
Hattersheim. Wäre die Hessenliga die Börse, dann wäre Halil Ibrahim Yilmaz vom FC Eddersheim derzeit wohl deren heißeste Aktie. Der 28-Jährige trifft, wie und wann er will – 23 Tore nach 13 Spielen, darunter fünf Dreierpacks, sprechen eine klare Sprache. Mit dem FCE spielt Yilmaz bislang eine überragende Saison. Nur die U21 von Eintracht Frankfurt steht aktuell vor seinem Team an der Tabellenspitze. Ausgerechnet der Eintracht-Unterbau, muss man sagen. Weil es das Team noch gar nicht gab, als "Ibo" von einer Zweiten Mannschaft am Riederwald hätte profitieren können.
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Ein Großteil seiner Jugend gehörte Yilmaz dem Nachwuchsleistungszentrum der Eintracht an. Vorher lernte der gebürtige Wiesbadener beim FV Biebrich 02 das Fußballspielen, zur U12 wechselte er zum SV Wehen Wiesbaden, verbrachte dort zwei Jahre, ehe er sich zur U14 Eintracht Frankfurt anschloss, wo er fortan seine restliche Jugend verbrachte. In der U14 war sein Trainer Carsten Weber, der jetzt auch sein Coach beim FC Eddersheim ist - so schließt sich der Kreis. Nach dem zweiten Jahr in der U19 war für Yilmaz bei der Eintracht jedoch Schluss. „Es gab definitiv Berührungspunkte mit der Ersten Mannschaft, sie haben mir aber relativ früh signalisiert, dass sie mit mir nicht langfristig planen.“
Damals fehlte bei den Frankfurtern ein Unterbau in Form einer U21 oder U23 – ein Sprungbrett, das Yilmaz vielleicht gebraucht hätte. Ein Angebot eines türkischen Drittligisten, der im selben Jahr den Aufstieg in die Zweite Liga schaffen sollte, schlug er aus – heute sagt er offen: „Im Nachhinein hätte ich es mal lieber gemacht.“ Stattdessen hielt er sich beim SV Gonsenheim fit, spielte später dort fest, auch weil es an Optionen („Ich wurde nicht so gut beraten“) gefehlt habe. „Ich habe mental den Faden verloren, nicht so viel Gas gegeben und nicht auf meine Ernährung geachtet“, blickt er auf seine Zeit in Gonsenheim zurück.
Seine mentale Stärke fand Yilmaz jenseits des Atlantiks wieder. Nach knapp vier Jahren in Gonsenheim zog es ihn in die USA, wo er über eine Agentur ein Stipendium erhielt und seinen Bachelor in Betriebswirtschaft machte. Drei Jahre blieb er – zwei davon in Montana, ein weiteres in Indiana, spielte dort College-Fußball. Einen Schritt, den Yilmaz auch unmittelbar nach seinem letzten Jahr U19 bei der Eintracht hätte gehen können. „Ich war damals noch nicht reif genug und habe es auch nicht als ernsthafte Option in Erwägung gezogen, weil ich immer noch den Traum hatte, Profi zu werden“, sagt er über die Entscheidung, zunächst in Deutschland zu bleiben. In den USA lernte Yilmaz eine andere Seite des Sports kennen: „Dort habe ich eine ganz andere Haltung, nicht nur zum Fußball, sondern generell zum Sport kennengelernt. Mein schwächeres Mindset konnte ich dort schleifen.“
Im Sommer 2023 kehrte Yilmaz nach Deutschland zurück. Über den Kontakt zu Jost Mairose, Spieler des TSV Schott Mainz, schloss sich der Linksfuß dem Regionalligisten an. Im letzten Jahr in den USA verletzte sich Yilmaz am Meniskus. Zum Vorbereitungsstart bei Schott sollte Yilmaz wieder fit sein. Die Naht am Knie ging jedoch auf, sodass er ein MRT in Deutschland nachholte. Resultat: Yilmaz musste erneut operiert werden, sein „kaputter“ Meniskus wurde entfernt. Infolge verpasste er die ersten zehn Spiele. Unter Samir Horozovic, der als Trainer auf den beurlaubten Aydin Ay folgte, war Yilmaz nur Reservist. „Ich war wahrscheinlich nicht der Spielertyp, den er gewollt hat“, sagt Yilmaz rückblickend.
So folgte im Sommer 2024 ein Tapetenwechsel. Mehrere Hessenligisten wollten ihn – Türk Gücü Friedberg, Rot-Weiß Walldorf und eben der FC Eddersheim. Am Ende war es Carsten Weber, der den entscheidenden Anruf tätigte. Bevor Yilmaz in die USA ging, wollte Weber (damals noch bei Türk Gücü Friedberg) den Stürmer schon verpflichten. „Er hat gesagt: ‚Ibo, bevor du irgendetwas machst, müssen wir reden.‘ Dann haben wir uns hingesetzt und gesprochen, und es hat kein weiteres Gespräch gebraucht.“ Überhaupt pflegt Yilmaz ein enges Verhältnis zu Weber: „Seine Art und Weise zu kommunizieren, mit jüngeren Menschen umzugehen und Dynamiken innerhalb einer Mannschaft zu verstehen und dann in diese Schmerzpunkte hereinzugehen, macht er besonders gut.“
Beim FC Eddersheim erlebt Yilmaz seine bislang sportlich beste Zeit. Bereits in der vergangenen Saison traf er 22-mal, nun steht er nach nur 13 Spielen schon bei 23 Treffern, erzielte zudem bereits fünf Dreierpacks. Am vergangenen Wochenende traf er doppelt beim dramatischen 4:3 beim SV Darmstadt 98 II. Hauptberuflich arbeitet er als Account Manager in einer Softwarefirma – und spielt gemeinsam mit seinem besten Freund Dominik Wüst in der Icon League für das Team „Buzz Club“. „Eine sehr, sehr tolle Sache für Amateurfußballer“, sagt Yilmaz, der dort in acht Spielen bereits 14 Treffer erzielt hat.
In Eddersheim könne er das Gesamtpaket aus Beruf, Icon League und Hessenliga-Fußball gut vereinen. Außer ein Icon-League-Spieltag fällt auf einen Sonntag, wenn zumeist auch der FCE spielt. Beim 2:2 im September gegen Schlusslicht Hanauer FC hatte Yilmaz gefehlt, entschied sich, stattdessen lieber beim ersten Spieltag der Icon League dabei zu sein. „Es war keine Entscheidung für das eine und gegen das andere. Dennoch hatte ich die Wahl vor 150 Zuschauern in der Hessenliga oder vor 14.000 Zuschauer in einer vollen Halle in Hannover zu spielen“, erklärt er in der VRM-Amateurfußball-Show Kreisliga Royal. Zuvor habe der Verein versucht, das Spiel zu verlegen. Wie er sich am 23. November, bei dem es eine erneute Terminkollision gibt (der FCE spielt gegen Waldgirmes), entscheiden wird, sei derweil noch offen.
Der sportliche Ehrgeiz des 28-Jährigen beschränkt sich nicht nur auf den Fußballplatz, er zeigt sich auch außerhalb: Im Sommer absolvierte er einen Marathon, fuhr zudem nach Österreich für ein dreitägiges privates Trainingslager. Zwei Faktoren, die seine bestechende Form erklären können. Hinzu kommt: „Durch die Erfahrung, die ich in den vergangenen Jahren gesammelt habe, kam eine Ruhe vor dem Tor dazu, die ich früher so nie hatte.“
Dass Yilmaz´ beachtliche Quote, die er bereits im August, in dem das Transferfenster noch geöffnet hat, mit drei Dreierpacks untermauerte, nicht unentdeckt bleibt, ist klar. Auch wenn konkrete Angebote aus höheren Ligen in der vergangenen Sommer-Transferperiode ausblieben. „Es gibt immer ein kleines Kind in mir, das den Traum Fußballprofi noch nicht abgehakt hat“, sagt Yilmaz. Zugleich fühlt er sich beim FC Eddersheim wohl: „Dort passt das ganze Projekt für mich.“
Und wer weiß: Vielleicht erfüllt sich der Traum ja noch mit dem FCE selbst. Die Mannschaft gilt längst als Top-Team der Hessenliga, der Aufstieg in die Regionalliga ist angesichts von elf Punkten Vorsprung auf Platz drei kein allzu unrealistisches Szenario. „Ich glaube daran, es ist möglich. Auch wenn es rein theoretisch die Eintracht machen müsste“, sagt Yilmaz – und schmunzelt. Am 10. Dezember treffen beide Teams erstmals aufeinander. Kommendes Wochenende will "Ibo" dann gegen Gießen weiter an seiner Torausbeute schrauben.
