2024-05-24T11:28:31.627Z

Spielbericht

Die Hertha Fahne macht Quatsch

Hertha BSC – 1.FC Kaiserslautern 3:1

33.Spieltag 2. Bundesliga Saison 2023/2024

Samstag, 11.05.2024 13:00 Uhr

Olympiastadion Berlin

67.144 Zuschauer

Mein lieber Sohn,

auch wenn ich immer wieder betone, dass du deinen eigenen Weg suchen, finden und bestreiten sollst, so habe ich doch natürlich immer von diesem Moment geträumt:

Mit dir an der Hand den Weg zum Stadion zu laufen. Zu sehen, wie du staunend die blau-weißen Massen bewunderst, zu spüren, wie dieser Virus sich in dein Herz einnistet, so wie es bei mir einst war. (Danke, Mama)

Dir deinen ersten Schal zu kaufen, die erste Stadionbratwurst mit dir zu teilen, dich in die Arme der Hertha zu treiben und dich so in ein Leben voller Enttäuschungen, Verzweiflung, Trauer und Frust zu schicken.

Aber dieses Leben kann auch Vorteile haben. Man lernt auch in schweren Zeiten, treu zu sein, man festigt seinen Charakter und na ja, man darf halt immer mit der schönsten Fahne der Welt durchs Leben gehen.

Heute habe ich dich also zum ersten Mal ins Stadion mitgenommen. Ein paar Spiele in unteren Ligen hast du ja schon erlebt. Aber das erste Stadionerlebnis ist ja für die meisten Fußballfans prägend.

Da du erst vier Jahre alt bist und im Laufe der Zeit bestimmt einiges von deinem ersten Mal vergessen wirst, schreibe ich dir diesen Bericht, damit du immer eine Erinnerungsstütze parat hast.

Ich hatte den 11.05. und damit den 33. Spieltag als unser Spiel rausgesucht. Es schien mir, durch die sportliche Irrelevanz, recht passend. Die Saison ist für Hertha BSC gelaufen und trotzdem zieht das letzte Heimspiel der Saison eigentlich immer die Massen an. Eine perfekte Kulisse, um dich mit dem Hertha-Virus zu infizieren. Wir machten uns am Vormittag des Spieltages pünktlich auf den Weg und erreichten mit Bus und U-Bahn das Olympiastadion. Ich kann gar nicht sagen, ob du den imposanten Bau so bewusst erlebt hast, wie ich es bei meinem ersten Mal tat. Aber ich war damals auch schon viel älter und visualisierte, beim Einbiegen auf den Olympischen Platz, dieses riesige Stadion. Das Schild, welches den Weg zur U-Bahn weist, hattest du auf jeden Fall registriert und toll gefunden. Auch die Polizisten, die dort standen, fandest du interessant und freutest dich, dass man hier auf der Straße laufen konnte. Allerdings nur wenige Meter. Dann war dir das etwas suspekt, und du wolltest auf den Arm und wieder auf den Gehweg.

So erreichten wir auch den Einlass, den du fast schon routiniert meisterst.

Nächster Stopp: Fanshop. Der war, kurz nach Stadionöffnung, schon völlig überlaufen, da es die neue 90er-Kollektion zu kaufen gab. Eigentlich stark, denn so erlebten wir beide unser erstes Hertha-Spiel mit derselben Kleidung um uns herum. Ich wollte dir dann einen Kids-Schal mit Herthinho drauf andrehen. Du sahst mich entgeistert an: “Nein, Papa - da muss die Hertha-Fahne drauf sein.” Ich hätte kaum stolzer auf dich sein können. Wir kauften den Schal trotzdem, denn auf der anderen Seite war ja die Fahne anstelle des Bären.

Jetzt war es an der Zeit für ein kleines Mittagessen. Am Imbiss trafen wir auf Nancy, Alex und Hannah, mit denen Papi schon diverse Abenteuer beim Hertha-Spielen erlebt hatte. Zusammen saßen wir noch auf einer Bierzeltgarnitur und unterhielten uns, ehe du mit deinem Wasser den Tisch überschwemmtest. Dir war aber keiner böse, da es offensichtlich ein Versehen war und nichts Wichtiges getränkt wurde. Eine Wurst wolltest du nicht essen. Stattdessen hast du ein bisschen an einer Schrippe gemümmelt. Vermutlich hattest du genug damit zu tun, die ganzen Eindrücke zu verdauen. Zum Nachtisch gab es ein Eis für dich, und damit bezogen wir unsere Plätze.

Die Hymne gefiel dir, nach deinem Grinsen zu urteilen, ganz gut. Und dann schliefst du tief und fest ein. Du warst so tief weg, dass du weder die beiden Tore der Hertha – Fluppe (19.) und Dudziak (45.) - noch den zwischenzeitlichen Ausgleich der Pfälzer mitbekamst.

Auch, dass beide Kurven einen durchschnittlichen Auftritt hinlegten, entging dir so.

Wohl wissend, dass du nach dem Aufwachen etwas knatschig sein würdest, machte ich mich kurz vor dem Pausenpfiff mit dir auf den Weg zum Süßigkeitenstand.

Ganz klassisch konnte man dort verschiedene Gummi-Leckereien in eine Tüte packen und nach Gewicht bezahlen. Leider übersah ich den Stand, der direkt vor unserem Block war, und schleppte dich einmal ums halbe Stadion zum nächsten.

Dort kamen deine Lebensgeister zurück, und fröhlich kippten wir Leckerei um Leckerei in unsere Tüte, bis wir, besser gesagt, ich, um 29€ ärmer waren.

Eigentlich wolltest du deine Gummibärchen zu Hause essen, aber Papi leistete ein bisschen Überzeugungsarbeit, und kurz nach dem Wiederanpfiff saßen wir wieder auf unseren Plätzen und gönnten uns je zwei Cola-Flaschen…nicht der Mama sagen!

Jetzt warst du auch für die Stimmung zugänglicher, und das Wedeln mit dem Schal gefiel dir besonders gut.

Als Reese nach 67 Minuten das 3:1 erzielte, schienst du dich auch zu freuen.

Kurz vor dem Ende der Partie verließen wir das Stadion. Das hatte ich jahrelang verachtet. Aber als Papa verändert sich die Sicht auf viele Dinge…

Kurz bevor wir den Ausgang erreichten, kamen wir noch einmal an einem Fan-Shop-Mobil vorbei. Dort hing eine Hertha-Fahne an einem Stab, die du gerne haben wolltest. Wie hätte ich da nein sagen können? Ich weiß doch, was für Glücksgefühle diese Fahne auslösen kann. Quitschvergnügt ranntest du mit deiner neuen Fahne über den Olympischen Platz, und als sich etwas Wind in der Fahne fing, grinstest du mich an: “Schau mal, Papa, die Hertha-Fahne macht Quatsch.”

Tja, Sohnemann. Was soll ich dir sagen? Wenn du diesen Weg wählst, werdet ihr, du und die Hertha-Fahne, noch viel Quatsch erleben. Ich wäre auf jeden Fall bereit, dich überall dahin zu bringen, wo die Hertha spielt, und ihre Fahne weht.

Ha Ho He

dein Papi

Aufrufe: 011.5.2024, 21:30 Uhr
Jörn KutschmannAutor