2024-05-17T14:19:24.476Z

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Seit November 2019 trägt Rafael Conrado Prudente das Trikot des MSV Neuruppin.
Seit November 2019 trägt Rafael Conrado Prudente das Trikot des MSV Neuruppin. – Foto: Gunnar Reblin

"Irgendwann möchte ich noch höher spielen"

Rafael Conrado Prudente vom MSV Neuruppin ist cool und abgezockt.

Rafael Conrado Prudente erzielt Tore wie am Fließband. Der 25-Jährige ist Torjäger in Diensten des MSV Neuruppin. Er erzählt von seiner Jugendzeit in Brasilien, warum es ihn nach Deutschland zog und es ihm hier so gut gefällt.

Eigentlich ist Rafael Conrado Prudente ein lebensfroher Mensch. Wenn der 25-jährige Brasilianer in Diensten des Brandenburgligisten MSV Neuruppin jedoch dieser Tage, in Zeiten der Corona-Pandemie, die Tragödie in seinem Heimatland verfolgt, verfliegt jegliche Fröhlichkeit. Rasch sogar. Dann wirkt er traurig. "Ich denke an meine Familie, meine vielen Freunde. Ich hoffe, es ist bald wieder alles normal. Doch danach sieht es nicht aus, oder?", fragt er beinahe flehend.

Auch das aktuelle Wetter hebt sein brasilianisches Gemüt (noch) nicht auf ein Gute-Laune-Niveau. "Es ist noch ein bisschen kalt. Wir Brasilianer mögen es gerne sonnig und warm", legt er dann doch ein Lächeln auf, ein kleines. "In Brasilien wird es nie kälter als 15 Grad." Nicht nur wegen der wohligen Wärme reist er nach Möglichkeit regelmäßig in die Heimat, vor allem im Februar, denn dann ist Karneval. "Wir lieben den Karneval", beginnen seine Auge zu leuchten. Beim "Carnaval" herrscht Ausnahmezustand am Zuckerhut. Erst im Februar hatte es Rafael Conrado Prudente zur größten Party der Welt, die nicht nur in Rio, sondern an vielen Orten Brasiliens gefeiert wird, gezogen. Wie ein Stück Metall an einen Magneten. "Ich habe meine Eltern besucht, auch Oma und Opa." Dazu seine 22-jährige Schwester Gabriela, die Medizin studiert. Die Familie ist ihm sehr wichtig. Er vermisse sie "natürlich sehr2, wenn er in Deutschland ist. Grundsätzlich fühlt sich Rafael Conrado Prudente aber angekommen in Deutschland. Mit 19 Jahren, also vor sechs Jahren, hatte er, und zwar ganz bewusst, den Sprung über den großen Teich vom heimatlichen Brasilien ins völlig unbekannte Deutschland gewagt. Nicht nur des Fußballs wegen, wie er beteuert.

Aufgewachsen ist Rafael Conrado Prudente in Mineiros, eine Gemeinde und zugleich Stadt im Bundesstaat Goiás. Und Fußball, logisch, spielte er von Kindesbeinen an. Klar, auch viel auf der Straße. "Aber", so erklärt er, "bis ich 16 war, habe ich eigentlich nur Futsal gespielt. Bei uns in Brasilien ist das so." Das technisch anspruchsvolle Futsal hat seinen Ursprung im südamerikanischen Raum, wird dort "Futebol de Salao" genannt. In Deutschland ist Futsal zwar auch angekommen, hierzulande ist diese Art des Hallenfußballs jedoch weitaus weniger beliebt als in Brasilien. Prudente: "Bei uns spielen das alle, vor allem im Juniorenbereich. Und viele Kicker haben es dank ihrer Futsal-Karriere zum Star gebracht. Ronaldinho ist nur ein Beispiel. Er zählt zu den Vorbildern von "Raffa", wie Prudente von seinen Teamkollegen beim MSV gerufen wird. Noch mehr eifert er den ehemaligen Star-Stürmern Ronaldo und vor allem Romario, Prudentes absoluter Liebling, nach. Der hat zwar nicht für seinen Lieblingsclub Fluminense Rio de Janeiro gespielt, "aber wie er Tore erzielt hat, ist unglaublich. Dabei war er gar nicht so schnell, hat aber wie am Fließband getroffen, einen unglaublichen Torhunger gehabt", schwärmt Prudente von seinem großen Idol.

Erst ab dem Alter von 19 Jahren jagte er der Kugel auf dem grünen Rasen, wenn er denn mal grün und nicht grau war, hinterher. Der Junge mit dem schwarzen Haar zauberte für den Verein Goianésia EC. "Später bin ich zu einem Verein in der Stadt Campinas gewechselt." In diesem Club zählte Maximiliano Oliviera de Oliviera zum Trainerstab. Und genau der sollte ihm den Weg nach Deutschland ebnen. Denn de Oliviera fand ebenfalls in Deutschland eine neue Heimat. Er heuerte beim FC Stahl Brandenburg an. "Er hat für mich alles organisiert. Ich wollte nicht in Brasilien bleiben." Ein besseres Leben als es in seiner Heimat möglich ist, in der es nach wie vor erheblich Korruption gibt, war sein Antrieb. "Ich hatte auch mal damit geliebäugelt, nach Amerika auszuwandern", fügt er an.

Schließlich landete Rafael Conrado Prudente im September 2015 in Deutschland. Flughafen Tegel. "Und es war gar nicht so kalt, wie befürchtet", blickt er zurück. Zudem sei es erstaunlicherweise noch hell gewesen. "Es war ja schon 20 Uhr. Bei uns ist es in der Regel um 18 Uhr dunkel." Die ersten Tage in der neuen Heimat verbrachte er bei einem Freund in Berlin. Seine Deutschkenntnisse? "Ich konnte nur Hallo und Tschüss sagen. Deutsch ist wirklich eine schwere Sprache." Dementsprechend schwer war die Eingewöhnung, auch auf dem Fußballplatz. Obwohl ihm die drei anderen Brasilianer im Brandenburger Kader sehr geholfen haben. Bevor er beim FC Stahl richtig loslegen konnte, musste er zwei Monate auf seine Spielerlaubnis warten. "Das war eine schwere Zeit." Trainer Eckart Märzke, ein Prudente-Fan, konnte ihn am 17. Oktober 2015, es war der achte Spieltag der laufenden Brandenburgliga-Saison, endlich von der Leine lassen. Die Partie gegen Waltersdorf endete 0:0. "Erst in meinem fünften Spiel für Stahl ist mir dann mein erstes Tor gelungen." Das war beim 3:1-Heimsieg gegen Falkensee. "Das war vor 500 Zuschauern. Ein toller Tag." Anlässlich seines 65-jährigen Bestehens hatte der FC Stahl Brandenburg eine "volle Hütte".

2017, mit einem Empfehlungsschreiben von 18 Saisontreffern bei Stahl, wechselte Prudente zum Liga-Konkurrenten Werderaner FC Viktoria. "Dort habe ich dann auch einen Deutschkurs gemacht." Inzwischen verstehe er alles. Beim Sprechen falle ihm ab und zu nicht das richtige Wort ein, "aber sonst geht es". Was bei ihm richtig geht, besser gesagt abgeht, sieht man auf dem Platz. Der Brasilianer knipst und knipst und knipst. Für Werder traf er in 51 Spielen 34-mal. Mit seinen drei Treffern am 11. Juni 2019 im Heimspiel gegen den MSV beeindruckte er auch die Neuruppiner. Die nahmen im Anschluss umgehend Kontakt zu ihm auf. "Ich hatte zwei gute Jahre in Werder. Als sich dann Neuruppin meldete, wollte ich wechseln. Auch, weil ich irgendwann noch höher spielen möchte, gerne in der Oberliga. Ich wollte zu einem größeren, ambitionierteren Team wechseln."

In Neuruppin sei er sofort gut aufgenommen worden. "Ich verstehe mich gut mit den Jungs. Und auch mit dem Trainer", schiebt er sogleich nach. Bis zur Saison-Unterbrechung wegen Corona habe man eine gute Saison gespielt. "Wir sind sehr heimstark, das war Neuruppin ja schon immer. Und wir spielen immer nach vorn, das finde ich gut." Mit neun Toren in acht Spielen für den MSV hat Rafael Conrado Prudente nicht lange gebraucht, um nachhaltig auf sich aufmerksam zu machen. Bei Trainer Henry Bloch zählt er zu den Gesetzten. Prudente weiß, was von ihm erwartet wird: "Der Trainer verlangt von mir, dass ich die ersten Bälle gewinne, sichere, so dass andere nachrücken können. Er verlangt, dass ich aktiv gegen den Ball arbeite." So wie es im modernen Fußball inzwischen Usus sei. "Und er verlangt, dass ich in der Box", dem Sechzehner, "präsent bin." Klar, Tore machen soll er auch. Der Abschluss zählt zu seinen Stärken. "Ich bin cool vor dem Tor", lächelt der 25-Jährige. Auch sein Kopfballspiel ist überragend. "Woher das kommt, weiß ich gar nicht. Wichtig ist das richtige Timing, das habe ich wohl. Denn ein Riese bin ich ja nicht gerade." Mal knapp über 1,80 Meter. Seine große Schwäche: der linke Fuß. "Daran muss ich wirklich arbeiten. Da muss ich besser werden. In vielen anderen Dingen natürlich auch."

Seine Zukunft sieht der Brasilianer durchaus in Neuruppin. "Eine schöne Stadt", sagt er. "Direkt am Wasser und nicht weit von Berlin entfernt", wohin er gerne zum Feiern fährt oder auch, um Freunde zu besuchen. Auch zum Meer sei es nicht weit. "Aber ich war noch nicht drin. Es soll kalt sein", hat er gehört. "Vielleicht traue ich mich irgendwann einmal und springe rein." Den Strand in Warnemünde findet er schon mal toll. Klar, der sei nicht zu vergleichen mit dem berühmten Strand der Copacabana in Rio de Janeiro. "Trotzdem schön."

Sein Visum gilt für drei Jahre, so lange dauert seine Ausbildung zur Fachkraft für Lagerlogistik. "Es macht mir Spaß." Mit Fußballspielen viel Geld zu verdienen, sei zwar einmal sein Traum gewesen, "aber ich weiß schon, dass das ganz schwierig ist". Davon träumen in Brasilien viele Kinder, weiß er aus eigener Erfahrung. Doch aktuell ruht der Fußball am Zuckerhut. Die Pandemie trifft das Land mit voller Härte. "Traurig, was gerade passiert", sagt Rafael Conrado Prudente. "Mir geht es gut, in Deutschland sowieso. Aber um meine Familie und Freunde in der Heimat mache ich mir Sorgen."

Ablenkung täte gut. Mit Fußball. "Nur wir dürfen aktuell ja nur wenig machen. Ein bisschen laufen gehen. Zuhause mache ich ein paar Kraft- und Stabilitätsübungen." Er sehnt sich nach der Zeit, in der er wieder auf dem Platz tricksen, Tore wie einst Romario schießen und mit dem MSV Neuruppin Siege feiern kann. Das bringe Spaß und Freude. "Das ist gut für die Seele", sagt Rafael Conrado Prudente mit dem lebensfrohen Wesen eines Brasilianers.


Zum Profil: Rafael Conrado Prudente


Aufrufe: 011.6.2020, 10:44 Uhr
MOZ.de / Gunnar ReblinAutor