2024-05-08T14:46:11.570Z

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Interview der Woche mit Tobias Neumann, Trainer der Freien Turnerschaft Wiesbaden.
Interview der Woche mit Tobias Neumann, Trainer der Freien Turnerschaft Wiesbaden. – Foto: Mustafa Aslan/stock.adobe

"War Teil einer Scheinwelt"

Nachspielzeit mit Tobias Neumann +++ Der Trainer der Freien Turner über seine Vertragsverlägerung und wie die FTW den Nachwuchs langfristig in den Aktivenbereich integrieren will

Wiesbaden. Mit fünf Jahren begann Tobias Neumann seine fußballerische Laufbahn bei der Freien Turnerschaft Wiesbaden. Nur wenige hundert Meter von der Lahnstraße aufgewachsen, fand er schnell gefallen am Torwartspiel und zeigte schon früh sein Talent. Dieses erkannten dann auch der SV Wehen Wiesbaden und Mainz 05 für die er in der Jugend aktiv war. Später konzentrierte sich Neumann bewusst auf die Schule und kehrte dem möglichen Profidasein den Rücken. Im Aktivenbereich lief er dann noch unter anderem für die Freien, den SV Gonsenheim und Kohlheck auf, bevor er seine aktive Spielerlaufbahn aufgrund von Verletzungen beenden musste. Anschließend wechselte er vom Feld an die Seitenlinie, trainierte zunächst den SC Kohlheck und coacht momentan im dritten Jahr seinen Heimatverein, die FTW. Auch im nächsten Jahr wird der 32 Jährige den Freien erhalten bleiben, denn wie kürzlich bekannt gegeben wurde, hat Neumann seinen Vertrag um eine Saison verlängert. Im Interview spricht Tobias Neumann über die Bedingungen für seine Vertragsverlängerung, wieso so wenig talentierte Nachwuchsspieler bei der FTW den Sprung zu den Aktiven schaffen und was es mit der frühen Anstoßzeit der Freien auf sich hat.

FuPa: Hallo Tobias, du hast kürzlich für ein Jahr bei den Freien Turner verlängert, und dass, obwohl du wohl ein reizvolles Angebot vorliegen hattest. Stimmt das?

Tobias Neumann: „Ja genau, ich habe jetzt für ein Jahr hier verlängert, was relativ untypisch ist, da der Verein normalerweise immer über zwei Jahre hinweg plant. Der Grund, weshalb es nur ein Jahr geworden ist, ist, dass ich auch abseits des Spielgeschehens eine Entwicklung im Verein sehen will, speziell was das Thema Aktivenarbeit angeht. Wir haben uns in den letzten Jahren fußballerisch kontinuierlich verbessert, uns von einem A-Ligisten zu einem Kreisoberligisten entwickelt, der mit dem Abstieg nichts zu tun hat. In meinem ersten Jahr hier standen wir außerdem meistens nur mit 15 Mann auf dem Platz, jetzt sind es knapp 35 pro Einheit, weshalb wir die Zweite Mannschaft ins Leben gerufen haben, die in der B-Liga oben anklopft. Das alles ist ein solides Fundament, auf dem man in den nächsten Jahren aufbauen kann, jetzt liegt es aber im nächsten Jahr am Vorstand zu zeigen, dass ihnen etwas daran gelegen ist, den Support rund um die Aktiven zu verbessern.“

FuPa: Was hat dich zum Bleiben bewogen?

Tobias Neumann: „Ich selbst bin auch rumgekommen in den Ligen, war Teil einer Scheinwelt, in der ich das Gefühl hatte, dass sich jeder für Geld verkauft. Als ich dann hier angekommen bin, habe ich eine Mannschaft vorgefunden, die ehrlich arbeitet, wissbegierig ist und rein der Freundschaft und Verbundenheit zueinander Fußball spielt. Sieg-, Auflauf- und Torprämie interessiert in der Truppe niemanden, nicht ein Gespräch musste ich in dieser Hinsicht führen. Das hat mich total geerdet. Außerdem habe ich mit dem Team von Saison zu Saison eine Entwicklung als Trainer mitgemacht, die B-Lizenz erworben und gelernt, alles rund um Training und Spielbetrieb selbst zu managen. Dadurch und weil ich hier angefangen habe Fußball zu spielen identifiziere ich mich auch so sehr mit dem Verein. Zu guter Letzt haben uns die drei Jahre natürlich auch zusammengeschweißt und die Jungs liegen mir echt am Herzen. All diese Gründe haben mich zum Bleiben bewogen.“

FuPa: Welche Ambitionen verfolgst du mit der Mannschaft in der Zukunft?

Tobias Neumann: „Man muss immer erstmal gucken, wo man herkommt und mit welchen Mitteln man selbst arbeiten kann. Ich denke da sind auch im nächsten Jahr wieder einige Teams dabei, die deutlich mehr investieren und dadurch auch mehr erwarten als wir. Deswegen ist es unser Ziel, wie wir es auch in dieser Saison geschafft haben, eine solide Kreisoberligamannschaft hinzubekommen, die nichts mit dem Abstieg zu tun hat. Es sollte unsere Ambition sein immer einen einstelligen Tabellenplatz zu erreichen, unsere Hausaufgaben zu machen und alles, was nach oben geht nehmen wir dann gerne mit.“

FuPa: Stichwort Nachwuchs. Ihr seid in der Jugend breit aufgestellt, habt in jedem Jahrgang mindestens zwei Teams gemeldet und bildet eine Menge junger Spieler aus. Beim Sprung in den Aktivenbereich verliert ihr aber immer wieder vielversprechende Talente, ein aktuelles Beispiel hierfür ist Joel Sintieu Tintchieu, der sich zur kommenden Saison Germania Okriftel anschließen wird. Wie gehst du damit um?

Tobias Neumann: „Erstmal zu Jay-Jay: Wir verlieren mit ihm unseren besten Torschützen und einen super Kicker. Andere junge Spieler sprechen schon in der A-Jugend von Gruppen- oder Verbandsliga und bringen sich selbst bei Vereinen ins Gespräch. Jay-Jay hingegen hat über drei Jahre starke Leistungen in der Kreisoberliga gebracht, die Bühne, die wir ihm geboten haben, optimal genutzt und sich einen Namen in der Region gemacht. Er hat in dieser Zeit keinerlei Ansprüche gestellt, wortwörtlich die Klappe gehalten und keine Extrawürste erwartet. Durch seine harte Arbeit und sein tadelloses Verhalten ist er ein Paradebeispiel dafür, wie sich junge Spieler ein solches Angebot erarbeiten sollten. Ich kann Okriftel daher nur zu dem Neuzugang beglückwünschen, weil sie nicht nur einen super Spieler, sondern auch einen tollen Menschen bekommen haben und auch ihm persönlich wünsche ich nur das Beste. Generell verstehe ich nicht, weshalb junge Spieler für wenige Euro ihr gewohntes Umfeld verlassen und dann auch noch teilweise in die B-Klasse wechseln, weil sie dort mehr Geld geboten bekommen. Nutz doch die Bühne Kreisoberliga, in einem soliden Team, die wir bieten und erarbeite dir wie Jay-Jay eine eigene Vita. Danach kannst du immer noch wechseln und hast dir die Angebote auch verdient.“

FuPa: Was könntet ihr machen, um solche Abgänge in der Zukunft zu verhindern? Wo siehst du noch Verbesserungsbedarf?

Tobias Neumann: „Wir versuchen wieder ein „Wir-Gefühl“ im Verein zu erzeugen, indem wir wie beispielsweise neulich beim Pokalfinale der A-Jugend mit 20 Mann nach Kohlheck fahren und Stimmung machen. Auch habe ich mir fast alle Partien der A-Jugend angeschaut, die Jungs dürfen immer wieder bei uns mittrainieren und auch in Freundschaftsspielen sowie Liga-Partien Einsätze sammeln. So wollen wir sie so früh wie möglich in den Aktivenbereich integrieren. Deshalb und weil das Zusammenspiel mit Volker Schrauth, dem Trainer der A-Jugend, super funktioniert, habe ich dieses Jahr ein gutes Gefühl, dass wir es schaffen viele Spieler zu halten. Unsere Aufgabe damit das klappt ist aber auch, dass wir Platz schaffen und keine externen Neuzugänge holen, um dem Nachwuchs eine Bühne zu bieten. Ansonsten haben wir das Problem, dass die Freien Turner für eine gute Jugendarbeit stehen, aber der Aktivenbereich ist tot. In meinen drei Jahren hier haben wir gerade einmal vier Jugendspieler hochbekommen, von mindestens 20, die es sein hätten müssen. Ich habe zwar mit Mustafa Aslan einen tatkräftigen Helfer, aber insgesamt ist jeder B-Ligist breiter und besser aufgestellt als wir, was das Drumherum angeht. Deswegen habe ich mir auch vor meiner Verlängerung überlegt, ob ich noch die Kraft habe das alles zu bewerkstelligen.“

FuPa: Die nächste Frage bezieht sich auf eure Anstoßzeiten. Ihr seid einer der wenigen Wiesbadener Vereine, deren Platz nicht der Stadt gehört, sondern dem Verein selbst. Ihr könnt euch also aussuchen, wann ihr spielt. Wieso fangt ihr immer um elf Uhr morgens an, versprecht ihr euch etwas davon und gibt es Pläne das in der Zukunft auch mal zu ändern?

Tobias Neumann: „(lacht) Das Thema stellt sich jedes Jahr und war auch das erste, auf das ich angesprochen wurde, als ich damals das Team übernommen habe. Ich bin ganz fanatisch, was diese Anstoßzeit angeht, da ich ja selbst Vater von bald zwei Kindern bin. Für mich ist der Sonntag ein Familientag, weswegen ich es super finde, wenn wir um elf Uhr morgens anfangen und um eine Uhr fertig sind, weil man dadurch danach noch was vom Tag hat. Normalerweise grillen wir dann am Sportplatz, sitzen zusammen mit 10-15 Spielern und Familien auf der Terrasse und gucken bei der Zweiten zu. Natürlich murrt aber auch der ein oder andere Spieler, wenn er um 9:45 zum Treffpunkt kommen muss (lacht). Ein weiterer Vorteil dadurch ist, dass man sich so auch mal Spiele von Ligakonkurrenten angucken kann. Auch was die Zuschauerzahlen angeht macht es keinen Unterschied, wann wir anfangen, die Resonanz ist leider unabhängig von Uhrzeiten und Tabellenplatz eher mau. Aber auch daran arbeiten wir momentan.“

FuPa: Kommen wir zum Schluss nochmal zur aktuellen Saison. Ihr befindet euch im gesicherten Tabellenmittelfeld, habt weder mit dem Abstieg noch mit dem Aufstieg etwas zu tun. Wie fällt dein Fazit zur Saison aus? Wie zufrieden bist du?

Tobias Neumann: „Wir haben eine super Hinserie gespielt, haben die Topmannschaften der Liga an den Rand einer Niederlage gebracht, unter anderem Sonnenberg zuhause einen Punkt abgeluchst und gegen Erbenheim bis zur 88. Minute mit 2:1 geführt. Wir kamen aus dem Nichts, dass wir diese Leistungen speziell zum Start der Rückrunde nicht bestätigen konnten, hat mich nicht wirklich überrascht, weil du nach einer solchen Hinserie auf einmal viel mehr von dir erwartest. Dass du dem mit so einer jungen Truppe nicht ganz gerecht werden kannst, ist normal. Trotz dieser Niederlageserie haben wir jedoch nichts mit dem Abstieg zu tun, was für mich als Erfolg zu verbuchen ist.“

Aufrufe: 012.5.2022, 10:00 Uhr
Tim StammAutor