2024-03-28T15:56:44.387Z

Ratgeber Medizin
Das Handy ist bei Amateurkickern der Trainingsbegleiter: Stürmer Sascha Marinkovic spult mit der App sein Trainingsprogramm ab. Die Zusatzeinheiten haben die Schwerpunkte Kraft, Beweglichkeit und Ausdauer. 
Das Handy ist bei Amateurkickern der Trainingsbegleiter: Stürmer Sascha Marinkovic spult mit der App sein Trainingsprogramm ab. Die Zusatzeinheiten haben die Schwerpunkte Kraft, Beweglichkeit und Ausdauer.  – Foto: Privat

Wie das Training mit Apps und Videoanalysen den Amateurfußball verändert

Spiele die beste Saison deines Lebens 

Lange Zeit standen Top-Trainer, Videoanalysen, Trainings und Ernährungspläne nur Profis zur Verfügung. Doch Dank der Digitalisierung ist Fußball-Fachwissen allgegenwärtig. Ein Amateur kann trainieren wie ein Profi. Selbst in der Kreisklasse.

Es gab im Amateurfußball schon immer Spieler wie Mijo Stijepic. Den Messi der Amateurligen! Diesen Spitznamen verpasste ihm Amateurbomber Orhan Akkurt und liefert die Begründung gleich mit: „Ich habe im Amateurfußball bisher keinen vergleichbaren Spieler gesehen. Er hat einfach alles. Mijo ist in puncto Fitness kein normaler Mensch. Ich erhalte von ihm Screenshots von Laufstrecken, die ich mit dem Fahrrad nicht in dieser Zeit hinbekommen würde.“

Stijepic trainiert heute den FC Ismaning. Noch vor zwei Jahren spielte er in der Bayernliga. Dem Stürmer musste kein Trainer sagen, was er neben den Trainingseinheiten für seinen Körper tun muss. Stijepic handelte immer aus eigenem Antrieb. Als Lagerist muss er jeden Tag um fünf Uhr aus dem Bett. Trotz Job spult der inzwischen 41-Jährige ein Trainingsprogramm ab, als hätte er die Knappenschmiede seines Heimatvereins Schalke 04 nie verlassen.

Den Input für zusätzliche Trainingsschichten mussten sich Amateurkicker lange Zeit aus Büchern zusammen sammeln. Der Antrieb, in Sachen Kraft, Kondition und Koordination eine Schippe draufzulegen, musste von jedem Spieler selbst kommen. Spätestens mit dem ersten Kasten Bier in der Kabine waren viele Vorsätze wieder dahin.

Florian Rädler hat die härteste Vorbereitung seines Lebens hinter sich. Gegen Landshut traf er doppelt.
Florian Rädler hat die härteste Vorbereitung seines Lebens hinter sich. Gegen Landshut traf er doppelt. – Foto: Schmöller


Trainingsprogramme wie im Profifußball

Inzwischen ist es für Amateurkicker so leicht wie nie, sich ein Trainingsprogramm unter Profibedingungen zusammenzustellen. Der Digitalisierung sei Dank. Die Laufleistung im Training und Spiel kann gemessen werden. Per Heatmap kann der Spieler auf seinem Handy sehen, wo er auf dem Feld unterwegs war. Und ob er ein paar Kilometer mehr als der Nebenmann abgespult hat. Gegen den Schweinehund und die falsche Ernährung hilft eine App. Das Handy ersetzt den Feldwebel: Es sagt dem Kicker, wann und wie viel er zu trainieren hat und welches Essen auf den Tisch kommt. Wer neben der Arbeit, dem Training und der Familie noch Zeit hat, zieht sich seine eigenen Spiele im Re-Live-Stream rein. Jedes Spiel bis zur Bezirksliga wird inzwischen live gestreamt.

Wer glaubt, dass es den Amateurkickern von der Kreisklasse aufwärts nur um den Kasten Bier nach dem Training geht, irrt gewaltig. Über 100 000 Kicker haben seit Juni 2019 die Fußball-Fitness-App B42 heruntergeladen. Das Versprechen der Online-Workouts lautet: Spiel die beste Saison deines Lebens.

Fabian Rädler vom Kirchheimer SC hat das Zwölf-Wochen-Workout durchgezogen. Angetrieben von dem Ziel, endlich eine Saison verletzungsfrei durchspielen zu können. Bereits zwei Mal fiel der 24-Jährige mit einer Schambeinentzündung ein Jahr aus. Rädler wollte nicht mehr zuschauen. Er wollte Spiele entscheiden. Beim 2:1-Sieg gegen die SpVgg Landshut erzielte er am vergangenen Wochenende einen Doppelpack. „Ich habe die härteste Vorbereitung meiner Karriere hinter mir. Es ist ein geiles Gefühl, wenn du neben dem Platz viel investierst und es auf dem Platz zurückgezahlt bekommst“, kommentiert Rädler den Sieg.

Gründer Andreas Gschaider: „Ich habe selbst erlebt, wie wichtig eine gute Reha nach einer schweren Verletzung ist.“

Bereits nach wenigen Wochen Workout hatte der 24-Jährige die ersten Erfolgserlebnisse. „Für einen Kilometer habe ich beim Laufen über fünf Minuten gebraucht. Jetzt bin ich eine Minute schneller“, sagt Rädler. Auch die Ernährung hat er umgestellt und sich an die Tipps der App gehalten. „Ich habe mir früher Schokopudding zum Frühstück reingezogen. Ich hätte keine App gebraucht, um zu wissen, dass das Gift für einen Sportler ist“, lacht der „Red Devil“, wie ihn seine Mitspieler in Kirchheim nennen.

Rädler ist einer von 100 000 Kickern in Deutschland, der den Traum von Andreas Gschaider lebt. Er ist einer der Gründer von B42. Ihm ging es nie um Begriffe wie Selbstoptimierung. Sein Ziel: Jeder Amateurkicker sollte nach einer Verletzung die bestmögliche Versorgung erhalten. Und vor allem verletzungsfrei bleiben. Gerade im Amateurbereich kehren Spieler nach einer schweren Verletzung viel zu früh ins Mannschaftstraining zurück. Die zeitliche Belastung aufgrund der Arbeit oder des Studiums lässt eine optimale Physiotherapie oft nicht zu. Diese wäre jedoch dringend nötig, um den Spieler auf die Intensität und die Bewegungsabläufe beim Kicken vorzubereiten.

„Ich habe selbst erlebt, wie wichtig eine gute Reha nach einer schweren Verletzung ist. Ich habe mir gedacht: Diese Möglichkeit muss jeder Amateurkicker bekommen“, sagt Andreas Gschaider. Am Anfang bietet er mit seinem Partner PDFs an.

Andreas Gschaider hat eine Fitness-App für Amateurkicker entwickelt. Sein Ziel ist die Verletzungsprophylaxe.
Andreas Gschaider hat eine Fitness-App für Amateurkicker entwickelt. Sein Ziel ist die Verletzungsprophylaxe. – Foto: Privat

Heute heißen die Einheiten in seiner App „Cristiano“ oder „Zlatan“. Erstellt haben die Workouts Fachleute aus dem Profisport. Sie sollen Antrieb für Amateurkicker sein, die dauerhaft mit Verletzungen kämpfen müssen und zum Zuschauen verdammt sind. „Sobald der Kicker nach kurzer Zeit Fortschritte erkennt, bleibt er am Ball“, betont Gschaider. Ein positiver Nebeneffekt beim Verletzungsprophylaxe-Training: Die Leistungen auf dem Platz werden spürbar besser. Und der Bauchansatz verschwinden. Stolz posieren Amateurkicker vor dem Spiegel und posten ihre Oberkörperfrei-Selfies in den sozialen Netzwerken. „Unser Ziel ist es nicht, Dutzende Amateur-Goretzkas zu produzieren“, lacht Andi Gschaider. Für ihn ist jedes dieser Bilder eine eigene Erfolgsstory. Selbst ein 60-Jähriger hat sich zuletzt mit der App auf den Restart vorbereitet – im Herrenbereich. Nicht in der AH. „Wer richtig trainiert, muss seine Karriere nicht mit Anfang 30 beenden. Die Spieler belohnen sich mit dem Training. Sie erkennen ihr Potenzial und setzen sich mit der Frage auseinander: Wie gut kann ich wirklich spielen?“, sagt Gschaider.

Anselm Küchle vom Internationalen Fußball Institut: „Die Digitalisierung ist ein Segen für Amateure.“

Auch Anselm Küchle kennt das Verlangen nach Fußball-Fachwissen. Der Leiter für die Aus- und Weiterbildung beim Internationalen Fußball Institut hatte in den Online-Seminaren während der Corona-Zeit über 600 Teilnehmer. Beim Kurs „Spielanalyst“ traf der Sportdirektor eines Zweitligisten auf den Kreisklasse-Trainer. „Die Digitalisierung ist ein Segen für Amateure. Sie können von zu Hause aus an Kursen mit Sandro Schwarz oder Christian Ilzner teilnehmen. Wir sprechen über Fragestellungen, die den Profi genauso beschäftigen, wie den Amateur“, betont Küchle. Den Hunger aus dem Amateurbereich nach Profi-Know-How kann Küchle am besten am Beispiel der Video-Analyse erklären. Inzwischen zeichnen in Bayern tausende Kameras die Spiele auf. Vor Jahren wäre das undenkbar gewesen. „Jeder will Erfolg. Die meisten Menschen können nicht verlieren. Wir zeigen den Trainern, wie sie Video-Bilder einsetzen können, um die Spieler besser zu machen. Darauf fährt jeder ab. Profis und Amateure.“

Text: Christoph Seidl

Aufrufe: 028.10.2020, 10:30 Uhr
Christoph Seidl - Münchner MerkurAutor