unter Gerd Koll ab 1976 mit der nächsten starken Holstein-Nachwuchstruppe standen der KSV nun einige schwere Jahre bevor.

Aufrufe: 016.12.2025, 21:50 Uhr
helwig PfalzgrafAutor