2024-04-29T14:34:45.518Z

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Toni Kroos, Matthias Haas und Sascha Bigalke waren alle Teil des U17-WM-Kaders. Foto: mis, Leifer
Toni Kroos, Matthias Haas und Sascha Bigalke waren alle Teil des U17-WM-Kaders. Foto: mis, Leifer

Wasserburg, Real: Das wurde aus den Helden der U-17 WM

Zehn Jahre später

Matthias Haas trägt Krawatte und dunklen Business-Anzug, er kommt von der Arbeit. Und die ist weit weg von den großen Arenen, von denen er geträumt hat.

Damals, vor zehn Jahren. Die Fußballwelt schien ihm offen zu stehen, er gehörte dem 20- Mann-Kader an, der Deutschland bei der U17-WM 2007 in Südkorea auf den dritten Rang gebracht hat. Er spielte neben einem Toni Kroos, einem Kevin Trapp, einem Sebastian Rudy, einem Tony Jantschke, einem Alex Esswein, alles heute gestandene Profis, Superstars oder zumindest Topverdiener in der Bundesliga. Haas bestreitet seinen Lebensunterhalt als Bankkaufmann, spielt nebenbei auch noch Fußball, gerade ist er mit dem TSV Wasserburg aus der Kreis- in die Bezirksliga aufgestiegen. Schön, aber welch eine Kluft zu Toni Kroos, der mit Real Madrid zum zweiten Mal in Folge die Champions League gewonnen hat. Und viele Millionen verdient.

Toni Kroos stellte alle in den Schatten

Toni Kroos, das war abzusehen, würde seinen Weg gehen. „Ein Superfußballer, schon damals“, sagt Haas. „Ein außergewöhnliches Talent“ nannte ihn Heiko Herrlich, aktuell Trainer bei Bayer Leverkusen, der in Südkorea die deutsche Mannschaft coachte. Kroos erzielte fünf Tore, bereitete vier vor, wurde hinterher mit dem „Goldenen Ball“ als bester Spieler des Turniers ausgezeichnet. Und stellte alle anderen in den Schatten. Vielleicht war es Sascha Bigalke, der ihm noch am nächsten kam. Doch die ganz große Karriere blieb auch dem damaligen Berliner versagt.

Bigalke spielt heute in Unterhaching. Und das hat viel mit der U17-WM von 2007 zu tun. Bei Hertha BSC kam er nach drei Mittelfußbrüchen nicht so zum Zuge, „was ich brauchte, waren Spiele, Spiele, Spiele“. Also folgte er dem Ruf von Heiko Herrlich, nach seiner DFB-Zeit Hachings Trainer, in die dritte Liga, versuchte sich noch in Liga zwei beim 1. FC Köln, um dann doch, nach weiteren schweren Verletzungen, zur SpVgg zurückzukehren.

Bigalke ist nicht unzufrieden, auch wenn sein Talent mehr versprochen hatte, viel mehr. Hätte er es nicht ähnlich weit bringen können wie Kroos, wäre nicht die Bundesliga das Mindeste gewesen, wenn nur der Körper mitgespielt hätte? „Der Toni“, urteilt Bigalke nüchtern, „ist schon eine andere Kategorie, es wäre vermessen, mich mit ihm zu vergleichen.“ Ein bisschen traurig, gibt er zu, mache es ihn aber schon, wenn er darüber nachdenkt, was hätte werden können.

Toni Kroos war 2007 einer von vier Spielern des FC Bayern, die Herrlich nach Südkorea mitgenommen hat. Die U 17 der Münchner war schließlich gerade Deutscher Meister geworden. Dank starker Leistungen in der Endrunde war Matthias Haas im letzten Moment noch auf dem WM-Zug gesprungen, Mehmet Ekici und Mario Erb gehörten schon zuvor zumindest zum erweiterten DFB-Kader. Erb wurde in Südkorea als Innenverteidiger zum Stammspieler, Ekici kam, wie Haas, zu einem Einsatz.

Mehmet Ekici, in München geborener Deutscher türkischer Abstammung, war später unter Louis van Gaal schon nahe dran am Profikader der Bayern, wurde dann nach Nürnberg ausgeliehen, später an Werder Bremen verkauft. In diesem Sommer wechselte er, inzwischen zwölffacher türkischer A-Nationalspieler, in der Süper Lig von Trabzonspor zu Fenerbahce. Sieht nach einer Bilderbuchkarriere aus, war es aber nicht ganz: In der U 23 der Bayern ging er zwar „nach oben wie ein HB-Männchen“, wie sich sein damaliger Coach Hermann Gerland erinnert, dann aber stürzte er in ein tiefes Loch. Aber „aufgeben kam nie in Frage“, so Ekici, der auch in Nürnberg und Bremen nicht nur einfache Zeiten hinter sich brachte.

Für Mario Erb blieb die Bundesliga, der er nach erfolgreicher U 17-WM schon recht nahe schien, bis heute ein Traum. Dass der Weg noch weit sein würde, wurde ihm schon nach der Rückkehr aus Südkorea klar: „Die WM war ein tolles Highlight, dann aber saß ich bei Bayern erst mal ein halbes Jahr nur auf der Bank.“ Da habe er gespürt, „wie schnell es auch wieder bergab gehen kann“, selbst wenn man Stammspieler bei einem so großen internationalen Turnier gewesen ist. Erb bestritt später 48 Drittligapartien für den FC Bayern, wechselte nach Aachen, dann nach Unterhaching, von dort zu RW Erfurt und nun nach Uerdingen, Aufsteiger in die Regionalliga West. Aber er kann leben vom Fußball.

Das können schließlich nicht alle. Von Champions League bis Kreisliga, praktisch überall sind sie zu finden, die Jungs, die 2007 in Südkorea große Hoffnungen hegen durften auf eine tolle Fußball-Karriere. Sebastian Rudy, damals beim VfB Stuttgart, wechselt zur kommenden Saison zum FC Bayern, nach vielen erfolgreichen Jahren in Hoffenheim ein weiterer Karrieresprung des heutigen A-Nationalspielers.

In den erlesenen Kreis von Jogi Löw schaffte es auch Kevin Trapp, aktuell Keeper von Paris St. Germain, der damals als dritter Mann hinter René Vollath, heute beim Karlsruher SC, und Fabian Giefer, in der kommenden Saison beim FC Augsburg, ohne WM-Einsatz geblieben war.

In den drei deutschen Profiligen verdienen auch Tony Jantschke (damals wie heute bei Borussia Mönchengladbach), Nils Teixeira (nach Stationen bei Kickers Offenbach und FSV Frankfurt noch bis heute bei Dynamo Dresden unter Vertrag), Patrick Funk (damals Stuttgart, später St. Pauli, heute Wehen-Wiesbaden), Kevin Wolze (damals Bolton Wanderers, heute MSV Duisburg), Alexander Esswein (heute Hertha BSC) und Richard Sukuta-Pasu (heute SV Sandhausen) ihr Geld. Kai-Bastian Evers ist inzwischen beim BSV SW Rheden in der Regionalliga angekommen, Jonas Strifler wechselt gerade von Verl zur zweiten Mannschaft von Schalke 04, Dennis Dowidat von Aachen nach Wuppertal, ebenfalls Regionalliga.

Wie schnell es im Fußball nach oben, aber auch nach unten gehen kann, hat Fabian Broghammer erfahren müssen. 2007 galt er als großes Talent bei der TSG Hoffenheim, wechselte nach der A-Jugend zur zweiten Mannschaft des VfB Stuttgart, nach zwei Jahren ging es weiter zum SV Darmstadt 98, für den er es in Liga drei nur auf insgesamt 29 Einsatzminuten brachte. Kaum einer hätte ihm da zugetraut, dass er nach einem kurzen Intermezzo beim SV Bayern Alzenau den Sprung nach England schaffen könnte. Broghammer aber kam in zwei Jahren bei den Bristol Rovers auf 40 Einsätze in der League Two, Englands vierthöchster Spielklasse. Und traf dabei sogar auf Edgar Davids. Der Weltstar, unter anderem einst für Barcelona, Juve, AC und Inter Mailand sowie Ajax Amsterdam am Ball, war damals Spielertrainer beim Ligarivalen FC Barnet. Wie er das erlebte? „Erstaunlich unspektakulär in dem Moment, in dem man spielt“, erzählte Broghammer hinterher.

Ein Kreuzbandriss im Sommer 2013 kostete ihn dann fast die gesamte nächste Saison, Broghammer ging zurück nach Deutschland, kickte noch in der Verbandsliga für den SV Wiesbaden, ehe das Kreuzband erneut riss. Für ihn war es kein Sturz ins Bodenlose, er hat neben dem Fußball an einer Fern-Uni Psychologie studiert und sich damit ein zweites Standbein geschaffen.

Bewusst gegen den Profifußball und für ein Studium hat sich Henning Sauerbier entschieden. Nach seiner Jugendzeit bei Bayer Leverkusen überlegte er, „was ich im Leben erreichen will. Und ich habe damals nicht die Chance gesehen, es wirklich in die erste Liga zu schaffen.“ Sauerbier ging nach New York an die Columbia Universität, studierte Wirtschaft mit Schwerpunkt Finanzen und trainierte die Columbia Lions. Heute arbeitet er als Banker für ein großes Unternehmen in New York und sagt: „Bereut habe ich meine Entscheidung nie.“

Für Haas erfüllte sich noch ein Traum

Auch Matthias Haas bereut nichts. Noch ein paar Jahre hat er versucht, beim Hamburger SV und beim FC Ingolstadt den Sprung ins Profigeschäft zu schaffen, hat aber, nach vielen Verletzungen und manch bitteren Erfahrungen, „rechtzeitig die Reißleine gezogen“. Das Fachabitur ließ ihm viele Möglichkeiten offen, er entschied sich für eine Ausbildung zum Bankkaufmann. „Ich wollte nicht so enden wie viele andere ehemalige Profis“, sagt er und erzählt von gescheiterten Existenzen, die viel zu lange ihren Träumen nachgehangen sind. Er hat in Hamburg Kollegen erlebt, die aus lauter Langeweile ihr Geld an Automaten verspielten. Das war nicht das Leben, das er sich erhofft hatte, damals, als er neben Toni Kroos WM-Dritter in Südkorea wurde.

Einen großen fußballerischen Traum hat er sich dennoch erfüllt: Er hat beim TSV Wasserburg endlich mit seinen beiden älteren Brüdern Leo, lange Jahre Zweitligakicker in Fürth, und Dominik, einst Deutscher A-Jugendmeister mit Lahm und Schweinsteiger, in einer Mannschaft gespielt.


Die Jugendsportseite erscheint alle drei Wochen am Freitag. Autor ist Reinhard Hübner, für Tipps, Infos und Anregungen erreichbar unter 08031/42657 oder Huebner-Rosenheim@t-online.de

Aufrufe: 030.6.2017, 09:00 Uhr
Münchner Merkur: Reinhard HübnerAutor