2024-05-16T14:13:28.083Z

Interview
Der Abschied von den Fans fällt wohl aus: Rekordtrainer Fuat Kilic geht davon aus, die Alemannia ohne ein weiteres Spiel zu verlassen.
Der Abschied von den Fans fällt wohl aus: Rekordtrainer Fuat Kilic geht davon aus, die Alemannia ohne ein weiteres Spiel zu verlassen. – Foto: Jerome Gras

„Ich bin mit mir sehr im Reinen“

Regionalliga-West: Alemannia Aachens Trainer Fuat Kilic über die Corona-Auszeit, seinen Abschied und Zukunftspläne

Wenn alles so gelaufen wäre, wie es geplant und erhofft war, hätte Fuat Kilic am heutigen Samstag seine Tasche gepackt, er wäre zum Treffpunkt gefahren und wäre dann in den Mannschaftsbus gestiegen. Mit seinem Team von Alemannia Aachen hätte er ein paar Stunden später das Finale des Verbandspokals gespielt. Und wenn es richtig gut gelaufen wäre, hätte Kilic sein letztes Spiel nach viereinhalb Jahren am Tivoli mit einem Pokal in den Händen beendet. Dazu wird es aber nicht kommen. Nach Lage der Dinge hat Kilic sein Team am 8. März zum letzten Mal gecoacht. Die Partie in Oberhausen endete 1:1, nach der Partie machte RWO-Trainer Mike Terranova noch ein paar Witze über die Corona-Hysterie. Dann war Schluss, die letzten Monate seiner Aachener Zeit verbringt Kilic in Kurzarbeit. Christoph Pauli und Benjamin Jansen unterhielten sich mit dem 47-Jährigen über einen Samstag, der ganz anders als geplant ablaufen wird.

Herr Kilic, „eigentlich“ ist gerade ein Modewort, weil es auf eine Planung hinweist, die längst infiziert ist. Eigentlich war also für den heutigen Samstag das Pokalfinale terminiert, in dem Alemannia vielleicht seinen Titel hätte verteidigen können.

Fuat Kilic: Eigentlich wollten wir mit unseren Fans einen versöhnlichen Ausgang der Saison feiern. Der Trainer wollte sich nach viereinhalb Jahren am Tivoli mit einem Erfolg verabschieden und seinem Nachfolger eine Mannschaft übergeben, die in der ersten DFB-Hauptrunde spielen darf. Schon schade, dass es anders gekommen ist.


Wie sieht Ihr Alternativprogramm für den Samstag aus? Interessiert Sie die Geister-Bundesliga?

Kilic: Am vergangenen Wochenende habe ich mir Teile der Bundesligakonferenz angeschaut, aber auch über einen längeren Zeitraum ein Spiel herausgepickt, um es taktisch zu analysieren. Die Spiele sind weniger hektisch, die taktischen Ideen lassen sich noch besser lesen. Es war eine Fortbildungsmaßnahme, wenn man so will.


Ihr Vertrag läuft Ende Juni aus. Gehen Sie davon aus, dass Sie die Alemannia im FVM-Pokal oder in der Liga noch einmal betreuen?

Kilic: Das kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen. Die erste DFB-Pokal-Hauptrunde ist noch nicht terminiert, das wird das Zielfenster für die Verbände sein. Unter den gegebenen Hygiene-Auflagen lässt sich gerade kein professionelles Training umsetzen. Alemannia kann den logistischen und finanziellen Aufwand eines Bundesligisten nicht umsetzen. Wir dürfen bis heute nicht auf den Sportplatz. Für den Wettkampfmodus brauchen wir aber einen Vorlauf von mindestens vier Wochen.


Wenn man Sie und die Mannschaft fragen würde: Wie würde die Saison dann weitergehen?

Kilic: Es ist wirklich eine schwierige Situation für alle Funktionäre. Wir hätten trotzdem konkretere Termine für unsere Planungen gebraucht. Es wäre auch richtig gewesen, wenn die Trainer an der Basis zumindest mal gehört worden wären bei der Entscheidungsfindung. Andere Länder haben deutlicher und klarer auch für untere Ligen entschieden.


Das Dilemma für die Verbandsleute ist, dass der Pandemiefall nirgendwo in den Statuten festgehalten ist. So drohen bei einem Abbruch Prozesse, vielleicht auch Regressforderungen an die Gremien.

Kilic: Deswegen wirkt es gerade wie ein Zeitspiel. Es wird gewartet und gewartet, bis auf einem Verbandstag oder durch den DFB die Entscheidung fällt. Irgendwann ergibt es sich dann von selbst, dass der restliche Spielbetrieb bis Ende Juni nicht mehr möglich ist. Bezogen auf den Pokal stellt sich auch die Frage, ob das noch ein fairer Wettkampf ist, wenn er in der neuen Saison von neuen Mannschaften und Trainern beendet werden muss. Außerdem: Wie sollen die Clubs wissen, ob sie die Einnahmen der ersten Runde mit verplanen können in ihren Etats?


Mannschaften leben auch vom Teamgeist. Wie pflegt man den in Zeiten, in denen Distanz vonnöten ist?

Kilic: Das ist kompliziert. Wir verteilen Trainingspläne, mehr ist leider nicht möglich. Letztens gab es mal eine Videokonferenz. Ich telefoniere viel mit den Spielern, erkundige mich nach ihnen oder gratuliere an Geburtstagen. Und manchmal melden sie sich auch mit der Frage, wie ihre berufliche Perspektive aussieht und was sie tun sollen.


Was sagt man, wenn man – eigentlich – nichts Verbindliches sagen kann?

Kilic: Ich versuche sie zu beruhigen. Wenn der Fußball die einzige Einnahmequelle ist, macht man sich Sorgen. Es werden wieder bessere Zeiten kommen, jeder muss an seine Qualität glauben. Das klingt nach Phrasenschwein, aber alle brauchen Geduld in dieser Phase. Das gilt auch für Clubs, die keine neuen Spieler verpflichten dürfen, wenn sie Kurzarbeit angemeldet haben.


Wie ist der Abschied nach 1642 Tivoli-Tagen geplant?

Kilic: Ich habe noch keine richtige Idee. Mir ist es wichtig, mich unmittelbar von der Mannschaft und den Verantwortlichen zu verabschieden. Ich gehe davon aus, dass wir uns noch mal treffen – mit entsprechendem Abstand. Sei es am Tivoli oder privat.


Fühlt sich die Ära nun unvollendet an?

Kilic: Ja, das trifft es. Nachdem ich meinen Abschied im Januar angekündigt habe, gab es die Verabredung, dass wir das Kapitel im Sommer möglichst positiv abschließen wollen. Die Enttäuschung ist einfach da, weil sich die Absicht nicht umsetzen ließ.


Ihr WhatsApp-Profilbild zeigt Sie am 1. Januar 2016 auf Aachens Trainerbank. Bleibt das Foto?

Kilic: Es wäre gelogen, wenn ich das versprechen würde. Ich werde auch bei einem anderen Verein versuchen, mich sehr schnell mit der Aufgabe zu identifizieren. Es waren phantastische viereinhalb Jahre, auf die ich stolz bin. Alemannia bleibt im Herzen, dafür brauche ich werder eine Tätowierung noch ein Profilbild. Sie ist ein Teil meines Lebens.


Es gibt Arbeitnehmer in Kurzarbeit, die die Entschleunigung gerade für sich entdecken. Wie entdecken Sie diese Zwangspause für sich?

Kilic: Sie war wichtig, um herunterzukommen, nachdem ich viereinhalb Jahre durchgearbeitet habe. Für eine einzelne Person gab es viel zu erledigen, das hat auch der Körper signalisiert. Ich habe die Familie definitiv vernachlässigt oder auch vernachlässigen müssen, um dem Anspruch gerecht zu werden. Das holen wir jetzt ein bisschen nach. Ich verbringe viel Zeit mit den Kindern, die ich gerade noch besser kennenlerne. Das tut mir gut.


Gibt es Ideen, was Sie ab dem Sommer machen werden. Wäre auch ein Sabbat-Jahr denkbar?

Kilic: Als ich damals beim 1. FC Saarbrücken aufgehört habe, habe ich die freien Monate danach nicht so sinnvoll genutzt. Ich war nur damit beschäftigt, wann es wieder weitergeht und hatte keine innere Ruhe. Ich hätte besser auftanken müssen, nach vielen Monaten unter Dauerstrom. Daraus habe ich gelernt. Ich versuche diese Ruhephase zu genießen, und wenn die Pause länger wird, dann ist es eben so. Konkret ist derzeit noch nichts.


Haben Sie für sich schon entschieden, ob Sie lieber weiter als Kaderplaner oder als Trainer arbeiten würden?

Kilic: Ich war in den vergangenen Jahren in verschiedenen Funktionen im Fußball tätig. Ich sehe mich in erster Linie auf der Trainerposition, da mir die Arbeit auf dem Platz sehr viel Spaß macht. Dennoch verschließe ich mich nicht für andere Bereiche im Fußball. Ich habe mir aber eine Deadline gesetzt, bis wann ich meine Ziele erreicht haben will. Grundsätzlich hätte ich auch kein Problem damit, in einem Nachwuchsleistungszentrum nachhaltig zu arbeiten und Spieler bei ihrem Übergang in den Seniorenbereich zu unterstützen und zu entwickeln. Ich wäre auch nicht abgeneigt, wieder als Co-Trainer höherklassig zu arbeiten. Wichtig ist, dass es ein Projekt wie bei Alemannia ist, mit dem ich mich identifizieren kann.


Es bleibt aber dabei, dass Sie auf die Regionalliga in der derzeitigen Form keine Lust mehr haben, oder?

Kilic: Es hängt letztlich immer vom Projekt ab. Ich habe mich entschlossen, hier in Aachen einen Schlussstrich zu ziehen, weil ich gemerkt habe, dass es nicht realisierbar ist, was sich der Verein und das Umfeld wünschen. Ich habe mich vor der Saison weit aus dem Feld gelehnt, weil ich mir aus dem Pokalgewinn und den damit verbundenen erhöhten Einnahmen erhofft habe, dass mehr Geld in den Spieleretat gesteckt wird. Das war aufgrund einiger Altlasten nicht möglich. Deshalb haben uns die Möglichkeiten gefehlt, um ganz oben anzugreifen.


Sind Sie ein anderer Trainer in Ihrer Zeit am Tivoli geworden?

Kilic: Ich reflektiere mich und meine Arbeit durchgängig. In der einen oder anderen Situation bin ich zu impulsiv vorgegangen, ohne die späteren Auswirkungen vor Augen zu haben. Ich habe aus meinen Fehlern gelernt. Ich versuche, neben dem Platz viel sachlicher und ruhiger zu sein, ohne mich als Trainertyp komplett zu verändern. In meiner Zeit in Aachen bin ich auf jeden Fall viel reifer und abgeklärter geworden, denke ich.


Wutentbrannte Schiedsrichterbesuche in deren Kabine nach Spielende wird es in Zukunft vermutlich nicht mehr geben.

Kilic: Ich musste mir eingestehen, dass ich in manchen Situationen auf dem Platz nicht ich selbst war. Auch Jürgen Klopp hat mal gesagt, dass er sich nach Ansicht der TV-Bilder vor sich selbst erschreckt hat. So ging es mir auch. Ich habe mir vor der Spruchkammersitzung gesagt: Das ist das erste und letzte Mal, dass dir so etwas passiert. Trotzdem darf man nicht vergessen, dass das meine einzige Verbandsstrafe ist – und ich bin schon einige Jahre im Trainergeschäft tätig. Allerdings (denkt nach): Vor vielen Jahren musste ich mal als Jugendtrainer eine 50-Mark-Strafe bezahlen.


Was hat zu dieser drakonischen Geldbuße geführt?

Kilic: Ich bin auf den Platz gelaufen, weil einer meiner Spieler nach einem Zusammenprall regungslos auf dem Boden lag. Ich hatte Angst, dass der Junge erstickt. Der Schiedsrichter wollte das Spiel aber weiterlaufen lassen. Am Ende hat der Unparteiische mich nach meinem Namen gefragt, und ich habe gesagt: Ich heiße Kurt. Er wollte dann im Spielberichtsbogen einen Kommentar eintragen. Dann habe ich nur gesagt: Das war ein Witz, mein Name ist Fuat. Er fand das nicht so witzig (grinst). Das hat dann eben 50 Mark gekostet.


In der Kurt-Fuat-Kilic-Biografie stehen viereinhalb Jahre am Tivoli. Wie lange fühlt sich diese Zeit für Sie an?

Kilic: Wenn ich meine grauen Haare zähle: viel länger (lacht). Im Endeffekt sind die viereinhalb Jahre aber auch sehr schnell vergangen. Es war eine sehr erfolgreiche Zusammenarbeit, wenn man bedenkt, wie die Ausgangssituation vor jeder Saison war. Ich bin dankbar, dass ich in einem so großen Verein arbeiten durfte, Alemannia war ja erst meine zweite Station als Cheftrainer.


Sie sind ja unverändert vor Ort am Tivoli, auch wenn der Ball Pause hat. Wie ist der Austausch mit Thomas Hengen?

Kilic: Der Umgang ist sehr angenehm, wir haben ja auch schon gemeinsam die Schulbank beim Trainerlehrgang gedrückt. Wenn er ein, zwei Jahre früher angestellt worden wäre, wäre das schon eine wichtige Entlastung für mich gewesen.


Gibt es Kontakt zu Ihrem Nachfolger?

Kilic: Ich habe Stefan Vollmerhausen zufällig am Tivoli getroffen, und wir haben uns dann die Infrastruktur angeschaut. Es hat einen kurzen Austausch gegeben. Ich habe ihm aber gesagt, dass ich mich nicht zu einzelnen Spielern äußern werde, da jeder eine faire Chance erhalten soll.


Eine Eigentlich-Frage zum Schluss: Sie haben den Abschied schon im Januar verkündet, als die Welt noch nicht aus den Fugen war. Bereuen Sie angesichts der Entwicklung eigentlich Ihre Entscheidung?

Kilic: Nein. Ich bin sicher, dass ich die Erwartungen nicht hätte erfüllen können. Mit den aktuellen Rahmenbedingungen kann man den Aufstieg kaum schaffen. Bisher war es immer selbstverständlich, dass wir nie etwas mit dem Abstieg zu tun hatten und in der oberen Tabellenregion gelandet sind. Und auch im Pokal hätten wir zum dritten Mal in viereinhalb Jahren im Finale stehen können. Das sind schöne Erfolge, die nicht selbstverständlich sind. Am Ende kann ich sagen: Ich habe immer alles offen und ehrlich kommuniziert, ich bin mit mir sehr im Reinen.

Eine längere Version des Interviews lesen Sie auf aachener-­zeitung.de und aachener-nachrichten.de

Aufrufe: 026.5.2020, 05:00 Uhr
Christoph Pauli/Benjamin Jansen | AZ/ANAutor