Als es endlich vorbei ist, schnappt sich Daniel Weber seine Krücken und humpelt die paar Meter hinüber in die Sonnenstrahlen. Für ein Vorbereitungsspiel hatte sich der 28-Jährige vor wenigen Wochen ins Tor gestellt. Sie haben drei Torhüter, aber an diesem Tag war keiner gekommen. Es lief ganz gut, dann ist Weber weggerutscht — Außenmeniskusriss, Operation, jetzt die Krücken. Weber humpelt dorthin, wo sich seine Spieler gerade enttäuscht auf dem Rasen niedergelassen haben. Auch sein Bruder Andreas sitzt verschwitzt dort und starrt ins Nichts. Er hatte als letzter Mann so etwas wie eine Schlüsselrolle in diesem Spiel, DJK Falke II gegen VfR Moorenbrunn war auch ein Kampf der Spielsysteme: moderne Viererkette gegen klassischen Libero. Die Viererkette hat gewonnen, 4:0.
Einer zieht jetzt seine schmutzigen Schuhe aus, ein anderer reißt einen Streifen Klebeband vom Stutzen — ansonsten ist es mucksmäuschenstill. Bis Daniel Weber das Wort ergreift. „Jungs“, sagt er in einer Mischung aus Mitleid und Empörung, „so geht das nicht weiter. Die lachen uns alle aus!“ Gelacht haben tatsächlich ein paar über einen Tag, an dem so ziemlich alles schiefläuft, was schieflaufen kann beim VfR Moorenbrunn. Raunen, als ein Torschuss über den Fangzaun die Dachziegel eines angrenzenden Wohnhauses gefährlich wackeln lässt, Gekicher, als ein Befreiungsschlag in den Garagenhof krachte, Gelächter, als dem Linienrichter aus Versehen die Fahne aus der Hand geschossen wird. „So“, weiß Daniel Weber, „kann man hier nicht auftreten.“ Hier, das ist die A-Klasse 6. Hier zählt nur der Zweikampf, Mann gegen Mann, neunzig Minuten lang. So wie kurz vor dem Abpfiff, als der talentierte Stürmer mit dem übermotivierten Torhüter zusammenkracht. Ein Geräusch wie mit dem Fleischklopfer, kurze Rudelbildung, dann ein Klaps aufs Hinterteil — alles wieder gut. Die A-Klasse ist so, wie man sich gern den schottischen Fußball ausmalt: hart, manchmal roh, dafür immer ehrlich. Für spielerische Raffinessen und taktische Kniffe ist kein Platz, das weiß jeder. Nur Moorenbrunn versteht das irgendwie noch nicht.
Schon in der Pause, als Weber mit seinen Krücken die Stufen zur winzigen Kabine hinuntergehumpelt war, hatte er seine Spieler deshalb zusammengeräumt. „Hört auf euch anzumeckern, haltet endlich dagegen“, rief er in die Runde. Gebracht hat es wenig.
„Die Jungs können es ja eigentlich“, versichert Andreas Weber, der Bruder des Trainers. Er trägt die Nummer 23, „mein Hochzeitsdatum ist der zweite März“, erklärt er und dass die Spieler im Training immer groß aufspielen. „Vor den Gegnern“, sagt er, „haben sie im Spiel dann aber immer Angst.“ Richtig dagegengehalten hat deshalb nur er, er hat ja auch schon höherklassig gespielt, in der Kornburger Kreisliga-Reserve. Dort, wo sonst der Nachname auf dem Trikot steht, kann man bei Andreas Weber zudem „Lunge“ lesen — „weil ich laufen kann bis ich kotz’ und dann noch weiter“. So viel er aber auch lief — Falke war immer schon da. Ein wenig Konzentration im Abschluss und es wäre mehr als ein 0:4 geworden. Als die Nummer zehn, „einer von der Ersten“, wie es heißt, die nächste Hundertprozentige vergeigt, gibt es Hohn von der Tribüne: „Du wärst einer für den Club.“ „Ihr habt eine gute, junge Mannschaft“, lobt der Heimtrainer trotzdem auf dem Weg zur Kabine. „Aber hinten, Andi, da seid ihr offen wie ein Scheunentor.“ Das wollen sie jetzt ändern, die Viererkette einführen, es geht ja längst um nichts mehr.
Seit fünf Spieltagen hat Moorenbrunn nicht mehr gewonnen. Zwölf Punkte aus fünfzehn Spielen reichen für Platz zehn, das ist das Niemandsland. Vorne mitspielen, sagen die Webers, das wäre was. So wie damals, als Daniel zur Bezirksliga- Aufstiegsmannschaft des TSV Kornburg gehörte. Er war der Joker, weil er nach seinen Einwechslungen immer gut war für ein Tor. Deshalb hat er sich das jetzt auch so auf sein Trikot drucken lassen. In der BOL saß der Joker dann aber nur noch auf der Bank. Weber ging.
Seit zwei Jahren, als die Moorenbrunner Verantwortlichen ihn und seinen Bruder von Spielern zu Spielertrainern machten, spielen sie A-Klasse. Zerstritten war die Mannschaft damals, „wir mussten aussortieren“, sagt Daniel Weber. Er hat die A-Jugend dann hochgezogen, im Grunde sind sie jetzt die erste Mannschaft. Seitdem ist die Stimmung gut, zwanzig Mann kommen immer ins Training, manchmal gehen sie gemeinsam Bowling spielen oder feiern. „Meiner Frau habe ich vor der Hochzeit gesagt, dass sie das akzeptieren muss“, sagt Andreas Weber. Sein Freundeskreis wusste das mit der Leidenschaft zum Fußball schon — „das sind ja diese Jungs.“
Wenn sie nicht gerade wieder verloren haben, sagen die Brüder, macht es riesig Spaß. Ihre Trainer, sagen die Spieler, sind schwer in Ordnung, man könne mit allen Problemen zu ihnen kommen. Deshalb tun sie ja auch immer so weh, diese Niederlagen.