2024-05-08T14:46:11.570Z

Vereinsnachrichten
Haben Platz zwei noch immer im Auge: Das VfB-Trainergespann Niko Semlitsch (links) und Alexander Otto.	Foto: Bär
Haben Platz zwei noch immer im Auge: Das VfB-Trainergespann Niko Semlitsch (links) und Alexander Otto. Foto: Bär

Semlitsch predigt "Aufholjagd"

VL MITTE: +++ VfB 1900 Gießen kommt fit und motiviert aus der Winterpause +++ Drei Punkte gegen Biebrich am Wochenende fest eingeplant +++

Giessen. Es ist eine in vielerlei Hinsicht interessante Situation, in der sich der VfB 1900 Gießen vor dem Start in die Verbandsliga-Restrunde befindet. Eine vielleicht auch seltsame Situation. Die über Jahre prägende Figur Stefan Hassler ist weg, Trainer-Routinier Niko Semlitsch ist, nach der knapp und lapidar aus dem Trainingslager in der Türkei geschickten Mitteilung ,,nur" die Interimslösung, - und mit Daniyel Bulut steht ein halb so alter und äußerst ambitionierter Trainer in den Startlöchern, der allerdings noch nicht weiß, in welcher Liga und mit welchem Personal er seinen Zweijahres-Vertrag angehen wird.

Andererseits ist die Situation vielleicht genau so einfach, wie Niko Semlitsch sie mit seinen 37 Jahren Trainer-Erfahrung beschreibt: ,,Solange der Pfarrer noch die Messe liest, ist die Kirche nicht aus." Soll heißen: Die neun Punkte auf den Relegationsrang nach oben, den derzeit die technisch starke Truppe von Viktoria Kelsterbach einnimmt, ist für den Ex-Profi noch lange kein Grund, das vor der Runde anvisierte Ziel Aufstieg abzuschreiben. Immerhin ist der VfB 1900 trotz einiger Unwuchten Tabellendritter.

,,Watzenborn ist weg", sagt Semlitsch, der gemütlich am Kaffee nippt, ,,dafür sind sie zu stark, aber Kelsterbach müssen wir noch versuchen anzugreifen." Zunächst einmal weiß der 68-Jährige, dass ,,im Fußball vieles möglich ist, deshalb müssen wir von Beginn an hellwach sein." Zudem erhofft sich Semlitsch einen deutlichen Motivationsschub aus dem spektakulären und hochverdienten Einzug ins Hessen-Pokalfinale gegen den Regionalligisten Baunatal. ,,So etwas gibt einfach Selbstvertrauen", sagt Semlitsch.

,,Die Jungs wissen jetzt, dass es nur an der Einstellung liegt, wenn es nicht läuft." So habe sich das Trainingslager in Kemer tatsächlich schon bezahlt gemacht, weil ,,wir da unter besten Bedingungen kontinuierlich arbeiten konnten." Und offenbar hat es wirklich gewirkt, denn ,,Niko" schiebt mit unnachahmlichen Tonfall und genüsslichem Lächeln nach: ,,Erst mal brauche ich eine fitte Mannschaft, die Kerle müssen laufen können. Und in den 37 Jahren hatte ich eins immer: fitte Mannschaften."

Wenn ,,die Kerle laufen können", müsse noch die Disziplin und Ordnung auf und neben dem Platz stimmen, ,,dann bekommt man das auch hin", sagt der Steinbacher, der in den letzten Jahren vom HB-Männchen zum (Fast)-Ruhepol wurde. ,,Früher hätte ich mich über die eine oder andere Unzulänglichkeit deutlich mehr aufgeregt", gibt der langjährige Spiritus rector des FSV Fernwald zu, ,,aber die Gelassenheit ist bei manchen Entscheidungen jetzt einfach besser."

Vielleicht auch jene Gelassenheit, gegen Baunatal den Verbandsliga unerfahrenen Helmut Schäfer, hoch talentiertes Mitbringsel von TuBa Pohlheim, die ,,10" spielen zu lassen, obwohl ,,der Helmut in den vier Jahren zuvor genau drei Trainingseinheiten gemacht hatte", wie der Übungsleiter mit seinem lässigen Wortwitz anmerkt. Unter den Fittichen Semlitschs aber blüht der spieltechnisch herausragende und mit einem kräftigen Bums gesegnete 24-Jährige auf.

Es wird sich weisen, ob Schäfer den Verbandsliga-Sprung dauerhaft schafft, den der Hessenliga erfahrene zweite Winterzugang, Innenverteidiger Daniel Erben, mit guten Haltungsnoten locker hinbekommt. ,,Defensiv gehören wir sicher zum Besten in der Liga, nach vorne ist da oder dort noch Luft nach oben", weiß der Trainer seine Truppe selbstverständlich einzuschätzen, sieht die Variationsmöglichkeiten im Sturm aber ein wenig eingeschränkt, weil ,,die Angreifer, die ich habe, alle ähnlich veranlagt sind."

Vielleicht war es deshalb auch kein Zufall, dass gegen einen starken Gegner wie Baunatal ausgerechnet Defensivstratege Kevin Kaguah den entscheidenden Treffer setzte. Niko Semlitsch dürfte es egal sein, wer die Tore macht, um die neun Zähler auf Kelsterbach vielleicht doch noch aufzuholen. Ein sicher nicht einfaches Unterfangen, bei dessen Start beim FV Biebrich bis auf den weiter gesperrten Viktor Riske ,,alle Mann dabei sind, was ja fast schon schwierig ist, weil ich noch einen aussortieren muss."

Der Tabellendritte kommt also nicht nur fit, sondern auch gesund aus der Winterpause, die nicht nur den Grundstein für die Aufholjagd gelegt haben soll, sondern in der Semlitsch auch gesehen hat, dass ,,wir ein Team sind, eine Einheit", wofür er, ,,weil das zu dem Zeitpunkt nicht mehr gepasst hat", auch den Abschied von Ahmet Marankoz und Gino Parson mitverantwortlich macht.

Aber nicht nur für die 1900er, auch für Trainer Niko Semlitsch ist es eine irgendwie seltsame Situation. ,,Mir gucke mal, was noch geht", ist die eine Seite der Medaille. Die andere: ,,Mit dem Hessenpokal-Endspiel schließt sich der Kreis", ergänzt er schmunzelnd in seinem Caféhaus-Stuhl. Vor 46 Jahren zog der junge Niko aus, um in Offenbach seine Profikarriere zu beginnen, vor 37 Jahren startete er seine Trainerkarriere, nun ,,sehe ich noch mal die Brita-Arena im Pokal-Finale." Vielleicht ja ausgerechnet gegen die Offenbacher Kickers, bei denen er in den bezahlten Fußball startete.

Aber jetzt geht es erst einmal nach Biebrich. Und da gilt nur eins: drei Punkte müssen her. Damit der Schub aus dem Hessenpokal einen Aufschwung auch für die Liga bedeutet. Kelsterbach von Rang zwei verdrängen, das ist das Ziel, dass ,,wir uns stecken müssen. Wenn es nicht mehr klappt, müssen wir zumindest alles geben." Sagt Semlitsch, der sich auf den Trainer-Ruhestand freut. Und geht zu seinem Kleinbus, weil er jetzt morgens ,,Schulkinder fährt. Ich stehe immer um 5.30 Uhr auf. Mir war moins so langweilig."

Aufrufe: 019.2.2015, 07:00 Uhr
Rüdiger DittrichAutor