Vor sechs Jahren hat Fortuna Düsseldorf das neue Gebäude ihres Nachwuchsleistungszentrums am Flinger Broich eingeweiht. Von außen ein schicker, moderner Neubau, der in den Farben des Vereins gehalten ist. „Viel wichtiger ist aber, was in diesem Gebäude an Leben und an Arbeit mit den Kindern und Jugendlichen stattfindet. Der innere Kern, der das hier alles zusammenhält, der darf nicht verloren gehen“, sagt Christian Lasch. Er ist pädagogischer Leiter des NLZ und kümmert sich um den Bereich, dem Fortuna neben der sportlichen Ausbildung ihrer Talente früh einen hohen Stellenwert eingeräumt hat.
Einen Stellenwert, den Fortuna braucht, um sich von anderen Nachwuchszentren abzuheben, die womöglich mit einer Bundesliga-Mannschaft oder mit attraktiven Gehältern locken. Im Westen Deutschlands ist die Konkurrenz um die Ausbildung der jungen Sportler groß. „Es war und ist unser Aushängeschild, dass wir die Kinder auch außerhalb des Platzes unterstützen und uns um sie bemühen“, sagt Lasch. Nicht selten kommt auch ein Trainer bei der Hausaufgabenbetreuung, die das NLZ für seine Akteure anbietet, vorbei, spielt mit den Kindern eine Runde Tischtennis oder trifft wichtige Absprachen mit den Pädagogen.
Schon für die Jüngsten hat Fortuna eine vereinseigene Offene Ganztagsschule, und auch wenn sie in die weiterführenden Schulen wechseln, bieten sie für ihre Talente eine vielschichtige Betreuung bis zum Abitur an. Von Matheaufgaben, über Essen bis hin zu Bildungsangeboten, „ein Kind hat hier bei Fortuna sogar das Fahrradfahren gelernt und erzählt bis heute ganz stolz davon“, schildert der pädagogische Leiter. All das seien kleine Bausteine, die Vertrauen und Bindung fördern und am Ende vielleicht auch dazu führen, dass ein guter Spieler nicht den Verein wechselt.
Untersuchungen der DFL zeigen, dass die Kinder, die es nach ganz oben in den Profifußball schaffen, nicht die sind, die ständig den Verein wechseln. „Die kontinuierliche Aufbauarbeit und Entwicklung ist erfolgversprechend. Das steht aber leider immer mehr gegen die Tendenzen, die aus dem modernen Fußball kommen“, resümiert Lasch. „Für uns ist das aber ein riesiger Wettbewerbsvorteil. Wir wollen die besten Düsseldorfer Spieler sichten, dann hier im NLZ mit den Düsseldorfer Kindern nicht nur sportlich, sondern auch pädagogisch arbeiten und sie schulisch so fördern, dass sie später auch eine gute Perspektive in der außersportlichen Laufbahn haben.“ So bauen die Spieler eine Bindung zu Fortuna auf und gehen im besten Fall den gesamten Weg gemeinsam – von der OGS und der U9 bis zum Abitur und dem ersten Profieinsatz.
Wichtig für diese Bindung ist vor allem, Interesse an der Person hinter dem Fußballer zu zeigen und zu schauen, was jeder Einzelne braucht. „Unser Vorteil als pädagogischer Bereich ist, dass wir keine Noten geben oder die Mannschaftsaufstellung machen“, erzählt Christoph Müller, der hauptamtlicher Lehrer im NLZ ist. „Die Jungs kommen für ihr Hobby, bringen also eine gute Grundeinstellung mit. Das sind für uns schon mal zwei ganz positive Faktoren. Und dann geht es darum, jeden dort abzuholen, wo er ist.“
Alle Angebote, ob Essen, Hausaufgaben-Hilfe oder eine Runde Schach, sind flexibel auf die Jugendlichen abgestimmt. „Gut ist, dass alle unsere Lehrer, Carina Randzio, Boris Jolitz und Willibert Königs, die gleiche Art haben, mit den Kindern umzugehen“, berichtet Müller. „Also flexibel und auf die Bedürfnisse der Kinder eingehend, da gehört dann natürlich auch mal ein deutliches Wort zu. Wenn die Kinder aber wissen, dass das berechtigt ist, akzeptieren sie es auch. Dahin zu kommen, ist ein Prozess, den man auch nicht mit allen schafft. Aber jeder, der hier regelmäßig hinkommt und sich dann auch wohlfühlt, entwickelt diese Akzeptanz.“
Die pädagogische Betreuung im Fortuna-NLZ ist für keines der jungen Talente verpflichtend. „Wir haben auch Jungs dabei, die das Angebot nicht so nutzen. Wir leben schon davon, dass sie es freiwillig und von sich aus tun“, erklärt der Lehrer. „Die, die es hinterher in den Profibereich schaffen, sind die, die organisiert sind.“ In jüngster Vergangenheit sind bei Fortuna unter anderem Tim Oberdorf, Shinta Appelkamp, Jamil Siebert, Sima Suso und Karim Affo diesen Weg gegangen.
Immer häufiger grätscht jedoch das Profifußballdenken und das Buhlen um die Talente zwischen das Entwicklungskonzept der Düsseldorfer. „Wir hatten hier schon einen Spieler aus der U11, der zu einem Verein gewechselt ist, der zu diesem Zeitpunkt in der Champions League gespielt hat. Da hört es dann mit dem Realismus auf“, kritisiert Müller. Solche Versprechungen locken dennoch, egal wie gut die ganzheitliche Ausbildung bei den Rot-Weißen ist – und ungeachtet der blanken Zahlen, dass am Ende nur fünf von 200 Kindern den Sprung in den Profifußball schaffen.
Auch Lasch würde sich eine gesündere und weitblickendere Nachwuchsarbeit im deutschen Fußball wünschen: „Studien und Statistiken belegen, dass die meisten Spieler, die es in den Profibereich schaffen, nicht mehrmals im Jugendbereich unter den NLZ transferiert wurden, sondern ihren Weg bei einem Verein gemacht haben – mit allen Krisen und allen Rückschlägen, die auch dazugehören.“
Bei den Flingernern kommen rund 55 Prozent der Jugendspieler aus dem Fußballkreis Düsseldorf und ein weiterer großer Teil aus dem Umfeld: etwa Velbert, Mettmann oder Neuss. Kinder aus der eigenen Stadt zum Profi zu formen, ist ein ganz wichtiger Teil der Fortuna-DNA.
„Der Nachwuchsfußball bewegt sich momentan leider in einem Spannungsfeld zwischen kurzfristigem Erfolg und der Sorge, andere Vereine könnten sich die besseren Talente sichern, und langfristigem Erfolg, wo eine Entwicklung stattfinden darf und die Ausbildung im Mittelpunkt steht“, sagt der pädagogische Leiter. „Entwicklung und Ausbildung benötigen jedoch Zeit, und Zeit ist im Fußball ein Gut, das nicht mehr so vorhanden ist. Zum Glück definiert sich das NLZ von Fortuna immer noch als Ausbildungsverein und richtet auch seine Gesamtausrichtung darauf ab.“
Am Flinger Broich wollen sie versuchen, sich die nötige Zeit einzuräumen. Damit am Ende ein Düsseldorfer Junge als Profi in der Arena aufläuft, der im Fortuna-NLZ seinen Weg gegangen ist. Der pädagogische Bereich spielt dafür eine nicht zu unterschätzende Rolle.