2024-05-02T16:12:49.858Z

Ligabericht
Sieht prima aus: Der Rasen, die Tribüne – und Marco Vollhardt mittendrin.	Foto: Hillgärtner
Sieht prima aus: Der Rasen, die Tribüne – und Marco Vollhardt mittendrin. Foto: Hillgärtner

Was der Fußball einem geben kann

RL SÜDWEST: +++ Marco Vollhardt hat bei Bayern München gespielt, bei den SF Burkhardsfelden die Fäden gezogen und gibt jetzt für den FC Gießen Gas +++

Giessen. Gerade ist er wieder ein paar Tage in München gewesen, da zieht es ihn immer wieder hin. Die Stadt gefällt ihm, das Ambiente, „mir ist es lieber in Richtung Süden“, sagt Marco Vollhardt, für den diese Trips aber auch eine Zeitreise sind. Denn München hat ihn geprägt, schließlich gibt es nicht viele Fußballer, die in ihrer Vita Bayern München als Station verzeichnen können.

Marco Vollhardt, immer noch erst 29 Jahre jung, seit Anfang dieses Jahres Teammanager des FC Gießen, hat bei den Bayern zwei Jahre in der Junioren-Bundesliga gespielt. Da ist er gereift. Wie er selbst sagt. „Ich habe zu München eine unglaubliche gute Verbindung, weil ich dort mit 15, 16 Jahren ohne meine Eltern gelebt habe. Das prägt natürlich.“ Die Geschichte des gebürtigen Grünbergers wurde oft erzählt, in Mittelhessen ist sie weithin bekannt. Wenn man bei „transfermarkt“ die Liste der Jugendvereine anschaut – JSG Harbach, TSG Wieseck, Bayern München – sieht das aber immer noch wie ein Druckfehler aus. Bayern, die großen Bayern.

Vollhardt, 1,88m groß, Innenverteidiger, hat da keinen Dünkel, er ist ein bodenständiger Typ, er weiß, wie ruckzuck alles gehen kann. Hoch hinaus, dann ein tiefer Fall. Das gehört zur DNA des Profisports. Die Knieverletzungen haben bei ihm einen Strich durch alle Rechnungen gemacht. Marco Vollhardt war schon denkbar nah dran, ehe es über die Station Eintracht Frankfurt U 19, VfB 1900 Gießen und Eintracht Wetzlar zu den Sportfreunden Burkhardsfelden ging, für die er sage und schreibe sieben Jahre als Trainer und Spieler aktiv war. „Es gab mal eine Zeit, gerade als ich damals von der Eintracht weg bin, da hatte ich schon damit zu kämpfen, dass es nichts geworden ist mit einer Karriere. Das war ja anders geplant“, sagt Vollhardt, der bescheiden anfügt: „Ich behaupte sicher nicht, dass ich ein top Bundesligaspieler geworden wäre, aber wenn es diese Verletzungen nicht gegeben hätte, hätte ich schon gute Möglichkeiten gehabt.“

So ist das mit den Fußballgeschichten. Dass Vollhardt jetzt sozusagen die rechte Hand von Daniyel Cimen wurde, ist nicht nur kein Zufall, sondern im Grunde fast zwangsläufig. Wer, wenn nicht er, kann einschätzen wie die (zu verpflichtenden) Spieler so ticken, ein großes Netzwerk hat Vollhardt ebenfalls und ebenso akribisch wie „fußballverrückt“ ist er auch. „Der Fußball ist ja nicht nur der aktive Part oder die 90 Minuten auf dem Platz. Was mir der Fußball in all den Jahren gegeben hat, wen man alles kennengelernt hat, wie viele gute Kontakte entstanden sind, das ist Wahnsinn“, sagt Vollhardt, der beim Regierungspräsidium Gießen, Thema Migration, arbeitet, seine Dezernatsleiterin: Nia Künzer.

Bei Marco Vollhardt spürt man, dass er mittlerweile damit zufrieden ist, wie es sich entwickelt hat. Er ist kein Typ, der seinen Part bei den Sportfreunden Burkhardsfelden prinzipiell anders beurteilen oder angehen würde, wie die Zeit bei Bayern München. Stets versucht er, so der Eindruck, sich engagiert und positiv einzubringen. Ob im unteren Amateurbereich, auf dem Sprung zu den Profis („Tatsächlich ist das eine komplett künstliche Welt fernab unserer Realität“, berichtet er von einem Besuch bei einem guten Freund, der in der italienischen Serie A spielt) – oder eben jetzt beim FC Gießen.

Und so trifft man ihn seit Anfang des Jahres denkbar oft im Gießener Waldstadion, wobei sich der mit seiner Freundin in Lindenstruth lebende Vollhardt eine, nennen wir es mal, durchaus turbulente Zeit für seinen Einstieg ausgesucht hat. „Ja, das stimmt“, lacht er, „aber ich gehe da positiv und optimistisch mit um, alles andere bringt einen ja auch nicht weiter.“

Im Grunde war die Corona-Krise, Vollhardt widerspricht nicht, die Rettung für den FC Gießen. Das ist kein großes Geheimnis und kann sich nach den Wasserstandsmeldungen ab etwa Dezember 2019 jeder an den Fingern abzählen. Sportlich gerettet, finanziell eröffnet sich dank Kurzarbeit und fehlender Personalkosten die Option, die undurchschaubare Gemengelage überzogener Gehälter, dilettantischer Verträge und unklarer Etatstrukturen hinter sich zu lassen. Daran wird gearbeitet. Und Marco Vollhardt ist – in allererster Linie, was das Sportliche angeht – mittendrin statt nur dabei. Mit all den coronabedingten Einschränkungen, die dazu verdammen, aber auch die Möglichkeit geben, intensiv administrativ tätig zu sein. „Aufm Platz“ geht derzeit noch wenig, bis auf eine Probetrainings-Woche, die jetzt gerade stattfindet. Marco Vollhardt ist von der Arbeit von Markus Haupt und der neuen GmbH ebenso überzeugt wie von Daniyel Cimen begeistert, dem er bescheinigt, diese „unglaublich schwierige Situation der Mannschaft perfekt moderiert zu haben“. Mit einem anderen Trainer, so seine Vermutung, wäre „das ganz schnell allen um die Ohren geflogen“. Von dem Projekt Regionalliga in Gießen ist Vollhardt überzeugt. „Ich bin guter Dinge, dass wir auf einem guten Weg sind, eine Mannschaft zu formen, die von ihren Forderungen, aber auch unseren Anforderungen, hierher passt. Dazu gehört eine gewisse Grundeinstellung zu diesem Verein, aber auch das Wissen, dass wir so professionell wie möglich arbeiten wollen, aber unter Bedingungen, die eben nicht mehr so sind wie zuvor.“

Marco Vollhardts Aufgabe ist die Unterstützung Cimens bei der Kaderplanung, den finanziellen Rahmen geben Haupt, Kai Braun und die GmbH vor. „Ich weiß gar nicht, wie viele unbekannte Nummern mich in den letzten Tagen angerufen haben“, beschreibt Vollhardt, was da – auch an Whats-App-Kontaktaufnahmen und Mails – von Beratern und Spielern auf Vereinssuche auf ihn und seine Mitstreiter einprasselt. „Ich muss mir da schon mal Listen machen, mit wem ich alles wann Kontakt hatte, mir wird sogar Videomaterial mitgeschickt, da gilt es zu sondieren.“

Es gehört auch dazu, kühlen Kopf zu bewahren: „Wir sind ganz entspannt“, sagt Vollhardt das, was auch Daniyel Cimen oder Kai Braun schon in Gesprächen geäußert haben. Momentan sind eher zu viele als zu wenige Spieler auf dem Markt. Und auch der spätere Rundenstart im September ist für den FC Gießen ein Pluspunkt, weil für die (finanziellen) Umstrukturierungen ein weiterhin geöffnetes Zeitfenster durchaus nützlich sein kann. Marco Vollhardt ist aber kein Fantast: „Natürlich waren die Außendarstellung, die mangelnde Transparenz und die Nebenkriegsschauplätze so, dass wir an diesem Problem noch länger zu nagen haben, da ist sicher noch viel Skepsis vorhanden. Aber das ist eben auch die Aufgabe der neuen Führung, da in den nächsten Monaten entgegenzusteuern, damit Gießen für einen bodenständigen und guten Fußball steht. Denn das Potenzial ist riesig in der Region.“

So wie das Potenzial Marco Vollhardts als Fußballer. Er kennt die Höhen und die Tiefen. Ach ja, wenn er sich einen Verein beispielsweise in der 2. Liga hätte aussuchen können, dann „wäre das St. Pauli gewesen. Ich hatte damals sporadisch Kontakt. Das ist ein ganz wunderbarer Verein“. Nach Hamburg allerdings zieht es ihn nicht so. Dann doch eher München. Oder eben mittendrin – beim FC in Gießen.



Aufrufe: 029.6.2020, 08:00 Uhr
Rüdiger Dittrich (Gießener Anzeiger)Autor